Herauszufinden, wer Kulturgüter wann besessen hat, kann sehr kompliziert sein. Dorothee Glawe arbeitet als Spezialistin für NS-Raubgut am Mainzer Landesmuseum. Die Provenienzforscherin weiß, welche Quellen mehr über die Biographie eines Kunstwerks verraten.
Provenienzforschung gehört zur normalen Museumsarbeit. Natürlich will ein Museum wissen, woher die Stücke aus seiner Sammlung stammen.
Besonders spannend für die Öffentlichkeit wird es aber meist dann, wenn der Verdacht besteht, dass Kulturgüter zu Unrecht erworben wurden. Wenn sie also aus Kolonien entwendet wurden, in Kriegen geraubt oder im Nationalsozialismus den Eigentümer*innen entzogen wurden.
Mit solchem so genannten NS-Raubgut hat sich Dorothee Glawe in den letzten Jahren beschäftigt. Sie ist Provenienzforscherin am Mainzer Landesmuseum.
Provenienzforschung als sinnstiftende Tätigkeit
In Hamburg hat Dorothee Glawe Kunstgeschichte studiert. Die Provenienzforschung, die sowohl Teil der Kunstgeschichte als auch der Geschichte ist, hat sie schon während ihres Studiums besonders interessiert.
Inzwischen gibt es Masterstudiengänge oder Lehrgänge des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste, aber sie hat die Provenienzforschung in der Praxis gelernt. Dorothee Glawe hat bei der Arbeit gern ihre Ruhe und liebt es, in Archiven zu recherchieren.
Allerdings stößt sie bei ihrer Arbeit auch auf Geschichten, die schwer zu ertragen sind. Denn sie recherchiert ja nicht nur die Biografien der Kunstobjekte, sondern erfährt auch viel über deren ehemalige Besitzer*innen.
Für die Grausamkeiten des NS-Regimes könne es keine Wiedergutmachung geben, sagt Dorothee Glawe. Aber wenn sie ein Kunstwerk zurückgeben könne, sei es ein sehr schönes Gefühl, etwas zu tun, das einen Symbolwert habe.
Vielfältige Recherchemöglichkeiten, ein enges Netzwerk und ein gutes Gedächtnis
Um die Biografie eines Kunstwerks zu erforschen, muss Dorothee Glawe es in einem ersten Schritt erst einmal genau untersuchen: Wann wurde es geschaffen? Von wem?
Dann sucht sie nach wissenschaftlichen Publikationen, zum Beispiel in Ausstellungskatalogen. Bei bekannten Sammlern kann ein biographischer Zugang helfen oder bei berühmten Künstlern das Werkverzeichnis. Weitere Quellen sind Inventarbücher, Archive, Datenbanken, Auktionskataloge oder Korrespondenzen – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Bei den Recherchen landet Dorothee Glawe auch immer mal wieder in einer Sackgasse. Dann lässt sie den Fall ruhen und wendet sich einem anderen Objekt zu – bis vielleicht Jahre später an anderer Stelle ein entscheidender Hinweis auftaucht, den sie dann auch zuordnen können muss.
Ein gutes Gedächtnis gehört dazu und ein gutes Ablagesystem. Außerdem sind die Provenienzforscher*innen gut vernetzt und pflegen einen engen Austausch; die Schwarmintelligenz hilft auch oft weiter.
Moralische Verpflichtung, projektbasierte Finanzierung
Im Jahr 1999 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, die Bestände in ihren Museen zu erforschen, unter anderem um NS-Raubgut zu identifizieren und zurückzugeben. Auch das Mainzer Landesmuseum hat finanzielle Unterstützung erhalten vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste und vom Land Rheinland-Pfalz.
Im November läuft diese Projektförderung aus. Es ist geplant, ein weiteres Projekt zu beantragen oder die Stelle für Provenienzforschung sogar zu verstetigen – doch die Finanzierung ist bislang ungeklärt. Dorothee Glawe ist zuversichtlich, dass es weitergeht. Genug Arbeit gäbe es.
„Es gibt immer offene Enden und immer noch mehr zu recherchieren. Wenn so ein Projekt zu Ende geht, kann man nur versuchen, die Fälle nach bestem Wissen und Gewissen abzuschließen und hoffen, dass jemand sie nochmal in die Hand nimmt“, sagt sie.
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