Meteorologe Stefan Bender war einer der ersten, der 2021 vor dem Hochwasser an der Ahr und in der Eifel gewarnt hat. Wir haben mit ihm über diese Tage gesprochen.
Stefan Bender hat in den 1980er-Jahren Meteorologie in München an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert. Der Hauptgrund für die Studienwahl sei gewesen, so sagt er, dass er früher mit Eltern und Onkel in den Wingert musste. Nicht selten hat es angefangen zu regnen und die Weinbergsarbeit musste wieder abgebrochen werden, sagt Bender. Er wollte deswegen lernen, Wetter vorherzusagen. Der Wetterexperte ist seit Oktober 1992 für den SWR im Einsatz und gibt täglich seine Prognosen ab. Er hatte auch in der Woche Dienst, in der es im Ahrtal zur Flutkatastrophe kam sowie der Landkreis Trier-Saarburg und der Eifelkreis Bitburg-Prüm heftig vom Unwetter getroffen wurden.
Wir haben mit Diplom-Meteorologe Stefan Bender über die Schwierigkeit gesprochen, lokale Unwetterereignisse wie die im Ahrtal und in der Eifel genau vorherzusagen und über die richtige Wortwahl, wenn es darum geht, die Bevölkerung zu warnen.
SWR4 Wetterexperte Stefan Bender
Stefan Bender
SWR Aktuell: In der Woche, in der es im Ahrtal zur Katastrophe kam, waren Sie im Dienst. Wie haben Sie diese Tage erlebt?
Stefan Bender: Ich habe die Wettermodelle analysiert. Wir schauen uns immer verschiedene Modelle an. Da gibt es europäische Modelle unter anderem vom Deutschen Wetterdienst (DWD) und auch die vom amerikanischen Wetterdienst. Ich habe dann festgestellt, dass ich das, was da gerade passiert, noch nie zuvor für diese Region gesehen habe. Die Modelle zeigten an, dass mehr als 100 Liter in einem Zeitraum von 12 bis 20 Stunden herunterkommen sollen. Das habe ich in meiner Karriere nicht oft gesehen. Das gab es zwar schon häufiger in Ost- und Süddeutschland, aber bislang noch nicht bei uns in den westlichen Mittelgebirgen, wo es engere Flusstäler gibt. In der Eifel und an der Ahr hatte ich so etwas noch nie gesehen.
Deswegen kann ich mir in diesem Zusammenhang auch nicht vorwerfen, dass ich nicht gewarnt hätte. Ich glaube, ich war einer der ersten, der vor Überschwemmungen an der Ahr und an der Kyll - also an den kleineren Flüssen - gewarnt hat. Der Fokus der allgemeinen Warnungen war damals mehrheitlich auf die Mosel und den Rhein gerichtet. Aber! Auch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was dann passierte. Das war für mich unvorstellbar und für die meisten anderen Menschen auch, weil eine vergleichbare Katastrophe mehr als einhundert Jahre zurücklag.
Damals (1804 und 1910) wurden logischerweise keine Niederschlagsmengen prognostiziert und auch die Regenmengen nicht annähernd so gut erfasst wie heute. Daher gab es bis dato auch keinen Erfahrungswert, den man als Trigger für eine Extremwarnung inklusive Evakuierung hätte nehmen können.
SWR Aktuell: Welche Konsequenzen würden Sie aus der Flutkatastrophe ziehen?
Stefan Bender: Wir haben ja diese Modelle. Wenn die im Vorfeld anzeigen, dass es soviel Regen gibt, wie das jetzt an der Ahr oder in der Eifel der Fall war, dann würde ich sagen, müssen die Modelle - unter Aufsicht von Meteorologen - automatisch eine Warnung abgeben. Daraufhin müssen die Leute dann in Sicherheit gebracht werden. Dann würden Menschenleben gerettet. Das alles würde ich automatisch durchlaufen lassen, aber natürlich in Zusammenarbeit und Absprache mit den entsprechenden Katastrophenschutzbehörden.
SWR Aktuell: Bei der Flut an der Ahr und auch den Hochwassern in der Eifel hat es sich ja um sehr lokale Unwetterereignisse gehandelt. Ist es denn überhaupt möglich, solche Extremwetterlagen lokal genau vorherzusagen?
Stefan Bender: Das müssen wir unterscheiden: Das Unwettertief an der Ahr war ja einige Tage eingeklemmt und die reinen Niederschlagsprognosen wurden durchaus korrekt ausgegeben. Das war also nicht vergleichbar mit schnell ziehenden Gewitterlagen, wie sie häufig im Sommer vorkommen. Die sind ein Riesenproblem. Das können wir Meteorologen nicht wirklich lösen.
