Im Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" hat ein Mann aus dem Hochwald am Donnerstag seine Beteiligung an Plänen mutmaßlicher Terroristen bestritten. Trotzdem schäme er sich.
Sie sollen geplant haben, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen, die Bundesregierung zu stürzen und eine Diktatur nach Vorbild des Deutschen Kaiserreichs einzusetzen. Das waren nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft die Pläne der "Vereinten Patrioten", einer mutmaßlichen Terrorgruppe, die bereits seit Mai des vergangenen Jahres vor dem Oberlandesgericht Koblenz (OLG) steht.
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"Silent Night", also "Stille Nacht", nannten die mutmaßlichen Terroristen der "Vereinten Patrioten" laut Oberstaatsanwältin Daniela Fritz ihren Plan, ganz Deutschland den Strom abzustellen und das folgende Chaos für den Umsturz zu nutzen. Und ein Mann aus der Nähe von Hermeskeil (Kreis Trier-Saarburg) soll darin laut Anklage eine entscheidende Rolle gespielt haben. Nach Ansicht der Chefanklägerin hat der 52-Jährige Hochspannungsleitungen ausgespäht - weil die Terroristen geplant hätten, diese zu sprengen.
Vor dem Oberlandesgericht Koblenz allerdings bestritt der Angeklagte am Donnerstag zum Prozessauftakt gegen ihn diese Vorwürfe. Zwar fanden die Ermittler Bilder von Stromtrassen auf seinem Handy. Diese seien aber zufällig entstanden, erklärte der Mann auf Nachfragen der Vorsitzenden Richterin Martina Kohlmeier.
Angeklagter räumt Kontakt zu "Vereinten Patrioten" ein
Dass er in Kontakt mit den "Vereinten Patrioten" stand, räumte der Angeklagte ein. Er sei in deren Chatgruppen im Messengerdienst Telegram aktiv gewesen und habe dort - unter dem Profil "Wildsau" manches geschrieben, für das er sich heute schäme: "In den sechs Monaten in der Haft in Frankenthal hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Mir tut das alles schon sehr leid."
Radikalisiert habe er sich während der Corona-Pandemie, schilderte der Angeklagte im Prozess. In Chatgruppen habe er Mitstreiter im Kampf gegen Impfungen und Maskenpflicht gesucht. "Das hat mir alles Angst gemacht, dass wir auf einen autoritären Staat zusteuern", sagte er. Doch wie passt diese Aussage dazu, dass er später laut Anklage selbst daran mitwirken wollte, einen autoritären Staat nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs einzusetzen?
Treffen mit mutmaßlichem Rädelsführer an der Bescheider Mühle
Er sei da ab Anfang 2022 hineingeraten, erklärte der 52-Jährige. Damals habe ihn ein Mann aus Neustadt an der Weinstraße kontaktiert. Ein gewisser Thomas O., den die Generalstaatsanwaltschaft für einen der Rädelsführer der "Vereinten Patrioten" hält.
Beim ersten - und nach Angaben des Angeklagten auch einzigen - Treffen an der Bescheider Mühle bei Hermeskeil sei von der geplanten Lauterbach-Entführung und den Umsturzfantasien nicht die Rede gewesen. "Mir war auch später nicht klar, dass er das ernst meint", sagte der Angeklagte vor Gericht. Der Pfälzer sei ihm eher "unseriös" vorgekommen: "Und ich war dann so dumm, dass ich die Verbindung zu ihm nicht gekappt habe."
Angeklagter: In Welt gelebt, die er selbst nicht erklären kann
Erst als ihn der mutmaßliche Kopf der Terrorzelle gefragt habe, ob er bei ihm Waffen lagern könne, sei ihm klar geworden, dass der besagte O. seine Pläne wirklich habe durchsetzen wollen. Von den "wirklichen Dimensionen" habe er aber erst nach der Verhaftung der mutmaßlichen Rädelsführer im Frühjahr 2023 erfahren: "Ich habe irgendwie in einer Welt gelebt, die ich selbst nicht genau erklären kann."
Auch sein Rechtsanwalt Werner Dahlhausen sieht seinen Mandaten nicht als großen Übeltäter hinter den Umsturzplänen: "Er war halt in diesen Chatgruppen und hatte mit Leuten zu tun, mit denen man besser nichts zu tun hat."
Arbeitgeber sah keine Hinweise auf Reichsbürger-Gesinnung
Hinweise auf eine Reichsbürgerideologie hatten auch die Arbeitgeber des Angeklagten erklärtermaßen nicht. Seit 2010 war er als Ausbilder für Erste-Hilfe-Kurse beim Deutschen Roten Kreuz beschäftigt. Bis zu seiner Verhaftung im vergangenen Herbst hatte er beim Bildungswerk sogar eine leitende Funktion inne. Sein früherer Chef bezeichnete ihn "als zuverlässigen, spitzenmäßigen Mitarbeiter."
