Schon die alten Römer begeisterten sich für Darstellungen voller Teller, im niederländischen Barock hatte das sogenannte Stillleben seine Blütezeit. Auch zeitgenössische Künstler haben das Stillleben als Statement für sich entdeckt. Sowohl politisch, als auch als Zeichen der Entschleunigung, wie es die Ausstellung „Gegen die Zeit“ in der Villa Streccius in Landau mit Werken von Elizabeth Joan Clarke, Sabine Steimer und Roland Albert anschaulich verdeutlicht.
Wehmut und Wonne, Schönheit und Sehnsucht
Man könnte reinbeißen in die prallen gelb-orangenen Pfirsiche des Künstlers August Croissant. 1918 malte er dieses Aquarell der prallen Früchte: ein „Pfirsich-Stillleben“.
Die Werke von Pfälzer Künstlern wie August und Hermann Croissant, Rolf Müller Landau oder Friedrich Ferdinand Koch – oft üppige Blumenarrangements in aufwendig bemalten Vasen oder mit knackigem Obst in ausladenden Schalen – haben eine Gemeinsamkeit.
Wehmut und Wonne, Schönheit und Sehnsucht: Stichworte, die in der Entwicklung des Stilllebens maßgeblich zu dessen Erfolg führten. Das Stillleben selbst, also das Arrangement von Lebensmitteln oder Alltagsgegenständen, ist nicht vom Himmel gefallen. Schon die Antike war dem Foodporn von TikTok lange voraus. Zumindest, was die Motive angeht.
Der schöne Schein von Stillleben Tote Fische und schöne Sträuße – Das Stillleben hat Renaissance
Im Barock war das Stillleben der Inbegriff von Opulenz und Vergänglichkeit. Bis heute inspiriert es Maler, Bildhauerinnen und Foto-Künstler*innen – bis hin zum Foodporn.
Stillleben besonders beliebt im Barock
Im niederländischen Barock hatte das Stillleben seine Blütezeit. Warum aber beschäftigen sich zeitgenössische Kunstschaffende immer noch – oder gerade jetzt – mit dem „Stillleben“?
Elizabeth Clarke stellt ihre Arbeiten zum Thema jetzt neben Malerin Sabine Steimer und Bildhauer Roland Albert in Landau aus: „Meine Mutter hat mich ziemlich viel in Museen geschleppt. Ich fand schon damals – da war ich so acht, neun – die holländische Malerei so 17./18.Jahrhundert total spannend. Mich faszinieren tatsächlich die Lichtstimmungen, das ist das eine. (…) Und aber auch, was ich an Stimmung wahrnehme an diesen alten Meistern. Und ich bin irgendwann auf die Idee gekommen, wie ich die Stimmungen, die ich so mag, auf ein Foto transportiert bekomme. Eben weg von der Malerei, neu moderner interpretiert und in unsere Zeit geholt“, sagt sie.
Elizabeth Clarke lebt mit ihrem Mann, dem Miniaturfotografen Frank Kunert, in einem 100 Jahre alten romantischen Haus in Boppard am Rhein. Dort entstehen ihre Werke.
„Ich mache einen Aufbau in meinem Studio. Also alles, was man auf der fertigen Fotografie sieht, so hat es auch zuhause auf dem fertigen Aufbautisch gestanden. Von der Fliege, die an was nagt, bis zu einem Schmetterling oder einem ausgestopften Vogel. Und ich benutze nur Tageslicht, was durch mein Studiofenster fällt. Und ich bearbeite gar nichts digital“, erläutert Clarke
Opulenz als Parallele zur Gegenwart
Elizabeth Clarke inszeniert den gedeckten Tisch, das Prunkstilleben mit Hummer, Austern und einem riesigen Weinglas ebenso wie das reduzierte Ensemble aus Vorhang, Vase und Blumen. Für das sparsame Auge, aber auch für den Liebhaber des Üppigen ist etwas dabei. Und das Ganze dauert.
Prunk – also eines der Hauptkennzeichen des barocken Stilllebens – findet Elizabeth Clarke spannend und sieht eine Parallele zwischen gestern und heute: „Das Stillleben spielt damit, dass es Prunk darstellt oder Vergänglichkeit und ich finde, dass das einen Nerv der Zeit auch trifft. (…) Wir haben Kriege vor der Haustür. Da haben wir das Thema Vergänglichkeit aktuell vor uns und auf der anderen Seite sehnen wir uns nach dem Schönen und Leichten und dem Luxus.“
Elizabeth Clarke malt zu Elektro-Beats
Elizabeth Clarke arbeitet konstant zu Musik – nicht etwa zu Musik des Barocks, sondern gerne zu Elektro. Sie liebt die Schnelligkeit als Kontrast zum Stillleben. Und ist dabei mit ihren Themen topaktuell. „Eyes Wide Open“ ist so ein Beispiel. Entstanden drei Tage, bevor Putin in die Ukraine einmarschiert ist: „Die arme Rabenkrähe steht leider für den todbringenden Vogel in der Literatur. Hier liegen lauter Geschichtsbücher. Und der Apfel ist oft ein Symbol für einen Planeten. Und der wird von einem schwarzen Käfer weggerollt aus seiner Laufbahn geworfen. Also es soll heißen, hier ist was Schreckliches zugange. In dem Nest sind Ringe von meiner Großmutter, die sie auf der Flucht damals aus dem Sudetenland mitgebracht hat“, fasst Clarke das Motiv zusammen.
In einem anderen Werk wird das in Falten fallende Tischtuch mit einer Bubblefolie aus Plastik ersetzt. Ein Hinweis auf unseren Konsumwahn und die Umweltverschmutzung.
Die Ausstellung in der Villa Streccius in Landau greift aktuelle Themen auf und zeigt das Stillleben als zeitloses Genre, was sich auch im Titel „Gegen die Zeit“ ausdrückt. Künstler der pfälzischen klassischen Moderne wie F. F. Koch, August und Hermann Croissant, Rolf Müller-Landau oder Hermann Sauter werden den an barocke Stillleben angelehnten Fotografien von Elizabeth Joan Clarke, den klassisch anmutenden Ölgemälden von Sabine Steimer sowie den plastischen Arbeiten von Roland Albert gegenübergestellt.