Baden-Württemberg verleiht Landespreis für Dialekt

„Dialekt anerkennen fördert das Selbstbewusstsein"

Stand
Interview mit
Prof. Hubert Klausmann
Das Interview führte
Martin Gramlich

In Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann verleiht das Land Baden-Württemberg am 21.10. erstmals Landespreise für Dialekt. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert und wird in sechs Kategorien vergeben.

Im Gespräch mit SWR Kultur lobt der Dialektforscher Prof. Hubert Klausmann von der Uni Tübingen die Initiative, die aus dem Landtag kommt: „Es ist schon sehr gut, wenn Künstler unterstützt werden.“ Er sagt aber auch: „Es braucht mehr als Preise."

Im Alltag regiert die Mehrsprachigkeit

Mit dem Vorstoß der Landtagsfraktionen soll der kulturelle Reichtum von Baden-Württemberg gewürdigt werden.

Der Tübinger Sprachforscher warnt jedoch, den Gebrauch von Dialekt nicht symbolisch zu überfrachten und mit Regionalität gleichzusetzen: „Es gibt auch Heimat ohne Dialekt.“

Der Alltag der Menschen sei heute anders, gibt Klausmann zu bedenken: „Wir sind heute mehrsprachig.“ Damit meint der Dialektologe nicht nur Fremdsprachen-Kenntnisse, sondern das Nebeneinander von Hochdeutsch und Dialekt. Er ergänzt: „Es gibt neben dem Dialekt auch noch überregionale Zwischenstufen.“

Große regionale Unterschiede

Generell bestätigt Klausmann die Beobachtung, dass immer weniger Dialekt gesprochen wird. Doch sei dies vor allem eine Frage der Region: In manchen Gegenden, vor allem in der Nähe von Städten, sei die Fähigkeit, den jeweiligen Dialekt zu sprechen rapide geschwunden.

In anderen Regionen, vor allem in den ländlichen, sei Dialekt noch Alltag. Klausmann sagt über die Ergebnisse von Untersuchungen, es gebe weiterhin 30-40 Prozent der Kinder, die noch Dialekt beherrschen würden. Dies anzuerkennen sei für die Dialekt-Sprechenden wichtig, denn: „Das fördert ihr Selbstbewusstsein.“

Bayern hat es nicht besser

In SWR Kultur widerspricht der Sprachforscher dem Klischee, dass das Bayerische als einziger Dialekt in Deutschland positiv bewertet wird. „Auch die Bayern haben ganz große Schwierigkeiten“, stellt Klausmann fest und führt den Irrtum darauf zurück, dass – vor allem in den Medien – die bayerischen Dialekte zumeist mit Oberbayerisch gleichgesetzt würden.

Auch für den weiß-blauen Freistaat gelte die Regel: „Das ist ganz, ganz unterschiedlich."

Vielfalt ist Alltag

Die Förderung der Dialekte in Baden-Württemberg findet Klausmann grundsätzlich positiv – vor allem, wenn dadurch Künstler und Künstlerinnen unterstützt werden.

Er betont aber auch, dass Dialekte weit über diesen Bereich hinaus gefördert müssen. Dialekt sei mehr als Comedy. Den Wert von Dialekt anzuerkennen sei eine Akzeptanz des Alltags: „Varietät ist das ganz Normale.“

Professor Hubert Klausmann ist Germanist und Dialektologe. Er lehrt seit 2009 an der Universität Tübingen am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Er ist unter anderem Autor des „Sprachatlas von Baden-Württemberg“ und Mitherausgeber von „Kleiner Dialektatlas. Schwäbisch und Alemannisch in Baden-Württemberg“.

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Martin Gramlich