Die Grenzen der Kunst geben immer wieder Anlass zur Diskussion. Besonders hoch schlagen die Wellen der Erregung, wenn es um nackte Brüste und sexualisierte Darstellungen geht. Was darf gezeigt werden und wo liegen die Grenzen der Freiheit? Nacktheit polarisiert und das beschäftigt auch die Museen im Südwesten.
David sorgt in den USA für Skandale – aber nicht nur da
Ist Michelangelos David pornografisch oder nicht? Der Fall um eine entlassene Schulleiterin einer Privatschule in Florida beherrschte im letzten Jahr die Schlagzeilen. Die Direktorin hatte ihrer Klasse im Kunstunterricht Michelangelos Staute, die wahrscheinlich bekannteste Skulptur der Kulturgeschichte, gezeigt und musste deshalb ihren Posten räumen. Eltern hatten sich beschwert, dass ihre Kinder im Unterricht mit pornografischen Bildern konfrontiert wurden.
Nacktheit provoziert und gerade Michelangelo war ein Meister der Provokation: Sein Wandgemälde des „Jüngsten Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle löste mit seinen nackten Engeln und Heiligen noch zu seinen Lebzeiten einen dramatischen Fall von Cancel Culture aus. Die anstößigen Stellen wurden kurz nach dem Tod des Künstlers auf päpstliche Anordnung hin übermalt
Aktuelle Ausstellung der Villa Streccius in Landau: „nAcKT“
Zu gewagt für das Museum?
2010 wagten sich das Kunstmuseum Bern und das Zentrum Paul Klee mit der gemeinsamen Ausstellung „Lust und Laster“ an eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Todsünden. Dabei durfte ein Raum erst ab 16 Jahren betreten werden und war mit folgendem Hinweis versehen: „Warnung. Im folgenden Raum sind Werke ausgestellt, die pornografischen Charakter aufweisen. Es handelt sich dabei um Kunst mit schutzwürdigem kulturellem Wert.“
Dazu zählte zum Beispiel auch Jeff Koons berühmt-berüchtigte Darstellung von Exfrau und Pornostar Cicciolina in eindeutiger Liebeslage. Das müsse man wahrlich nicht jedermann, Kindern und ohne Beschränkung zeigen, meint auch die Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie Christiane Lange.
Einen Akt von Rubens oder Modigliani „hinter den Vorhang“ zu stellen, weil sich Besucher dadurch „gestört fühlen könnten“, findet sie allerdings übergriffig. „Als Museum müssen wir versuchen, uns nicht zu sehr in den Zeitgeiststrudel reinziehen zu lassen“.
Museum als Ort der Sehschule
Das nackte Posieren, den Frauenkörper, hat die Staatsgalerie gerade erst mit einer großen Werkschau des italienischen Künstlers Amedeo Modigliani in den Blick genommen. Kein Voyeurismus, der Frauen zum Objekt degradiert.
Es sind moderne Frauen, die Hosen, Krawatten und kurzen Bubikopf tragen – Anfang des 20. Jahrhunderts ein Skandal. Und diese Frauen bestimmen selbst, wie sie sich vor dem Maler positionieren, wie viel Haut sie preisgeben wollen. Nacktheit als Akt der Befreiung von gesellschaftlichen Normen und Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins.
Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs habe „eine ganze Generation einen neuen Blick auf den von Kleidung entblößten nackten Menschen“ gewonnen, das sei kein überhöhter Akt mehr und auch von Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker gemacht, betont Chefin der Stuttgarter Staatsgalerie. Christiane Lange sieht es daher als Aufgabe des Museums an, diese Entwicklung in der Darstellung von Frauen zum Ausdruck zu bringen. „Wir sind der Ort, an dem man reflektieren lernen kann.“
„Freiheiten im Denken“
Um „provozierende Körperlichkeit“ geht es aktuell auch in der Ausstellung „der die DADA“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck, die die Rolle der Künstlerinnen für diese revolutionär subversive Kunstbewegung sichtbar macht. Dabei geht es auch, wenngleich weniger um Nacktheit als um zum Teil sehr exzentrische Kommentare zum männlichen Blick auf den weiblichen Körper.
