Diskutiert auf Platz 1 der SWR Bestenliste Juni 2024
Claire Keegan kann Männer. Das hat sie in ihren voran gegangenen Büchern bewiesen. Cathal, der Protagonist ihrer neuen, gerade einmal 60 Seiten umfassenden Erzählung „Reichlich spät“, ist allerdings kein Sympathieträger. Kein gewissenhafter Familienvater wie Bill Furlong in „Kleine Dinge wie diese“, kein barmherziger Beschützer wie Mr. Kinsella in „Das dritte Licht“. Cathal ist ein Durchschnittsmann, und das ist das Schlimme daran.
Er ist Angestellter in einer Behörde in Dublin. Der Tag, an dem die Erzählung einsetzt, sollte der Tag sein, an dem Cathal und seine Verlobte Sabine heiraten. Warum es nicht dazu kommt, erklärt der Erinnerungsfilm, der in Cathals Kopf abläuft. Es sind wie immer bei Claire Keegan die sprechenden Details, die ihre Figuren indirekt charakterisieren; unbewusste Gesten, unkontrollierte Reaktionen. Sabine will, das ist die Schlüsselszene der Erzählung, im Supermarkt Kirschen für einen Kuchen kaufen; Cathal erklärt sich bereit, sie zu bezahlen. Mehr als sechs Euro kosten sie. Dieser vermeintlich unverschämte Preis wird noch Wochen später Thema zwischen den beiden sein.
Claire Keegan erweist sich auch in diesem schmalen Werk als eine Meisterin in der Darstellung von Machtstrukturen. Ganz unmerklich dreht sie in „Reichlich spät“ die Verhältnisse um. Im letzten Drittel wird die Erzählung zu einer Reflexion auf vererbte Verhaltensmuster und gesellschaftlich internalisierte Frauenfeindlichkeit.
Mehr Literatur von Claire Keegan
Gespräch Claire Keegan – Das dritte Licht
Die Schriftstellerin Claire Keegan hat die Erzählung "Das dritte Licht" veröffentlicht, die in einer neuen, überarbeiteten Übersetzung vom Steidl Verlag veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das von Pflegeeltern auf einem irischen Bauernhof aufgenommen wird, und spielt im perspektivlosen Irland des Jahres 1981. Die Erzählung wurde verfilmt und als erster irischsprachiger Film für den Oscar nominiert. Christoph Schröder, der Kritiker, hat die Erzählung gelesen. | Alexander Wasner im Gespräch mit Christoph Schröder. | Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser | Steidl Verlag,104 Seiten, 20 Euro | ISBN 978-3-96999-199-2
Platz 2 (59 Punkte) Claire Keegan: Das dritte Licht
Ein Mädchen wird auf den Hof von entfernten Verwandten gebracht, weil seine Mutter erneut schwanger ist Mit einem präzisen Blick für Details zeigt Keegan, wie schwer ein Mensch, der einmal enttäuscht wurde, neues Vertrauen entwickelt.
Buchkritik Claire Keegan - Kleine Dinge wie diese
Irland in den 1980er Jahren: Claire Keegan erzählt in ihrem Roman "Kleine Dinge wie diese" vom Mut eines einfachen Mannes, der nicht mitschuldig werden will am Machtmissbrauch der katholischen Kirche. Eine eindringliche Geschichte über die Gefahr der Komplizenschaft, wenn Menschen das Grauen in ihrer Mitte ignorieren, um in ihrem Alltag fortfahren zu können - aber auch über die Möglichkeit, das Richtige zu tun.
Rezension von Claudia Fuchs.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag, 112 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-96999-065-0
Diskussion über vier Bücher SWR Bestenliste Juni mit Büchern von Salman Rushdie, George Saunders, Claire Keegan und Heinrich Steinfest
Shirin Sojitrawalla, Denis Scheck und Jan Wiele diskutieren vier auf der SWR Bestenliste im Juni verzeichneten Werke im Mozartsaal des Schwetzinger Schlosses.
Literatur SWR Bestenliste Oktober
Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.