Platz 2 (57 Punkte)

Marion Poschmann: Chor der Erinnyen

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Marion Poschmanns Prosawerk „Chor der Erinnyen“ wird im Februar 2024 von der Jury der SWR Bestenliste auf Platz zwei gewählt.

Marion Poschmann ist wie kaum eine andere deutschsprachige Autorin in der Lage, ein so perfekt ausbalanciertes Verhältnis von Poesie und Sprachreflexion, von Humor und Tiefe herzustellen.

Die Hauptfigur ihres neuen Romans heißt Mathilda und ist Lehrerin für Musik und Mathematik. Zu den Schülerinnen und Schülern pflegt sie ein distanziertes Verhältnis. Sie möchte vor allem eine Autorität sein, die Wissen vermittelt. Ihre hohen Ansprüche pflegt Mathilda in allen Lebensbereichen. Was nicht eindeutig und exakt ist, versucht sie aus dem Alltag zu verbannen. So hat sie auch seit Jahren nichts mehr in ihr Tagebuch geschrieben, weil ihr die schwungvollen, zunehmend krakeligen Buchstaben auf Papier nicht geheuer waren.

Die vermeintliche Kontrolle ist jedoch trügerisch: Eines Tages verschwindet Mathildas Ehemann. Einfach so. Er geht aus dem Haus und kommt nicht wieder. Doch nicht nur die eheliche Ordnung ist auf mysteriöse Weise gestört. Statt des Angetrauten taucht nämlich Birte auf, ihre missgünstige Kameradin aus Kindertagen. Und zwar nicht leibhaftig, sondern zunächst als Vision. Kurze Zeit später steht Birte tatsächlich vor der Tür. Seit Jahren haben sich die beiden Frauen nicht mehr gesehen, und doch scheint Mathilda den überraschenden Besuch vorausgeahnt zu haben. Kann sie wirklich in die Zukunft schauen? Ausgerechnet sie, die Verfechterin der Rationalität?

Plötzlich hört Mathilda Geisterstimmen, und all ihre rationalen Gesetze scheinen nicht mehr zu gelten. Die Handlung spitzt sich immer weiter zu – bis hin zu einer Wanderung, die in eine Katastrophe führt. Elegant und doppelbödig inszeniert Poschmann das Mythische und das Unheimliche.

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