Künstlerinnen wie Elsa von Freytag-Loringhoven brachen sehr bewusst mit traditionellen Geschlechterrollen. In einem frühen Filmprojekt von 1921, das angeblich Man Ray und Marcel Duchamps gemeinsam realisiert haben sollen, lässt sich die Dada-Baronin das Schamhaar rasieren. Für die damalige Zeit eine ungeheure Provokation. Der Film ging jedoch verloren, nur ein Standbild ist erhalten geblieben, das bis heute Anlass zu Spekulationen und Gerüchten bietet.
Julia Wallner, die Direktorin des Arpmuseums, hat sich wissenschaftlich mit der Nacktheit in der Kunst, vor allem mit der Sicht „des Betrachters vor Bildnissen liegender Nackter“ beschäftigt. Ebenso wie in Stuttgart gehört das Ausstellen von Nacktheit auch in Remagen selbstverständlich zum Konzept.
Es gehe darum, „Freiheiten im Denken“ anzuregen, in einem geschützten Raum wie dem Museum „Fragen nach Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen“ zu diskutieren. „Das kann und darf auch provozieren“, meint Julia Wallner. Das gehöre zu einem freiheitlichen Prozess. „Dafür stehen Museen.“
Unter 5 Prozent Künstlerinnen, 85 Prozent weibliche Akte
Tatsache ist: Mit der #MeeToo-Bewegung, die seit 2017 eine neue Feminismus-Debatte aufgeworfen hat, wurden die Fragen nach den Grenzen des Zumutbaren, des Zeigbaren, längst nicht zum ersten Mal aufgeworfen.
Mit Bananen und Gorilla-Masken bewaffnet, haben die Guerilla-Girls, eine Gruppe anonymer Aktivistinnen, schon seit Mitte der 1980er-Jahre gegen Diskriminierung und Rassismus in der Kunstwelt Front gemacht. Ihr schreiend gelbes Plakat, das 1989 an allen New Yorker Bussen prangte, stellt die bis heute kunstpolitische relevante Frage: „Do women have to be naked to get into the Met. museum?“ – Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?
Die Antwort damals ist wenig überraschend, aber dennoch sehr ernüchternd: Weniger als 5 Prozent der Künstler*innen der modernen Abteilung sind Frauen, aber 85 Prozent der Aktdarstellungen sind weiblich. An dieser Aussage hat sich bis heute kaum etwas verändert, allein der Anteil der weiblichen Aktdarstellungen war 2012 auf 76% zurückgegangen.
Nacktheit als Mittel zur Emanzipation
Schon früh hat auch die Performance-Kunst den entblößten Körper als Mittel im Kampf um Gleichberechtigung und andere Wahrnehmungen entdeckt. Mit ihrer „Body Art“ hält eine Künstlerin wie Marina Abramović bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren der Gesellschaft den Spiegel vor, lotet Beziehungen und Konflikte aus, stellt Geschlechterrollen in Frage.
1968 geht auch die österreichische Performance-Künstlerin Valie Export mit ihrem „Tapp- und Tastkino“ auf die Straße und lässt Passanten wie Passantinnen durch eine Box nach ihren Brüsten greifen. Eine Aktion, mit der sie weniger ihren eigenen Körper bloßstellt als die Reaktion und das Verhalten der Öffentlichkeit.
„Wenn ich meinen Körper enthülle, enthülle ich vielmehr die Hässlichkeit in den Köpfen der Menschen“, sagt denn auch die britische Wirtschaftswissenschaftlerin, Aktivistin und Künstlerin Victoria Bateman, die ihren nackten Körper auch im Hörsaal einsetzt, um auf sexualisiertes Denken aufmerksam zu machen.
Eintreten für einen Perspektivwechsel
Frauen malen nicht anders als Männer, aber ihre Lebensbedingungen, Befindlichkeiten, Möglichkeiten und Ausdrucksformen sind anders. Wenn man sich heute in Kunstwerken mit dem Thema Nacktheit auseinandersetze, dann wolle man eher die weibliche Perspektive einnehmen, sagt Yasmin Afschar. Die Interims-Direktorin der Kunsthalle Mainz macht deutlich, dass es dabei weniger um Provokation und Protest gehe als darum, eigene Bilder zu schaffen und Tabus abzubauen.
