Essay-Film über eine facettenreiche Persönlichkeit

„Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ – Erfrischend respektlose Doku über den deutschen Großschriftsteller

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

Der Nobelpreisträger Thomas Mann war Künstler, politischer Mensch und als Emigrant Zentralfigur des deutschen Exils. Mit viel Sympathie, aber ohne falsche Ehrfurcht nähert sich André Schäfers Film seinem Leben. Sein Dokumentarfilm zeigt auf respektlose Weise angemessenen Respekt vor der facettenreichen Persönlichkeit des Schriftstellers.

Was Thomas Mann alles nicht war

Der Film zeigt alles, was Thomas Mann nicht war: Einen Mann mit grün lackierten Fingernägeln, der im Tütü-Ballettröckchen durch Los Angeles stolziert. Eine offen nonbinäre Person, die frei alle Facetten ihrer Sexualität auslebt. Man kann André Schäfers dokumentarischem Essay-Film daher vorwerfen, dass er keinen Respekt hat vor der Bürgerlichkeit Thomas Manns, vor dem Wunsch Normalität zu leben und so gesehen zu werden.

Dafür entscheid sich Thomas Mann durchaus freiwillig, denn er war eben längst nicht nur ein verkappter schwuler Schriftsteller, sondern vor allem ein bürgerlicher, zwar politisch linksliberaler, aber ansonsten kulturkonservativer Mensch. Diese Bekenntnisse könnte ein Film genauso achten, wie er anderes an der facettenreichen Persönlichkeit des wichtigsten deutschen Schriftstellers der Literaturgeschichte achtet.

Filmstill
Fast 50 Jahre lang arbeitete Thomas Mann an seinem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. In keinem anderen Werk hat der Schriftsteller so viel Persönliches einfließen lassen. Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Film "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann"
Der Film wirft einen Blick hinter die Fassade des gefeierten Erzählers und gleichzeitig in die schillernde Welt seines literarischen Alter Egos Felix Krull (Sebastian Schneider). Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Dokumentarfilm „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“
Während Felix Krull verführt und sich als erfolgreicher Hochstapler inszeniert, ringt Thomas Mann mit seinen inneren Konflikten. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Er sehnt sich nach Anerkennung, verbirgt seine wahre Identität und ist stets bemüht, die Rolle des untadeligen Familienvaters zu spielen. (Sebastian Schneider als Felix Krull) Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Die ineinander verschlungenen Lebenswege von Mann und Krull verwebt Regisseur André Schäfer zu einer spannenden Reise durch Exil, Selbstinszenierung und die bittersüße Kunst des Verstellens. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Aus Originalzitaten und fiktionalen Szenen entsteht eine cineastische Hommage an den Menschen hinter dem Mythos Thomas Mann und seinem literarischen Alter Ego Felix Krull (Sebastian Schneider). Bild in Detailansicht öffnen

Regisseur André Schäfer vertraut dem Original Thomas Mann

Aber Respektlosigkeit hat auch große Vorteile. Denn Regisseur Schäfer zeigt auch ganz viel von Thomas Mann, seinem Werk, seinem Leben, und seiner Familie. Der Film ist immer ganz herausragend wo er der Kraft der Originaltexte und der Archivmaterialien vertraut. Und der Regisseur signalisiert durchaus, dass ihm dieses Original am wichtigsten ist.

Was für diesen Film spricht, ist, dass er Thomas Mann nicht vom Sockel stürzt. Er wird auch nicht gegen den Strich gelesen und gebürstet. „Wo ich bin, ist Deutschland“ sagte Mann im Exil. Thomas Mann und seine Familie waren in vieler Hinsicht ein paar Jahre lang tatsächlich die deutsche Familie schlechthin.

Felix Krull neu entdeckt

Schäfer zeigt sehr plausibel, dass auch Thomas Mann ein Hochstapler eigener Art gewesen ist. Und zugleich entdeckt er uns Thomas Manns lebenslange Lieblingsfigur Felix Krull vollkommen neu und überaus zeitgemäß: Ein Charmeur, ein Drückeberger vor dem Militär, ein Mann für den das Leben eine Bühne war, die er mit vielen Masken und immerneuen Kulissen ausstaffierte.

Politische Weitsicht bei Thomas Mann

Felix Krull, der vermeintliche Taugenichts in seiner liebenswerten Hochstapelei und Leichtigkeit, seinem Hedonismus provoziert die Biedermänner und Moralisten, die uns von den kommenden neuen schweren Zeiten erzählen wollen.

Politisch wird Regisseur Schäfer in seinem Film, wenn er von Thomas Manns problembehafteter Beziehung zu den Deutschen und zu den USA erzählt. Über die USA sagte Thomas Mann, und auch das könnte aktueller nicht sein: „Eindruck, dass dies Land dem Wahnsinn in die Arme taumelt. Dabei hängt die Welt von ihm ab.“

Trailer „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“, ab 7.11. im Kino

BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN // Trailer // Kinostart 7. November

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Rüdiger Suchsland