Deutsch-Rap ist heute so erfolgreich, dass Hip-Hop-Künstler wie Apache 207 oder Capital Bra vor Selbstbewusstsein kaum gehen können. Ganz anders zu Beginn der 1990er Jahre, als Die Fantastischen Vier und Absolute Beginner zum ersten Mal in den Charts auftauchten. Die sechsteilige Serie „Almost Fly“ erzählt von Jugendlichen in dem Örtchen Eichwald, irgendwo in der deutschen Provinz. Schwarze Breakbeats und Graffiti sind hier ungefähr genauso exotisch wie die ersten DDR-Bürger, die nach dem Mauerfall zur Jobsuche kommen. Und doch verbindet sich alles zu einem wundersam erfolgreichen Mix.
Provinz- Tristess
Die Teenies haben es in Eichfeld nicht leicht: Walter geht zur Realschule, muss aber nachmittags mit seinem älteren Bruder Helmut, genannt Helli, auf der Tankstelle des Vaters arbeiten. Weil er weicher und stiller ist als die anderen, ist er ein Außenseiter. Genau wie sein Freund Ben. Der ist schwarz und lebt mit seiner Mutter allein. Was völlig ausreicht, um so schnell wie möglich aus der Provinz rauskommen zu wollen.
Das erste Rap-Konzert verändert alles
Von der nahen US-Militärbase schwappt ein bisschen moderne Musikkultur in den Schlager- und Heavy Metal-Muff von Eichfeld. Die Jungs schleichen sich in ein Rap-Konzert und sind total angefixt. Außerdem wollen sie auch mal ein paar Mädchen beeindrucken.
Sie besorgen sich Platten, nehmen noch den Nerd Nick ins Boot, der zwar der Inbegriff von „uncool“ ist, sich aber mit den Schallplatten seines Vaters scratchen beibringt und aus Lego eine Art Mischpult bauen kann. Schließlich kommt noch Denise aus der DDR dazu, die als Neue in der Klasse ebenfalls einen schweren Stand hat.
Jugendliche Protagonisten überzeugen
Die Story von den Außenseitern, die anfangs nichts haben außer ihrer Begeisterung und sich langsam freischwimmen, scheint typisch Coming-of-Age und erstmal einfach gestrickt. Die Gangster und überhaupt die überzeichneten Erwachsenen bewegen sich eher auf Bibi und Tina-Fiesheits-Niveau.
Aber die jugendlichen Figuren, die der Regisseur und frühere Sprayer Florian Gaag hier versammelt hat, sind so sympathisch, ihre Begeisterung für Funk und Rap von den 70ern bis zu NWA so ansteckend, das man gar nicht anders kann als sie ins Herz zu schließen.
Ideale Serie für Jugendlichen zwischen 15 und 50 Jahren
„Almost fly“ drückt ähnliche Retro-Knöpfe wie zum Beispiel die beliebte Netflix-Serie „Stranger Things“: Bonanza-Räder, Walkman, Mittelscheitel, viel Ballon-Seide. Und dosierte Seitenhiebe auf die Modern-Talking-Popper-Fraktion.
Das mag ausstattungstechnisch nicht alles historisch korrekt sein, lässt sich aber Jugendlichen zwischen 15 und 50 Jahren gut vermitteln. Ihrem insgesamt eher unschuldigen Tonfall bleibt die Serie treu. Drama und Tristesse auf dem Land werden zwar angedeutet, aber mit einem guten Stück Rap-Romantik immer wieder auf die humorvolle Spur gelenkt.
Fast cool
Almost Fly – also „fast cool“ heißt die Serie. Das kleine Augenzwinkern passt gut zu der Hiphop-Crew, die sich ursprünglich typisch großmäulig „Atomic Trinity“ nennt und dann - zögerlich, aber immer überzeugter - das Abenteuer annimmt, auf deutsch, also mit eigenen Worten zu rappen: Haltung, Beat, Rhythmus und jede Menge Ich-Botschaften. Das geht auch in der Provinz und ist vielleicht „almost fly“, aber voll authentisch.
Trailer „Almost Fly“, ab 2.5. auf Warner TV
Zeitwort 7.7.1989: Die Fantastischen Vier geben ihr erstes Konzert
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