Mehr denn je aber steht heute die Frage nach dem ganzen Menschenbild in der Kunst im Mittelpunkt. So hat die Kunsthalle Mainz hat mit der „Schule der Liebenden“ ein Kunst- und Bildungsprojekt der niederländischen Künstlerin Melanie Bonajo realisiert, das die traditionellen Sehweisen auf Sexualität auf den Prüfstand stellt.
Queere Kunst von Philipp Gufler in der Kunsthalle Mainz
Neben solch feministischen Positionen will Yasmin Afschar auch queere Positionen in ihrem Haus deutlich machen. Es sollen keine „popkulturell getrimmten Werbekörper“ ausgestellt werden, betont sie, „sondern auch ältere Körper oder Köper, die nicht den gängigen Schönheitsnormen entsprechen.
Unabhängig vom Geschlecht ist die Leiterin der Stuttgarter Staatsgalerie Christiane Lange überzeugt: „Wenn die Kunst großartig ist, ist das ein Beitrag, den wir sehen müssen.“
Politikum weibliche Brust
Dadaistinnen im Arp-Museum Remagen New Yorks deutsche Dada-Baroness: Wie Elsa von Freytag-Loringhoven die Kunst neu erschuf
Elsa von Freytag-Loringhoven gilt im New York der 1920er-Jahre als Königin des Dada. Das Arp-Museum stellt sie und andere dadaistische Künstlerinnen ins Rampenlicht.
Ausstellung in der Kunsthalle Mainz Die queere Kunst von Philipp Gufler
Philipp Gufler ist queerer Aktivist und Künstler. In der Kunsthalle Mainz zeigt er aktuell seine bisher größte Einzelausstellung: Dis/Identification. In der Schau befasst sich Gufler mit der Geschichte queeren Lebens und den Bildern, die davon gezeichnet werden. Seine Ausdrucksmittel sind Videoinstallationen und Siebdrucke auf Stoff, Spiegeln und Papier. Darin enthalten: jede Menge Referenzen zu Popkultur und Kunstgeschichte aber auch die Würdigung bedeutender Menschen, Bewegungen und Orte der queeren Bewegung.
My Hidden History Warum eine barbusige Statue in Mainz verschwinden musste
1930 zogen die französischen Besatzer aus Mainz ab. Die Bürgerschaft freute sich über die Befreiung. Sie beauftragte den Bildhauer Benno Elkan mit einem Denkmal in Form einer Frauenfigur. Doch kurz nach der Einweihung empörte sich die katholische Kirche: Die nackte Brust der steinernen Statue war ihr ein Dorn im Auge.
Porträt Marina Abramović – Prägende Performance-Künstlerin der Gegenwart
Tagelang stillsitzen, sich bewerfen und verletzen lassen: Mit ihren Performances sprengt Marina Abramović die Grenzen der Kunst und geht dabei über eigene.
Gespräch Julia Fritzsche, Journalistin: Gleiche Rechte für männliche und weibliche Oberkörper
Männer und Frauenbrüste sollten gleichbehandelt werden. Das fordert die Journalistin Julia Fritzsche. Anknüpfend an ihr neues Buch „Oben ohne. Warum die nackte Brust immer politisch ist“, sagte Fritzsche in SWR Kultur am Morgen: „Wir brauchen gleiche Regeln für alle Geschlechter für unsere Oberkörper“. Jede Kleiderregel, die nicht für alle gelte, bedeute nämlich Hierarchie. Zudem schließe die Regel: „Männerbrüste ja, Frauenbrüste nein“ queere Menschen komplett aus, kritisierte die Journalistin. In vielen indigenen Völkern sei Nackheit die Norm gewesen, betonte Fritzsche. Dass der weibliche Körper mittlerweile derart tabuisiert sei, liege an der Ausbreitung der monotheistischen Religionen. Außerdem hätten wir mit der Urbanisierung angefangen, uns für unsere Körper zu schämen. Wann und wo das Brüste-Bedecken begonnen habe, sei nicht ganz klar. „Wir können uns daran gewöhnen, dass alle Geschlechter oben ohne gehen“, so die Vision Fritzsches. Eine Normalisierung der weiblichen Brust sei möglich, „indem wir sie ignorieren, indem wir nicht gaffen und nicht belästigen und die Frau einfach oben ohne am Wasser ihre Romane lesen lassen.“