Für seinen früheren Chef, Dirk Marmann vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) kam die Anklage dann auch überraschend. "Wir waren betroffen und geschockt", sagte er dem SWR. Der 52-Jährige sei zwar irgendwann "ins Querdenkertum abgedriftet", so Marmann, habe Masken und die Impfungen kritisiert. Eine Nähe zum Gedankengut der Reichsbürgerszene habe man aber nicht bemerkt.
Auch sein Drogenkonsum blieb auf der Arbeit offenbar unbemerkt. Jeden Abend, so erzählt es der Angeklagte selbst, habe er früher Cannabis geraucht. Ob das für die ihm vorgeworfenen Taten noch eine Rolle spielen wird, blieb zunächst noch unklar. Anwalt Dahlhausen vermutet aber, dass sein Mandant die ein oder andere Chatnachricht vielleicht im Rausch geschrieben haben könnte.
Geplante Lauterbach-Entführung Weitere Festnahmen im Umfeld der Vereinigung "Vereinte Patrioten"
Aus dem Umfeld der Terrorvereinigung "Vereinte Patrioten" sind weitere Personen festgenommen worden. Die Behörden griffen in den Kreisen Bad Dürkheim und Trier-Saarburg zu.
Vater der Angeklagten wurde in Neustadt verhaftet
Mit dem Angeklagten aus dem Hochwald stand am Donnerstag auch eine 33-Jährige aus der Pfalz vor Gericht. Die Mitangeklagte schwieg zunächst. Selbst zu den persönlichen Daten wollte sie nach Absprache mit ihren Anwälten beim Prozessauftakt nichts sagen. Bekannt wurde inzwischen, dass die Frau aus Neustadt an der Weinstraße die Tochter eines der Hauptangeklagten im Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" ist.
Es handelt sich dabei um den besagten Thomas O., der auch ihren Mitangeklagten besucht hat. Der Vater war auf einem Supermarktparkplatz in Neustadt an der Weinstraße verhaftet worden, bei dem Versuch, Waffen von einem verdeckten Ermittler zu kaufen.
Tochter soll Chatgruppen betrieben haben
Ihr Vater habe seine Tochter in die Pläne eingeweiht, so der Vorwurf. Und sie habe diese unterstützt, erklärte die Oberstaatsanwältin Daniela Fritz in der Anklage. Konkret soll sie verschiedene Chatgruppen der "Vereinten Patrioten" bei Telegram betrieben haben. Über diese Kanäle hätten sich die mutmaßlichen Terroristen vernetzt, auch neue Mitglieder seien angeworben worden. Sie habe aber auch Treffen organisiert und die Anleitung zur Herstellung von Sprengstoff weitergegeben.
Und noch ein weiterer Umstand ist auffällig: Die 33-Jährige wird beim Koblenzer Prozess von der bekannten Rechtsanwältin Nicole Schneiders vertreten. Schneiders hat schon mehrere Mandanten aus der rechtsextremen Szene vertreten hat, darunter den Angeklagten Ralf Wohlleben im NSU-Prozess. Der baden-württembergische Verfassungsschutz rechnet die Anwältin selbst der Neonazi-Szene zu.
Verhaftung im Herbst bei einer bundesweiten Razzia
Was den beiden Angeklagten konkret vorgeworfen wird, ist die "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" und die "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund" beziehungsweise die "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" und die "Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund".
Verhaftet wurden sie im Herbst bei einer bundesweiten Razzia, bei der auch Mobiltelefone, Datenträger und Dokumente sichergestellt wurden. Der Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" läuft insgesamt schon seit Mai 2023 vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Zunächst waren vier Männer im Alter von 44 bis 56 Jahren und eine 76-jährige Frau angeklagt.
Gruppe zählt zur Reichsbürgerszene
Die ganze Gruppe gehört den Ermittlern zufolge - wie auch die Attentätergruppe um Prinz Reuß - zur sogenannten Reichsbürgerszene. Dieser Ideologie zufolge existiert das Deutsche Kaiserreich auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter. Die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft versuchten die Angeklagten daher, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen - notfalls auch mit Waffengewalt.
Daran sollen auch der 52-Jährige aus dem Kreis Trier-Saarburg und die 33-Jährige Frau aus der Bad Dürkheim mitgewirkt haben. Das Oberlandesgericht hat für den Prozess gegen die beiden insgesamt 25 Verhandlungstage angesetzt. Das würde bedeuten, dass ein Urteil frühestens im August gefällt wird. Beim nächsten Verhandlungstag soll ein Polizist über seine Ermittlungen im Fall aussagen.
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