Manche Eltern kranker Kinder mussten im vergangenen Winter eine Apotheke nach der anderen abklappern, um an Fiebersäfte, Antibiotika und Co. zu kommen. Wie ist die Lage dieses Jahr?
Antibiotika, Penizilline, Blutdruckmedikamente, Cholesterinsenker, Psychopharmaka: Schon jetzt fehlen in den Apotheken in Rheinland-Pfalz viele Medikamente - für Kinder ebenso wie für Erwachsene. "Wir haben derzeit 500 Artikel, die wir normalerweise gerne vorrätig hätten, die aber nicht lieferbar sind", berichtet etwa die Inhaberin der Löwen-Apotheke am Trierer Hauptmarkt, Luzie Schmiz-Rölz, dem SWR.
Ähnliches ist zum Beispiel auch von den Apotheken aus Kaiserslautern zu hören. Und auch bei Thomas Hanhart vom rheinland-pfälzischen Apothekerverband sind derzeit 350 Medikamente nicht verfügbar. Knapp zehn Prozent des Warenlagers fehlen in seiner Apotheke in Kaisersesch (Landkreis Cochem-Zell).
Medikamente: Lieferengpässe und erhöhter Bedarf
Gründe gibt es viele: Zum einen sind da die Lieferengpässe, zum anderen ein erhöhter Bedarf durch die startende Erkältungswelle, vermutet Schmiz-Rölz. Zu Beginn des Quartals holten zudem chronisch Erkrankte ihre Großpackungen in der Apotheke ab, durch Krisen wie den Kriegsbeginn in Israel fühlten sich die Menschen unruhig und wollten sich Vorräte anlegen. "Man hat das Gefühl: Wenn ein erhöhter Bedarf da ist, ist sofort wieder vieles ausverkauft", sagt die Apothekerin.
Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) pflegt eine Lieferengpassliste für wichtige Medikamente. Derzeit gibt es rund 500 Meldungen für Lieferengpässe. Laut pharmazeutischem Großhandel gibt es darüber hinaus einige Tausend Arzneimittel, die nicht oder nicht in ausreichender Menge lieferbar sind, darunter vor allem Antibiotika, heißt es auf SWR-Anfrage. Vor allem die Lage bei besonders wichtigen Medikamenten für Kinder sei "nicht nur angespannt", sondern "prekär". Für 85 Prozent der dringend benötigten Arzneimittel reichten die derzeit verfügbaren Bestände nicht einmal für zwei Wochen.
Sorgen vor Krankheitswelle im Winter
Im Hinblick auf die kommende Erkältungszeit und mögliche Krankheitswellen sind deshalb viele Apotheker, Ärzte und Verbände im Land in Sorge. "Das wird sicherlich ein großes Problem werden", vermutet etwa Kinderarzt Christian Neumann aus Zweibrücken, auch Pressesprecher des Kinder- und Jugendärzteverbandes Rheinland-Pfalz. "Der Herbst hat gerade mal angefangen, die erste Infektwelle rollt und die ersten Medikamente werden schon knapp."
"Wir hoffen, dass das System nicht überlastet", sagt Apotheker Hanhart aus Kaisersesch. Ein Lieferengpass sei zwar noch kein Versorgungsengpass, im Moment habe man die Situation im Griff. Aber: "Je enger die Situation wird, desto größer ist einfach die Gefahr, in einen Mangel zu rutschen." Man mache sich längerfristig Sorgen, wie schnell man auf eine schlagartige Infektwelle im Winter reagieren könne.
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Mehrarbeit durch fehlende Medikamente
Wenn bestimmte Medikamente nicht verfügbar sind, müssen sie mit anderen Präparaten ersetzt werden. Dafür brauchen Patientinnen und Patienten aber gegebenenfalls ein neues Rezept: "Wir müssen sie zurück zum Arzt schicken", sagt Apothekerin Schmiz-Rölz. Teilweise mehrfach, bis ein lieferbares Medikament gefunden ist. Das bedeutet erhebliche Mehrarbeit, ist anstrengend, zeitaufwändig, nervenaufreibend für alle Beteiligten. "Mein Personal ist am Limit", so Schmiz-Rölz. Eltern seien schon "angespannt", beobachtet Kinderarzt Neumann.
Gleichzeitig betonen Ärzte wie Neumann, der Apothekerverband und der Hausärzteverband Rheinland-Pfalz, wie gut und eng die Zusammenarbeit mit den Apotheken im Land funktioniere. "Da wird so lange gebastelt, bis im Idealfall eine Lösung für den Patienten gefunden ist", sagt Vorsitzende Dr. Barbara Römer dem SWR. Neumann bekommt etwa Listen mit verfügbaren Medikamenten von den Apotheken in der Umgebung. So versucht er seine Patienten direkt zur richtigen Apotheke zu lotsen.