Wir hatten Ende Juni dieses Jahres eine Wetterlage, die war extrem gefährlich. Ich mache jetzt seit 30 Jahren Wetter und habe in dieser Zeit aus rein meteorologischer Sicht zirka zehn solcher Wetterlagen in Deutschland gesehen, bei denen ein solch extremes Unwetterpotenzial vorhanden war. Ich habe damals aber auch gesagt, dass es nicht jeden treffen wird.
In Neuwied gab es dann beispielsweise 140 Feuerwehreinsätze wegen Überschwemmungen. Es gab in Deutschland an manchen Orten dicke Hagelkörner und auch Tornados. Statistisch gesehen war klar, dass das irgendwo passiert. Aber ich kann nicht sagen, um beispielsweise 16:30 Uhr zieht ein Tornado durch Koblenz. Das kann kein Mensch.
SWR Aktuell: Wenn Sie ein aufziehendes Unwetter entdeckt haben. Wie gehen Sie dann grundsätzlich vor?
Stefan Bender: Gerade bei Unwettersituationen ist es so, dass man die erst mal andeutet. Wenn ich erkenne, da kommt jetzt übermorgen etwas. Dann weiß ich schon, dass viele Leute nicht so interessiert daran sind, was übermorgen kommt. Das ist menschlich und auch normal. Man muss es aber schon mal erwähnt haben, dass es im Hinterkopf drin ist. Wenn ein Unwetter im Anmarsch ist, ist der Meteorologe komplett im Unruhe-Modus. Dann bin ich ständig an der Beobachtung dran und schaue wie sich das Ding entwickelt. Während eines Unwetters lebt man als Meteorologe mit der Wetterentwicklung. Man ist in einem Flow.
Die Wetterleute leben dann mit der Wetterlage und haben diese dann Tag und Nacht ständig im Blick. Entscheidend ist dann auch, wie bringe ich das in die Öffentlichkeit rein, ohne, dass einerseits Panik entsteht, aber anderseits die Leute die Sache auch ernst nehmen. Das ist dann ein ständiges Abwägen.
SWR Aktuell: Wie hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten, in denen Sie ja schon im Geschäft sind, verändert?
Stefan Bender: Ich habe früher die Wetteranalyse auf Papier gemacht. Damals wurden die Datenkolonen der Wetterstation auf eine Landkarte gedruckt. Die Tiefs und die Hochs und auch die Warm- oder Kaltfronten, sowie die Gewitter - alles was es beim Wetter so gibt, wurde mit Buntstiften hervorgehoben. Jedes Wetterelement hatte seine eigene Farbe. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heute wird das alles automatisch von Computern übernommen. Das geht natürlich viel schneller, aber das Anmalen fehlt mir ehrlich gesagt ein bisschen.
Das händische Analysieren der Wetterkarten hat auch dazu geführt, dass man intensiver in der Materie drin war. Für den Meteorologen hat das schon was, wenn er die Karten händisch analysiert hat. Dadurch konnte man auch kleinste Veränderungen schneller entdecken.
SWR Aktuell: Hat sich auch die Art wie gewarnt wird, in den vergangenen Jahren verändert?
Stefan Bender: Jedes Gewitter wird heute an die große Glocke gehängt. Sommergewitter hat es auch früher schon gegeben, lediglich die Wahrscheinlichkeit hat sich verändert. Bei jedem Gewitter wird heute vor Starkregen, Sturmböen, Überschwemmungen und Hagel gewarnt. Das alles kann natürlich während eines Sommergewitters lokal begrenzt immer auftreten. Früher hat man gesagt, es gibt eine Wetterlage, da kann es ein Sommergewitter geben.
Es hat sich aber auch etwas in der Wahrnehmung geändert. Nehmen wir mal an, in Göttingen gab es früher ein Unwetter - es gab beispielsweise Hagel und zwei Keller sind vollgelaufen. Das hat dann früher in irgendeiner norddeutschen Lokalzeitung gestanden und sonst hat es niemanden interessiert. Heute verbreitet sich das bundesweit in Sekundenschnelle über die sozialen Medien und jeder nimmt es als Bedrohung wahr, obwohl es für die meisten Menschen keine Rolle spielt.
Ich will damit aber nicht verharmlosen, dass die nachgewiesene statistische Zunahme von Extremwetterereignissen infolge des menschengemachten Klimawandels, eine ernsthafte Bedrohung darstellt.
SWR Aktuell: Letzte Frage: Haben wir in diesem Jahr weiße Weihnachten?
Stefan Bender: Auf der Zugspitze sehr wahrscheinlich. Wetter kann man in der Regel drei bis zehn Tage vorhersagen. Das hängt aber auch von der Wetterlage selbst ab. Es gibt Wetterlagen mit Gewittertiefs, da können Vorhersagen für zwei bis drei Stunden falsch sein.