Chita Rivera gehörte zu den letzten großen Stars des Goldenen Zeitalters der Broadway-Musicals in den 1950er-Jahren. Leonard Bernsteins „West Side Story“ machte sie berühmt. Später feierte sie Erfolge in „Chicago“ und anderen Musicals von John Kander und Fred Ebb. Nun ist Chita Rivera im Alter von 91 Jahren gestorben. Ein Blick zurück auf einige ihrer größten Rollen.
- 1957 – Anita in „West Side Story“
- 1961 – Nickie in „Sweet Charity“
- 1975 – Velma Kelly in „Chicago“
- 1993 – Aurora in „Kuss der Spinnenfrau“
- 2015 – Claire Zachannassian in „The Visit“
1957 – Anita in „West Side Story“
Der Song „America“ machte Chita Rivera berühmt: 1957 besetzten Komponist Leonard Bernstein und Regisseur Jerome Robbins die 1933 geborene Tochter eines puerto-ricanischen Saxophonisten und einer US-Regierungsbeamtin in der Uraufführung von „West Side Story“ als Anita. Die Rolle sollte zu Riveras großem Karrieresprungbrett werden.
In der modernen Fassung von „Romeo und Julia“ übernimmt Anita die Funktion von Julias Amme. Sie steht anfangs der verliebten Maria zur Seite, die der Enge der puerto-ricanischen Gemeinschaft entfliehen möchte und führt schließlich als Racheengel das Stück zu seinem tragischen Ende, weil Tony im Affekt ihren Geliebten Bernardo tötet.
Chita Riveras Interpretation der Rolle bleibt bis heute der unangefochtene Standard, auch wenn sie als Latina in den 1950er-Jahren für keine größeren Preise nominiert wurde – im Gegensatz etwa zu Rita Moreno und Ariana DeBose, die in der Rolle der Anita in den Verfilmungen von 1961 und 2021 jeweils den Oscar als beste Nebendarstellerin erhielten.
Doch nicht zuletzt ebnete Rivera in dieser Rolle den Weg für andere lateinamerikanische Darstellerinnen auf der Broadway-Bühne.
Musical-Klassiker in Baden-Baden „West Side Story“ – Leonard Bernsteins Fluch und Segen
In Theatern und Opernhäusern überall auf der Welt gehört Bernsteins „West Side Story“ zum festen Repertoire. Zweimal verfilmte Hollywood den Stoff für die große Leinwand. In München feierte im Dezember eine Neuinszenierung Premiere, die bis 2024 durch ganz Europa touren soll und Anfang Februar in Baden-Baden Station macht. Warum fasziniert der Musical-Klassiker noch 65 Jahre nach seiner Entstehung das Publikum?
1961 – Nickie in „Sweet Charity“
Zeitlebens sah sich Chita Rivera in erster Linie als Tänzerin und nur zweitrangig als Sängerin. Außerdem hegte sie eine große Liebe für die Chorus Line, das Tanzensemble im Hintergrund eines Musicals. Lange Jahre gehörte sie dieser an, und kehrte für den Film wieder dahin zurück.
Als Regisseur und Choreograf Bob Fosse 1969 das Musical „Sweet Charity” verfilmte, besetzte er Rivera an der Seite von Shirley MacLaine als Nickie, ein Amüsiermädchen in einem Tanzclub. Wenn auch nur eine Nebenrolle, spielt sich Rivera mit ihrem starken tänzerischen Ausdruck in der bis heute bekanntesten Nummer des Musicals in den Fokus: In der Ensemblenummer „Big Spender“ nimmt sie eine zentrale Rolle ein.
„Sweet Charity“ war ein kommerzieller Misserfolg und Riveras erster von nur sehr wenigen Ausflügen zu Film und Fernsehen. Zeitlebens blieb sie der Bühne treu. Doch es sollte der Auftakt werden für die künstlerische Zusammenarbeit mit Bob Fosse, einem der wichtigsten Regisseure ihrer Karriere.
