Ausstellung

Angst als ständiger Begleiter – Der russische Künstler Vasilij Sumin zeigt seine Videoarbeit am ZKM

Stand
Autor/in
Marie-Dominique Wetzel

Mit zwei T-Shirts, einem Laptop, einer Kamera und seinem Hund ist Vasilij Sumin vor anderthalb Jahren aus Russland geflohen. Der Medienkünstler hatte gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine protestiert und erlebte daraufhin die Gewalt der russischen Polizei. Das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe gab ihm ein Gastkünstler-Stipendium. In seiner Videoarbeit „The resemblance to the speech will be erased” verarbeitet Vasilij Sumin Filmaufnahmen, die er während seiner Zeit in Karlsruhe gemacht hat.

Ein Kamerateam hält zufällig die Verhaftung von Vasilij Sumin fest

Ein Tor wird geöffnet, ein Hund stürmt hindurch, fängt an zu rennen und nach etwas zu schnappen. Die Szenerie in der Videoarbeit wirkt bedrohlich und es dauert ein bisschen, bis man begreift, dass der Hund auf einem Bolzplatz ist und nur mit einem Ball spielt. Schnitt. Plötzlich sieht man Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken, die junge Menschen in vergitterte Polizeiwagen stoßen. Mittendrin: Vasilij Sumin mit seinem weißen Hund. Ein Kamerateam hatte zufällig die Szene gefilmt, als der Künstler wegen einer Anti-Kriegsdemo in Moskau verhaftet wurde.

„Ich wurde zusammen mit meinem Hund verhaftet und wir wurden 24 Stunden auf einer Polizeistation festgehalten. Ich weiß nicht warum, aber die Polizei dachte, ich hätte die Demo organisiert. Es war schrecklich, ich war ihnen schutzlos ausgeliefert! Hatte keine Ahnung, ob ich da je wieder lebend herauskomme. Das war wirklich hart.“, sagt Vasilij Sumin.

Kontakte in die deutsche Kunstszene ermöglichen die Flucht

Vasilij Sumin wollte nur noch weg. Er hatte sich schon seit längerem als freiwilliger Helfer für politisch Verfolgte engagiert und viele schreckliche Geschichten von Polizeigewalt gehört. Durch die Kunstszene hatte Vasilij Sumin Kontakte nach Deutschland. Hals über Kopf floh er aus seiner Heimat: 

„Meine Kamera, mein Hund, mein Laptop, ein paar T-shirt, das ist alles, was ich habe.“

Vasilij Sumin stammt aus Sibirien, er hat an der Kunstakademie in Moskau studiert und dort dann als freischaffender Künstler gearbeitet. Er versuchte, unter dem Radar zu agieren und für den Staat unsichtbar zu sein, erzählt der 33-Jährige. Bis zum Tag seiner Verhaftung sei ihm das auch ganz gut gelungen.

Doch jetzt habe er ständig Angst. Diese Angst wird auch in seiner Videoarbeit spürbar. Er habe lange überlegt, wie er seine Erfahrungen künstlerisch verarbeiten könne, sagt Vasilij Sumin.

Eine Frau sitzt auf dem Boden und schaut sich eine Videoarbeit von Vasilij Sumin an
Die Videoarbeiten von Vasilij Sumin erzählen in einer ganz eigenen, verfremdeten Bildsprache, die an Computerspiele und Cartoons erinnert, von Angst und Einsamkeit.

Hunde-Kamera gibt ungewöhnliche Einblicke, ChatGPT sorgt für mögliche Antworten

Als Videokünstler arbeite er ja mit Bildern – aber er habe nichts anderes mehr als die schrecklichen Bilder aus dem Krieg in der Ukraine im Kopf gehabt, die er ständig in den Nachrichten und in den sozialen Medien verfolgt: „Diese Bilder haben mir das Herz gebrochen! Und ich habe immer wieder gedacht: das ist nun mein Leben, diese schrecklichen Bilder sind jetzt meine Realität. Aber ich kann diese Bilder nicht in meinen Kunstwerken zeigen. Denn die meisten Leute machen dicht. Und das ist ja auch normal: Keiner möchte so etwas sehen! Also dachte ich: Ich muss eine andere Bildsprache finden. Deswegen ist in meinem Video alles verfremdet und sieht aus wie in einem Videospiel oder einem Cartoon.“

Vasilij Sumin hat eine Kamera auf den Rücken seines Hunds geschnallt. Man sieht die beiden an Antikriegsdemos in Karlsruhe teilnehmen, durch die Stadt laufen, in die S-Bahn steigen. Meist irren sie ziellos herum.

Alle Menschen, denen sie begegnen, wirken entweder bedrohlich oder abweisend. Die Geräusche sind übersteuert und verstärken noch die furchteinflößende Stimmung. Immer wieder wird Text eingeblendet. Fragen, die Vasilij Sumin ChatGPT gestellt hat: Was kann ich gegen meine Angst tun? Wie verhält man sich am besten bei einer Inhaftierung? Mal sind die Antworten, die ihm der Chatbot mit Hilfe künstlicher Intelligenz liefert, sehr pragmatisch – mal völlig absurd.

Schwierige Rolle als russischer Geflüchteter

Vasilij Sumin ist froh, dass er wieder einen Weg gefunden hat, künstlerisch zu arbeiten. Das Gastkünstler-Stipendium am ZKM war seine Rettung, sagt er. Und die Freundschaft, die er dort mit den ukrainischen Stipendiatinnen geknüpft hat. Gegenseitig waren sie sich eine große Stütze, sagt er.

Die meisten der Stipendiatinnen sind inzwischen weitergezogen, haben Projekte oder andere Förderungen erhalten. Wie es mit ihm weitergeht, weiß er noch nicht. Er wolle sich nicht beschweren, sagt Vasilij Sumin, seine Situation als russischer Geflüchteter sei eben schwieriger: „Ich trage Verantwortung, das ist mir bewusst. Aber ich war hier in Karlsruhe lange ziemlich isoliert. Das war schon hart. Im Alltag wurde ich oft böse angeschaut, wenn ich mich als Russe zu erkennen gab. Ich sehe natürlich, dass man jetzt vor allem den ukrainischen Geflüchteten helfen muss. Kaum jemand will mir ein Stipendium geben, weil eben jetzt niemand mit einem Russen zusammenarbeiten möchte.“

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