Buchkritik

Christian Drosten, Georg Mascolo – Alles überstanden?

Stand
Autor/in
Conrad Lay

Es ist relativ wahrscheinlich: Die nächste Pandemie wird kommen. Umso interessanter ist die Frage: Wie gingen eigentlich Politik, Wissenschaft und Medien mit Covid um? Ein Virologe und ein Journalist versuchen, Rechenschaft abzulegen.

Nach wie vor fehlt es an einer überzeugenden Aufarbeitung der Covid-Pandemie. Doch angesichts der großen gesundheitlichen wie auch gesellschaftlichen Schäden wäre es fatal, wenn aus der Pandemie keine allgemein akzeptierten Lehren gezogen würden, sei es für das Gesundheitswesen, sei es für Medien und Wissenschaft, sei es für das politische Krisenmanagement.

Aus diesem Grund hatte der Virologe Christian Drosten die Idee, zusammen mit dem Journalisten Georg Mascolo ein Gespräch zu führen, in dem nachträglich – ohne Hektik und Aufgeregtheit – ein Resümee gezogen werden sollte. 

Was können wir aus der Pandemie lernen? 

Was also können wir lernen? Zunächst einmal sollten wir uns vergegenwärtigen, dass Pandemien immer überraschend kommen und dass die anfängliche Situation immer von zahlreichen Unsicherheiten bestimmt wird. Natürlich kann man es sich bei der weiteren Beurteilung leicht machen und sagen, alles lief falsch, aber wenn man jenseits von Voreingenommenheit und Parteilichkeit urteilen will, fällt das Urteil nicht leicht.

Deutlich arbeiten aber Christian Drosten und Georg Mascolo in ihrem Gespräch heraus, dass die Voraussetzungen in verschiedenen Ländern unterschiedlich waren: dass Schweden sich eher einen lockeren Umgang leisten konnte als Deutschland und Großbritannien aufgrund eben dieses lockeren Umgangs sehr, sehr viele Tote zu beklagen hatte, mit anderen Worten: dort eine hohe Übersterblichkeit aufgrund von Covid zu verzeichnen war.

Klar wird in dem Gespräch auch, dass Schulschließungen – jedenfalls im März 2020 – nicht nötig gewesen waren, aber umgekehrt schnelle Impfungen sehr nützlich waren, je schneller, desto wirkungsvoller. Selbstkritisch gesteht Christian Drosten ein, dass er zunächst allzusehr auf Freiwilligkeit gesetzt hatte:  

Ich habe gedacht, das läuft rein über die Kommunikation und übers Erklären, jeder erkennt die Gefahr und verhält sich entsprechend. Ich lag bei meiner persönlichen Einschätzung zur Freiwilligkeit von Verhaltensänderungen komplett falsch. 

Das Präventionsparadox bleibt ein Problem 

Ein Problem bleibt – nicht nur bei den Impfgegnern und den Corona-Leugnern – das sogenannte Präventionsparadox. Gerade weil die Maßnahmen Erfolg haben, erkennt man deren Wirkung nicht. Christian Drosten:  

Man sieht die Krankheit nicht, die man verhindert hat, und ist dann blind für die Folgen, die ohne Präventionsmaßnahmen eingetreten wären. Man sieht also nur den Schaden der Präventionsmaßnahmen und übersieht den Nutzen.

Wissenschaftler wie Drosten, die sich damals öffentlich exponiert haben, wurden durch ihre klaren Stellungnahmen verschiedentlich belästigt, angegriffen und mit Hassmails überschüttet. Die Charité schickte die Mails gleich weiter an eine Anwaltskanzlei, sodass inzwischen viele der Absender angezeigt bzw. schon verurteilt sind.  

Wir sollten in Sachen Pandemie klüger werden und nicht erregter 

Inzwischen wissen wir, dass man zwar nicht verhindern kann, dass sich viele Menschen infizieren, aber durch die Impfungen vermeiden kann, dass sie daran sterben.

Das sollte man sich, so Drosten und Mascolo, für künftige Infektionen merken. Klar ist aber auch, dass durch das Vordringen in tropische Regenwälder, durch Wildtiermärkte, die Art und Weise der Nutztierhaltung und durch den weltweiten Reiseverkehr ziemlich perfekte Voraussetzungen für das Entstehen neuartiger Viren und damit Krankheiten geschaffen werden.

Das Gespräch von Drosten und Mascolo ist zwar keineswegs alarmistisch, lässt aber insofern keine Zweifel offen. In jedem Fall sollte eine mediale Polarisierung vermieden werden, es geht also darum, einen Journalismus zu praktizieren, der klüger macht und nicht erregter.  

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Conrad Lay