Zwei Jahre lang war das Pop-Duo Milli Vanilli mit Hits wie „Girl you know it’s true“ oder „Baby don’t forget my number“ einer der erfolgreichsten Acts der Welt. Doch auf die Enthüllung, dass sie nie selbst gesungen hatten, folgte ein spektakulärer Abstieg. Davon erzählt Simon Verhoeven in seinem temporeichen, unterhaltsamen und berührenden Film „Girl you know it’s true“.
Absurd gutausehende Tänzer
Als Boney M-Produzent Frank Farian die beiden schwarzen Jungs Rob und Fab trifft, weiß er, dass er die Stars für sein nächstes Projekt gefunden hat. Den Song „Girl you know it’s true“ hat Farian mit anderen Sängern schon im Kasten.
Das Problem: optisch machen sie nichts her. Diese beiden athletischen Tänzer dagegen mit ihren langen eingeflochtenen Zöpfen sehen geradezu absurd gut aus und für die weiße 80er-Jahre Bundesrepublik aufregend exotisch. Als Pop-Duo „Milli Vanilli“ sollen sie das Gesicht des Songs werden.
Illusion und Täuschung als Geschäftsmodell
Es geht um Illusionen und Täuschungen in diesem Film, aber auch darum, inwiefern Menschen willens sind, sich täuschen zu lassen. Frank Farian hat aus dieser Gratwanderung ein Geschäftsmodell gemacht.
Matthias Schweighöfer spielt ihn als genialen Musiker und erfolgsbesessenen Geschäftsmann. Zwar umweht ihn immer die leicht piefige Aura von Kartoffelsuppe, aber er produziert einen Hit nach dem anderen.
Vor allem hat er begriffen, wie MTV die Regeln des Popbusiness geändert hat: nicht auf die Stimme, auf den Look kommt es an. Und den verkörpern Milli Vanilli perfekt. Auch in den USA werden die beiden zu Megastars.
Der Ruhm steigt ihnen allerdings schnell zu Kopf. Bald hält sich Rob für größer als Elvis oder die Beatles. „Girl you know it’s true“ schildert den rasanten Aufstieg und den brutalen Absturz von Milli Vanilli. Die Freunde Rob und Fab führen als die zuweilen etwas unzuverlässigen Erzähler selbst durch den Film ihres Lebens.
Gewaltiger Shitstorm für die enttarnten Playback-Sänger
Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven gibt Robert Pilatus und Fabrice Morvan die Deutungshoheit über ihre Geschichte zurück, die sie lange verloren hatten. Denn nachdem Frank Farian zugab, dass die beiden nie selbst gesungen hatten, duckten sich alle Verantwortlichen aus Plattenfirma und Management weg. Den gewaltigen Shitstorm für diesen Deepfake des analogen Zeitalters bekamen ausschließlich die enttarnten Playback-Sänger ab.
Simon Verhoeven entwirft auch ein Bild des Musikbusiness der späten 80er und frühen 90er Jahre. Meist sind es Weiße, die Schwarze Künstler ausbeuten: in diesem Fall neben den scheinbaren Sängern von Milli Vanilli auch die echten Stimmen der Band oder die afroamerikanische Hip Hop Crew Numarx, deren Song „Girl you know it’s true“ Farian für seinen Welthit nutzte.
Keine Satire auf das Popbusiness aber unterhaltsam und berührend
Man hätte sich den Stoff durchaus als schärfere Satire auf die Popmusikbranche vorstellen können. Zwar spart Verhoeven auch die düsteren Seiten nicht aus: erzählt wie Farian das Projekt völlig entgleitet, wie Robert Pilatus drogensüchtig wird und mit nur 33 Jahren an einer Überdosis stirbt.
Aber insgesamt wirkt der Film doch überraschend versöhnlich und will niemandem wirklich weh tun. Durchweg unterhaltsam und auch berührend ist „Girl you know it’s true“ dennoch geworden.
Zeitreise in die 80er
Die beiden Hauptdarsteller Tijan Njie und Elan Ben Ali sind eine großartige Besetzung. Die liebevolle Ausstattung, allen voran die überbordenden Kostüme, versetzen einen mitten in die 80er. Simon Verhoeven erzählt temporeich vom peinlichsten Popskandal des 20.Jahrhunderts.
Dessen Ausmaß dürfte sich Jüngeren vermutlich gar nicht mehr erschließen. Schließlich ist Lip Sync, also das synchrone Bewegen der Lippen zu fremdem Audio-Inhalt, auf TikTok heute ein eigenes gefeiertes Genre.
Tailer „Girl you know it´s true“, ab 21.12. im KIno
80. Geburtstag Frank Farian Boney M., Milli Vanilli und Frank Farian: Der weiße Produzent und „Black Music“ in Deutschland
Bei ihrer Recherche, warum Frank Farian so häufig mit Schwarzen Musiker*innen zusammengearbeitet habe, sei sie auf die wiederkehrende Erklärung gestoßen, dass er mit Muttersprachler*innen zusammenarbeiten wollte, sagt Joana Tischkau vom Deutschen Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music in Frankfurt am Main. Farian, der unter anderem Boney M. und Milli Vanilli produzierte, ist am 18. Juli 2021 80 Jahre alt geworden.
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Alles nur geklaut: Wie problematisch ist kulturelle Aneignung in der Musik?
Das Konzert eines Didgeridoo-Spielers wird abgesagt. Es folgt, wie so oft, die mediale Empörung über eine vermeintliche Verbotskultur. An dem Fall sieht man: Die emotionale Diskussion um die kulturelle Aneignung lässt auch die Musikwelt nicht aus. Aber das Thema ist ambivalent, darum fragen wir uns möglichst differenziert: Wem gehört Musik? Und wann ist eine Aneignung wertschätzend, wann ist sie problematisch?
Zu Gast:
Tom Fronza, Didgeridoo-Spieler der Analogue Birds
Sarah Farina, DJ, Produzentin und Aktivistin
Keno Mescher, Musikjournalist
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Host: Philine Sauvageot
Showrunner: Julian Burmeister
Links zur Folge:
Doku über Little Richard: https://www.amazon.com/Little-Richard-I-Am-Everything/dp/B0BY4TYFC9
Detroiter Techno-Ausstellung im MOMEM: https://momem.org/
Jens Balzers Buch “Ethik der Appropriation”: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/ethik-der-appropriation.html
Die Band Analogue Birds: https://www.analoguebirds.com/
Unser Podcast-Tipp: ICONIC - Modegeschichte mit Aminata Belli
https://www.ardaudiothek.de/sendung/iconic-modegeschichte-mit-aminata-belli/94764438/