Jedes Jahr gehen tausende Menschen für sexuelle Selbstbestimmung in Rheinland-Pfalz auf die Straße. Und gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen homosexuelle Menschen zu.
Schwule oder lesbische Paare, die sich in der Öffentlichkeit küssen. Auch 2023 ist das noch nicht selbstverständlich. Und selbst wer nicht offensiv mit seiner sexuellen Orientierung umgeht, ist vor Übergriffen nicht sicher.
Die Erfahrung musste auch Carl machen. Er wurde mitten in der Mainzer Innenstadt von jungen Männern angesprochen und dann homophob beschimpft und attackiert. "Ich weiß nur noch, dass mir das Blut irgendwie so aus dem Gesicht lief", erzählt er dem SWR. Er sei aus dem Theater gekommen, es sei für ihn ein ganz normaler Abend gewesen. Bis zwei Männer auf ihn zukamen und ihn anpöbelten. "Sie kamen immer näher und haben mir immer wieder irgendwelche homophoben Beleidigungen an den Kopf geworfen. Dann ging alles total schnell, weil ich auch überhaupt nicht mit der Situation gerechnet habe. Auf einmal hat mich einer der beiden zu Boden geschlagen. Mir ist schwarz vor Augen geworden."
Homosexueller Mann fürchtet Angriffe
Etwa ein halbes Jahr ist das her. Carl hat damals Anzeige erstattet, doch das Verfahren zieht sich. Er fürchtet die ganze Zeit, dass die Täter wieder handgreiflich werden könnten. "Weil es so normal und so alltäglich wirkte und weil ich weiß, dass er in der gleichen Stadt wohnt wie ich und wahrscheinlich auch noch mit derselben Einstellung rumläuft." Wenn sich Gerichtsverfahren dann so lange hinzögen, spüre der Täter halt auch keine direkte Konsequenz, meint Carl.
Für ihn selbst habe der Angriff dagegen große Konsequenzen, er kann sich nicht mehr unbeschwert in der Öffentlichkeit bewegen. "Jetzt achte ich natürlich mehr darauf, dass es erst gar nicht zu einer Situation kommt, wo ich mich einem Risiko aussetze. Ich achte darauf, dass es keinen Grund gibt, mich homophob zu beleidigen. Also ich laufe nicht mit einem anderen Mann oder so draußen rum."
Bundesweit 16 Prozent mehr Straftaten gegen queere Menschen
Homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit: Es gibt immer noch Menschen, die auf so ein Bild mit Hass und Gewalt reagieren. So wie in Neuwied-Engers Anfang September 2023. Ein schwules Paar sitzt dort in der Nähe des Schlosses Arm in Arm auf einer Parkbank als eine Gruppe aus fünf Jugendlichen die beiden ins Visier nimmt, sie beleidigt und angreift. Die Jugendlichen schubsen und treten auf das Paar ein. Dann flüchten sie. Das Paar bleibt leicht verletzt zurück, so steht es später im Polizeibericht.
Eine Tat, die zufällig scheint und kein Einzelfall ist. Im vergangenen Jahr sind die Fälle von Hasskriminalität gegen queere Personen - also Personen die lesbisch, schwul, bisexuell oder trans sind – gestiegen. 2021 wurden bundesweit noch 870 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung erfasst. 2022 waren es mehr als 1.000. Das ist ein Anstieg um fast 16 Prozent.
Auch in Rheinland-Pfalz gibt es mehr Angriffe auf queere Menschen
2022 wurden in Rheinland-Pfalz 23 Angriffe gemeldet, aber Polizei und Landesregierung betonen, die Dunkelziffer sei deutlich höher. Nach Angaben des rheinland-pfälzischen Innenministeriums wurden von 2018 bis 2022 insgesamt 66 Straftaten gegen queere Menschen gemeldet, 19 davon waren Körperverletzungen.
Und das, obwohl immer mehr Menschen für sexuelle Selbstbestimmung auf die Straße gehen und die Akzeptanz doch zugenommen hat. "Die vielen CSD (Christopher Street Day), die stattfinden, die führen zu queerer Sichtbarkeit", meint Diana Gläßer von der Ansprechstelle für LSBTI der Polizei in Rheinland-Pfalz. "Dann sieht man plötzlich queere Menschen, und da kann man dann eben diese Vorurteile rauslassen oder diesen Hass dort entladen." Mehr Sichtbarkeit hat zu mehr Aggression geführt, davon ist Gläßer überzeugt.
Religion spielt bei Diskriminierung von queeren Menschen eine Rolle
Gläßer arbeitet als Polizeihauptkomissarin in Mainz. Um die Ansprechstelle für queere Menschen kümmert sie sich nebenamtlich. Sie berät Opfer und hält Seminare. Wer sind diese Menschen, die homosexuelle, bisexuelle oder transsexuelle Menschen so sehr hassen, dass sie zu Gewalt greifen oder beleidigen?
"Es gibt sicherlich aufgrund der Religionszugehörigkeit queerfeindliche Einstellungen", sagt Gläßer. "Die gibt es aber im Christentum genauso wie im Islam. Und man sieht, es gibt einen Anteil nicht deutscher Personen im Täterkreis, aber der ist nicht besonders hoch."
Aufklärung über sexuelle Orientierung
Vorurteile und Homophobie vorbeugen – das will Leonie Schwarz von der Jugendvertretung Rhein-Selz. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie den Aktionstag "Dorf-Love" im Niersteiner Stadtpark auf die Beine gestellt. In den Großstädten sei das Bewusstsein schon viel größer. Und durch die Anonymität gebe es viel weniger Probleme damit, sagt sie dem SWR. "Aber hier auf dem Land ist das Bewusstsein viel geringer, das merkt man auch immer irgendwie in Gesprächen mit den Leuten."
Dagegen will sie angehen. Mehr als 500 Menschen haben bei der "Dorf-Love" mitgemacht, für Leonie und ihre Kollegen ein Erfolg. Auch Diana Gläßer war als Rednerin vor Ort. Ihrer Meinung nach braucht es in Zukunft noch mehr solcher Veranstaltungen. "Bei der Aufklärung gehe es nicht darum, jemanden queer zu machen", betont Gläßer. "Es geht darum, die Möglichkeiten aufzuzeigen und zu sagen: Das alles gibt es. Wo gehörst du dazu? Die Aufklärung ist wichtig und der Bedarf aus der Community ist auch da. Und ich bin überzeugt, dass wir in Rheinland-Pfalz auf einem guten Weg sind."