In rund 100 Ländern gibt es eine Zuckersteuer, in Deutschland nicht. Eine aktuelle Studie zu möglichen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen könnte nun neue Bewegung in die Debatte bringen - auch in Rheinland-Pfalz?
Forscher der Technischen Universität München und der Universität Liverpool untersuchten die Erfolgsaussichten einer Steuer auf zuckerhaltige Getränke, wie es sie hierzulande noch nicht gibt - nach dem Vorbild Großbritanniens. Das Ergebnis: In Deutschland könnten in den nächsten 20 Jahren hunderttausende Diabetes-Erkrankungen verhindert und rund 16 Milliarden Euro eingespart werden.
"Wenn wir so eine Besteuerung in Deutschland einführen würden, könnten wir in den nächsten 20 Jahren 250.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindern oder hinauszögern - damit würden große Kosteneinsparungen innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems einhergehen", so Michael Laxy von der TU München im SWR.
RLP-Ministerium: Besteuerung nur ein Baustein
Die Einführung einer solchen Steuer wird immer wieder diskutiert, ist aber politisch aktuell kein drängendes Thema. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sagt dazu, man beobachte fortlaufend die wissenschaftliche Studienlage und beziehe diese in seine Positionierung ein. Zuständig für eine neue Steuer ist dann aber ohnehin das Bundesministerium für Finanzen.
Vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität heißt es auf SWR-Anfrage. "Die Steuerung über Steuern ist nur ein Baustein von vielen Maßnahmen zur Vorbeugung von Übergewicht und Adipositas." Dazu gehörten vor allem begleitende Ernährungs- und Gesundheitsbildungsmaßnahmen und Kennzeichnungen wie der vor drei Jahren in Deutschland eingeführte Nutri-Score sowie Aufklärungskampagnen. Im Fokus stehen Kinder und Jugendliche, denn "Ernährungsgewohnheiten werden meist ein Leben lang beibehalten".
Verhältnismäßig viele Diabetiker in RLP
Laut Deutscher Diabetes Gesellschaft (DDG) gibt es deutschlandweit rund 11 Millionen Diabetes-Erkrankte - bei einer hohen Dunkelziffer. Statistisch betrachtet kämen pro Tag 1.600 Neuerkrankungen hinzu, so die DDG. Jedes Jahr sind das eine halbe Million neue Fälle. Aktuelle Daten zu den Bundesländern gibt es aber nicht.
Ältere Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) legen zumindest nahe, dass es in Rheinland-Pfalz relativ mehr Diabetiker gibt als in den meisten anderen westdeutschen Bundesländern. Unter den gesetzlich Versicherten waren 2011 in Rheinland-Pfalz 12,3 Prozent der Männer und 11 Prozent der Frauen an Diabetes erkrankt. Die meisten Patienten leiden an Typ-2-Diabetes, der unter anderem auf eine unausgewogene Ernährung zurückzuführen ist. Genau diesen Typ könnte eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke reduzieren.
Selbstverpflichtung statt Zuckersteuer
Bislang gibt es in Deutschland lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller, den Zuckeranteil zu reduzieren. In der "Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie" hatte das Ernährungsministerium noch unter Führung von Ex-Ministerin Julia Klöckner (CDU) mit den Herstellern vereinbart, den Zuckergehalt von Softdrinks von 2015 bis 2025 auf freiwilliger Basis um 15 Prozent zu senken.
Wirkliche Effekte blieben jedoch aus. Bis 2021 sank der Zuckergehalt im Schnitt nur um zwei Prozent, wie eine Untersuchung der LMU München in Zusammenarbeit mit der TU München und der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten ergab.
Hersteller reagieren im Ausland mit anderer Rezeptur
Dabei zeigt ein Beispiel der Stiftung Warentest, welchen Effekt eine Steuer für die Rezeptur der Hersteller haben kann. In der 0,5 Liter-Flasche einer bekannten Orangenlimo-Marke befinden sich in Deutschland 46 Gramm Zucker, in Frankreich 33 Gramm und in Großbritannien 23 Gramm. In beiden Ländern gibt es seit 2012 (Frankreich) beziehungsweise 2018 eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Erwachsene gerade einmal 25 Gramm Zucker pro Tag - in Deutschland konsumieren wir im Schnitt fast das Vierfache. Die WHO rät daher zu einer Sondersteuer von mindestens 20 Prozent auf zuckerhaltige Getränke, um den Zuckerkonsum mitsamt seiner gesundheitlichen Folgen zu reduzieren. Laut Statistischem Bundesamt lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Erfrischungsgetränken in Deutschland im Jahr 2022 bei durchschnittlich 121,6 Litern.
Mehr zum Thema Zuckersteuer
Studie zu Zuckersteuer: "Könnte hunderttausende Diabetes-Erkrankungen verhindern"
Eine Zuckersteuer empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation aus gesundheitlichen Gründen schon lange. Eine neue Studie eines Forscherteams der TU München und der Universität Liverpool hat jetzt herausgefunden: mit so einer Steuer könnte Deutschland in den nächsten 20 Jahre außerdem bis zu 16 Milliarden Euro sparen. Professor Michael Lax, Projektleiter der Studie, erklärt, dass man sich bei den Berechnungen an der neuen, gestaffelten Zuckersteuer in Großbritannien orientiert hat: "Dadurch würde der durchschnittliche Zuckerkonsum um ca. 2,5g pro Tag und Person reduziert. Und das könnte viele Krankheiten wie Diabetes Typ 2 verhindern. Und da diese Erkrankungen mit hohen Kosten verbunden sind, kommen wir am Ende auf die 16 Milliarden Euro Einsparungen." Lax geht davon aus, dass etwa 250.000 Fälle von Diabetes Typ 2-Erkrankungen entweder komplett verhindert oder nach hinten verschoben werden können. Warum freiwillige Vorgaben an die Industrie kein Ersatz für eine Zuckersteuer sein können, erklärt Lax im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Moritz Braun.