Letzte Alternative bei Medikamentenmangel: Das Krankenhaus
Doch auch dieses System könne im Winter möglicherweise nicht mehr funktionieren, befürchtet der Kinderarzt aus Zweibrücken. Die letzte Alternative für seine jungen Patienten, wenn Mittel wie Säfte oder Tabletten gar nicht mehr zu bekommen seien, sei dann: das Krankenhaus. Nur so könne das Kind ein benötigtes Antibiotikum bekommen - dann per Infusion oder Spritze. "Da blutet jedem Kinderarzt das Herz", sagt Neumann.
Erfahrungswerte genutzt: Vorräte mit Medikamenten aufgefüllt
Nach den Erfahrungen aus der vergangenen Herbst-Winter-Periode haben die Apotheken in Rheinland-Pfalz allerdings versucht, sich über die Sommermonate vorzubereiten. "Unsere Lager sind auf die Situation abgestimmt", sagt Thomas Hanhart vom Apothekerverband. Auch der Großhandel sei sehr engagiert, liefere täglich Medikamente aus, versuche Importe sicherzustellen.
Apothekerin Luzie Schmiz-Rölz in Trier hat ebenfalls über den Sommer vorgesorgt. "Wir haben unser Lager in die Tiefe ausgeweitet", erzählt sie. "Früher musste ich das nicht, da habe ich die Sachen beim Großhandel bestellt, wie wir sie gebraucht haben. Jetzt ist die Gefahr groß, dass wieder alles weg ist." Deshalb habe sie mit ihrem Team viele Arbeitstage investiert, Lagerplatz geschaffen und Vorräte angelegt. Die Verwaltung des Lagers sei aber sehr komplex: Weil Krankenkassen mit vielen verschiedenen Firmen Rabattverträge aushandeln würden, müssten die gleichen Medikamente von verschiedenen Firmen vorrätig sein.
Politik sieht sich gut gewappnet für den Winter
Die Sorgen von Apothekern und Ärzten teilen Politiker in Land und Bund nur bedingt. Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium verweist auf SWR-Anfrage auf einen Fünf-Punkte-Plan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der Plan zeige, die Versorgungssituation sehe derzeit deutlich besser aus als im vergangenen Jahr. Die Produktionsmengen der kritischen Kinderarzneimittel und Antibiotika seien deutlich gesteigert worden, "teilweise um bis zu 100 Prozent", heißt es, die Versorgung mit Kinderarzneimitteln in Deutschland und Rheinland-Pfalz damit "weitgehend gesichert".
Auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach selbst zeigte sich zuletzt zuversichtlich: "Wir sind deutlich besser aufgestellt als im letzten Jahr", versicherte er Mitte September nach einem Gespräch mit Vertretern von Apotheken, Ärzten und Herstellern in Berlin. Dort hatte er den entsprechenden Fünf-Punkte-Plan mit Maßnahmen zur Sicherung speziell von Medikamenten für Kinder vorgestellt. Wenn nun keine große Infektwelle komme, werde man dem Problem Herr werden können, so Lauterbach. Auch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizin-Produkte zeigte sich optimistisch: "Nach dem, was jetzt an Daten da ist, haben wir keinen absehbaren Engpass, der irgendwie dramatisch wäre", sagte ein Sprecher dem SWR.
Gesetz gegen Medikamentenmangel wirkt erst langfristig
Im Juni hatte der Bundestag ein Gesetz auf den Weg gebracht, um gegen Medikamentenmangel und Lieferengpässe vorzugehen. Aber schon im Sommer war klar: Dieses Gesetz wird die Probleme nicht sofort lösen, eher langfristig Wirkung zeigen.
"Das Gesetz ist im Ansatz gut gemeint", analysiert Thomas Hanhart vom Apothekerverband. "Es wird im Umfang aber nicht dem gerecht, was wir erreichen müssen." Langfristig müsse die Produktion von Medikamenten wieder in Europa angesiedelt werden. Die Preise für Medikamente seien hier immer noch zu niedrig, für die Hersteller sei das nicht interessant. Hersteller würden sogar Produkte aus dem Sortiment streichen, so Apothekerin Schmiz-Rölz, weil der Preis nicht die Kosten der Produktion decke.
Außerdem wünschen sich die Apotheker grundsätzlich mehr Kompetenzen und Handlungsspielraum, um bei fehlenden Medikamenten selbstständiger agieren zu können: Etwa die Stärke eines Medikaments anzupassen und die Dosierung entsprechend zu ändern oder andere vergleichbare Wirkstoffe auszuwählen - ohne ein neues Rezept beim Arzt anfordern zu müssen, sagt Hanhart: "Wir sind ja nun mal Arzneimittelexperten."
Warnung vor Hamsterkäufen bei Medizin
Trotz des neuen Gesetzes und der zuversichtlich gestimmten Politik: Die Sorgen bei Apothekern und Ärzten bleiben. In einer Sache sind sich aber doch alle Akteure im Gesundheitswesen mit Blick auf Herbst und Winter einig: "Bitte keine Hamsterkäufe!"
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