1975 – Velma Kelly in „Chicago“
Anfang der 1970er-Jahre arbeitete Bob Fosse an einer Musical-Adaption von „Chicago“, einem Theaterstück über eine Mörderin in den 1920er-Jahren. Fosses Ehefrau, die Broadway-Darstellerin Gwen Verdon, hatte das Stück als mögliches Star-Vehicle für sich selbst auserkoren und ihren Mann als Regisseur an Bord gezogen.
Fosse engagierte das Komponistenduo John Kander und Fred Ebb für die Musik und änderte schließlich den Fokus der Handlung. Zu groß war seine Befürchtung, dass Vernons Darstellung alleine das Stück nicht tragen würde. Er baute die Rolle der Nachtclub-Sängerin Velma Kelly, die ihren Mann und ihre Schwester in flagranti erwischt und umbringt, zur zweiten weiblichen Hauptrolle aus und engagierte Chita Rivera nach der gemeinsamen Arbeit an „Sweet Charity“.
Die Kritiken für die Originalproduktion von „Chicago“ waren eher verhalten. Die unverholene Kritik am amerikanischen Celebrity-Kult und die von Brecht inspirierte Ansprache des Publikums brüskierten das Broadway-Publikum. Dennoch lief die Produktion zwei Jahre.
Heute gehört „Chicago“ zu den größten Erfolgen der Broadway-Geschichte: Das Revival von 1996 läuft bis heute erfolgreich in New York, es ist eine der längsten Spielzeiten in der Geschichte des Broadways. Auch für Chita Rivera wurde es zur zweiten Begegnung, diesmal in der Rolle der Roxie, die einst ihre Kollegin Gwen Verdon gespielt hatte.
1993 – Aurora in „Kuss der Spinnenfrau“
Mit Komponist John Kander und Songschreiber Fred Ebb kollaborierte Rivera immer wieder über die Jahrzehnte 1984 gewann sie an der Seite von Liza Minelli ihren ersten Tony Award in „The Rink“, einem heute weitgehen vergessenen Kander/Webb-Musical.
Zum künstlerischen Höhepunkt wurde 1993 „Kuss der Spinnenfrau“ („Kiss of the Spider Woman“) nach dem gleichnamigen Roman des Argentiniers Manuel Puig. Das Kammerspiel handelt von einem Marxisten und einem wegen Unzucht verurteiltem Schaufensterdekorateur, die sich eine Gefängniszelle teilen.
Rivera spielt die Spinnenfrau Aurora, eine Figur aus alten Filmen, die sich der schwule Molina immer wieder zum Zeitvertreib ins Gedächtnis ruft. Insgesamt sechs Tonys gewann die Produktion, darunter die Trophäen für das beste Musical und für die beste Hauptdarstellerin für Chita Rivera.
2015 – Claire Zachannassian in „The Visit“
Ihre letzte Hauptrolle am Broadway spielte die mittlerweile 82-jährige Chita Rivera 2015, erneut in einem Werk von Kander und Webb. Bereits 2001 war „The Visit“, eine Musical-Adaption von Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, entstanden.
Angela Lansbury war ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen, musste sich aber aus persönlichen Gründen von der Produktion zurückziehen. Rivera sprang für die Welturaufführung in Chicago ein, die geplante Broadway-Übernahme wurde aber im Schatten der Angriffe des 11. Septembers ausgesetzt. Erst 14 Jahre später erfolgte die Broadway-Erstaufführung in Form eines Einakters mit Rivera in der Hauptrolle.
Chita Rivera mit „The Visit“ bei den Tony Awards 2015:
Als reiche Claire Zachannassian, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt und das Leben ihres einstigen Geliebten fordert, wenn sie den Bankrott der Stadt abwenden soll, feierte Rivera ihren letzten großen Triumph auf der New Yorker Bühne und gewann die letzte Bühnenauszeichnung ihrer aktiven Karriere, den Drama League Award.
Am 30. Januar 2024 starb Chita Rivera nach Angaben ihrer Publizistin Merle Frimark friedlich und nach kurzer Krankheit in New York.
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