Das Judentum ist für eine ausgeprägte Kultur des Witzes berühmt, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. In der christlichen Tradition sucht man dieses Merkmal hingegen vergeblich. Der Humor hätte mit der Bewahrung der eigene Identität zu tun, erklärt der Literaturwissenschaftler Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek.
Papst empfängt internationale Comedians im Vatikan
Humoristinnen und Künstler hätten die Fähigkeit, „neue Versionen der Welt zu träumen“, findet der Papst. So heißt es in einer Pressemitteilung des Vatikans anlässlich des Treffens zwischen Heiligem Stuhl und Humorist*innen. Mit dieser Begegnung wolle er die Schönheit der menschlichen Vielfalt feiern. Es solle ein Moment sein, um Freude und Hoffnung zu teilen. Der Papst betonte auch, dass die Bibel voll von Momenten der Ironie sei, „in denen die Anmaßung der Selbstgenügsamkeit, der Ausflüchte, der Ungerechtigkeit und der Unmenschlichkeit verspottet wird.“
Als humorvoll wird Papst Franziskus von vielen Menschen beschrieben, die ihn mal getroffen haben. Am Freitag, dem 14. Juni 2024 hat er Komiker*innen aus 16 Ländern empfangen. Unter ihnen: US-Schauspielerin Whoopi Goldberg und Late-Night-Moderator Jimmy Fallon sowie aus Deutschland Comedians wie Meltem Kaptan, Michael Mittermeier und Till Reiners.
Und trotzdem hat sich im Laufe der Jahrhunderte kein bestimmter „christlicher Humor“ entwickelt, ganz im Gegensatz zur jüdischen Kultur. Die genaueren Gründe dafür seien schwierig festzustellen, sagt Dr. Burkhard Meyer-Sickendiek, Literaturwissenschaftler für Neuere deutsche Literatur an der FU Berlin. Habilitert hat er über literarischen Sarkasmus in der deutsch-jüdischen Moderne.
Witze und Anekdoten als kulturelle Identität
Das Christentum, vor allem in Europa, habe nie seine Identität schützen müssen, erklärt Meyer-Sickendiek im Interview mit SWR Kultur. Der Witz stehe für kulturelle Identität, die zu bewahren Jüdinnen und Juden kämpfen mussten.
Der „jüdischer Witz“ stamme aus einer mündlichen Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts und habe die Form von Anekdoten und Erzählwitzen, so der Literaturwissenschaftler, die erst später in verschiedenen Sammlungen, überwiegend in den 1920er-Jahren, zusammengetragen wurden. Diese Geschichten reflektieren auch das jüdische Leben. In dieser Tradition habe man sich stark über sich selbst lustig gemacht: über starke religiöse Traditionen genauso wie über Gaunereien und Lebenskünstlertum.
„Lachen unter Tränen“
Typisch für den jüdischen Witz sei auch das „Lachen unter Tränen“, erklärt der Literaturwissenschaftler: eine gewisse Bitterkeit, die sich vor allem in der Diaspora abgezeichnet hat. Trotz der schwierigen Bedingungen habe man versucht, nicht den Humor zu verlieren.
Woody Allen und Adam Sandler stehen in der Tradition des jüdischen Witzes
Vor allem im jüdischen Exil habe sich eine bestimmte jüdische Identität durch den Witz überliefert, meint Meyer-Sickdieck: „Humor ist bei vielen Menschen mit jüdischen Hintergrund eine auffallende Form der Identität.“
In der Diaspora haben sich Merkmale dieser Witzkultur nationenübergreifend verbreitet. Daher sind einige der typischen Aspekte diese Art von Satire beispielsweise auch bei amerikanischen Künstlern wie Woody Allen oder Adam Sandler zu erkennen.
Die Ausprägung dieser bestimmten Art zu lachen habe viel mit dem Ertragen des Lebens in der Diaspora zu tun. „Im Christentum ist das in dieser Extremität nie der Fall gewesen“, erklärt Experte Meyer-Sickdieck. Viel mehr als um Religion gehe es hierbei um Kultur: „Dieser Witz als Kultur ist ein ganz wichtiges Identitäsmerkmal.“
Gespräch „Humor macht Diktatoren Angst“ – Herta Müller wird 70
Literaturnobelpreistägerin Herta Müller wird 70 und sagt, Humor ist überlebenswichtig, 1987 aus Rumänien vor dem Geheimdienst geflohen, lebt sie in Berlin und bleibt weiterhin ein kritisch denkender Kopf. Kristine Harthauer hat mit Herta Müller gesprochen.
Gespräch Angekommen! Jüdische Autor*innen schreiben in Deutschland
„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – das wird dieses Jahr gefeiert. Denn ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 belegt, dass damals bereits Jüdinnen und Juden in Köln lebten. Trotz der schweren Pogrome zu Beginn des Ersten Kreuzzugs (1096), während der Pest (1349) und auch trotz des noch immer unfassbaren Holocaust im 20. Jahrhundert leben bis heute Jüdinnen und Juden in Deutschland. In den letzten Jahrzehnten nimmt ihre Zahl sogar stark zu: durch den Zuzug osteuropäischer Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und auch weil Berlin bei Israelis besonders beliebt ist. Viele Autorinnen und Autoren sind darunter, und sie bereichern das literarische Leben in Deutschland. Der Kritiker Carsten Hueck kennt die Details.
Carsten Hueck freut sich auf den Roman „Schicksal“ von Zeruya Shalev, der Ende Mai im Berlin-Verlag erscheint, und empfiehlt:
Chaim Grade: „Von Frauen und Rabbinern“
Aus dem Jiddischen von Susanne Klingenstein, Die Andere Bibliothek, 44 Euro.
Tomer Gardi: „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Droschl, 20 Euro.