Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten, und einfach nicht mehr erreichbar sind: Dafür braucht der Kreis Vulkaneifel einen Streetworker. Doch die Suche ist schwierig.
Hausfriedensbruch am Thomas-Morus-Gymnasium Daun durch Jugendliche, die dort schon Hausverbot haben. Feiernde Jugendliche auf dem Gelände der gleichen Schule, die anrückende Beamte beleidigen, treten und bei der Festnahme flüchten. Immer wieder gibt es seit dem vergangenen Jahr solche und weitere Meldungen der Polizei in der Vulkaneifel.
Es gibt zum Beispiel eine Gruppe von straffälligen Jugendlichen in Daun und eine in Gerolstein, sagt der Leiter des Jugendamts im Kreis Vulkaneifel, Bruno Willems: "Sowohl die Gerichte als auch die Polizei haben uns rückgemeldet, dass diese Jugendlichen vermehrt Probleme bereiten: Sie haben keinen Respekt mehr vor der Polizei, da ist ein Freund-Feind-Bild entstanden."
Streetworker muss auf Jugendliche zugehen
Das Problem: Der Kreis kommt mit seinen Angeboten an solche Jugendlichen einfach nicht mehr ran. Sie kommen meist aus schwierigen Familienverhältnissen und würden teils auch Alkohol und Drogen missbrauchen. Etwa für Sportangebote würden sie sich nicht interessieren, auch wenn sie ihnen aktiv angeboten werden.
Der Kreis Vulkaneifel habe das klassische Angebot von Häusern der Jugend, die für alle Kinder und Jugendlichen offen sind und besucht werden können. "Da hört man aber auch schon den Unterschied: Die Jugendlichen müssen dorthin gehen", erläutert Kreisjugendpfleger Hendrik Müller.
Und das ist schwierig auf dem Land mit seiner schlechten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Wenn die Jugendlichen das überhaupt wollen, ist es trotzdem nicht so einfach, aus den Dörfern nach Daun, Gerolstein oder Jünkerath zu fahren.
Immer ein offenes Ohr: Marina ist Streetworkerin
Seit zwölf Jahren ist Marina als Streetworkerin in Wiblingen unterwegs und bietet jungen Menschen ihre Unterstützung in verschiedenen Lebensphasen an.
Deshalb braucht es einen Streetworker, sagt Müller: "Denn der Streetworker macht es genau anders herum: Er oder sie geht auf diese Kinder und Jugendlichen zu in den Lebenswelten, in denen sie sich aufhalten. Zum Beispiel an Bahnhöfen."
Der Streetworker hat auch den Vorteil, dass er im Gegensatz zur Polizei strafbares Verhalten der Jugendlichen nicht verfolgen müsste, ergänzt Willems: "Er könnte versuchen, zwischen den Institutionen und den Jugendlichen zu vermitteln. Helfen, diese Jugendlichen wieder vernünftig in die Gesellschaft zu integrieren."
Fachliche und menschliche Anforderungen
Deshalb hat der Kreis Vulkaneifel die Stelle für einen Streetworker oder eine Streetworkerin geschaffen und seit 2022 zunächst befristet, seit diesem Jahr sogar unbefristet ausgeschrieben. Bisher ohne Erfolg. Deshalb wurde die Ausschreibung jetzt bis zum 19. Mai bereits ein zweites Mal verlängert.
Bezahlt wird nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, es gibt die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Ein Grund, dass trotzdem niemand anbeißt, könnten die Qualifikationen sein, die ein Streetworker mitbringen müsste: Neben dem Fachlichen - unter anderem einem Bachelor-Abschluss - sind das vor allem menschliche Voraussetzungen.
"Er muss jemand sein, der gut zuhören kann und das Vertrauen der Jugendlichen weckt. Und das braucht Zeit, das macht man nicht in einem Gespräch. Das braucht Ausdauer", sagt Müller. Ein Streetworker müsse auch die Fähigkeit haben, Rückschläge auszuhalten.
Das sei eine Kompetenz, die kann man nirgends lernen, die bringe die Erfahrung mit sich. Da Jugendliche sich mit ihren Problemen nicht an Bürozeiten halten, muss der Streetworker auch bereit sein, abends und am Wochenende zu arbeiten.
Bisher keine geeigneten Bewerber
Zwar hätten sich Menschen auf die Stelle beworben. Die hätten aber schon die Anforderungen an den Studienabschluss nicht erfüllt. Einen weiteren Grund, dass sich kein Streetworker findet, sehen die Mitarbeitenden des Jugendamts deshalb auch darin, dass die Hochschulen zu weit von der Vulkaneifel entfernt sind.
"Koblenz und Trier, die pädagogische Hochschulen haben, haben es mit Sicherheit leichter als wir auf dem Land, Personal für die Jugendarbeit zu rekrutieren", meint Müller. Der Fachkräftemangel betrifft alle Bereiche der Jugendarbeit, sagt Willems.
Suche nach Lösungen und Hoffnung
Die Konsequenz, wenn kein Streetworker gefunden wird, sei, dass der Allgemeine Soziale Dienst stärker belastet wird mit der Arbeit mit den straffälligen Jugendlichen und ihren Familien. Eine Möglichkeit wäre auch, die dualen Studierenden, die den praktischen Teil ihres Studiums im Kreis absolvieren, zum Streetworker auszubilden.
Jugendamtsleiter Willems hofft aber weiter, nicht auf diese Notlösung zurückgreifen zu müssen: "Es ist sehr schade, dass wir noch keinen Streetworker gefunden haben. Aber unser Job ist auch zum Teil unsere Berufung. Deshalb werden wir weiter versuchen, einen geeigneten Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden. Die Hoffnung stirbt zuletzt."
Silvesterkrawalle – Jugendarbeit braucht mehr Ressourcen
In Berlin hat sich ein sogenannter Jugendgipfel mit den Silvesterkrawallen in der Stadt beschäftigt. Dabei sollte insbesondere die Gewalt gegenüber Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten aufgearbeitet werden. Eine solche Ursachenforschung erwartete auch die Amadeu Antonio Stiftung. Im Gespräch mit SWR-Moderator Jan Frédéric Willems sagte die Leiterin der Praxisstelle Jugendarbeit bei der Amadeu Antonio Stiftung, Rosa Fava, es müsse zunächst genau geklärt werden, welche Art von Gewalt es gegeben habe und welche Intentionen dahintersteckten. Erst dann könnten Rückschlüsse gezogen werden.
Dass einige Politiker im Zusammenhang mit den Krawallen immer wieder von einer mangelnden Integration der Jugendlichen ausgingen, sei der völlig falsche Ansatz. "Ich kenne keine Kultur, in der es normal ist, dass man Feuerwehrleute und Sanitäter angreift - so einfach kann es nicht sein“, so Fava. Zudem seien die Jugendlichen sehr wohl ein Teil der deutschen Gesellschaft. Die Menschen sind Teil eines Ganzen: Irgendwer ist arm in Deutschland und das sind eben vor allem auch diejenigen mit einer Einwanderungsgeschichte. Die Menschen sind da, wo sie sind, durchaus im systemischen Ganzen integriert.“
Fava forderte mehr Kapazitäten für die Jugend- und Sozialarbeit. Dafür bedürfe es mehr ausgebildetes Personal, Geld und Räume. Insofern sei das Fazit kurz und knapp: "Für Jugendarbeit braucht es mehr Ressourcen“.