Nochmal fünf Jahre Vollzeit-Ehrenamt und deutsche Bürokratie? Viele Ortsbürgermeister waren bei einer SWR-Umfrage im Herbst noch unentschlossen, ob sie wieder kandidieren wollen. Die Mehrheit hat sich nun dafür entschieden – doch ihre Kritik an den kommunalen Strukturen bleibt.
Für Matthias Becker (CDU) ist es das Lächeln der Kinder, das ihn im Amt hält. Er hat als Bürgermeister von Ober-Olm ein Schülerparlament eingerichtet – und dort junge Menschen erlebt, die noch nicht frustriert sind vom deutschen "Verwaltungsdickicht", mit dem er es tagtäglich zu tun hat.
Und wenn er, wenn die Basis nicht ihren Beitrag leiste, dann werde nichts passieren in diesem Land. "Wenigstens kann ich dann für mich sagen: Ich tue alles, was in meiner Macht steht."
Zu viele Regeln und Vorschriften für Ortsbürgermeister
Am 9. Juni, wenn in Rheinland-Pfalz die Kommunalwahlen stattfinden, steht Matthias Becker also wieder auf dem Wahlzettel. Im vergangenen Jahr hatte er daran gezweifelt, ob er sich das nochmal antun soll: Die vielen Regeln und Vorschriften, deren Sinn er oft nicht sieht - und den Mangel an Veränderungswillen, der aus seiner Sicht herrscht. Bei einer SWR-Umfrage im vergangenen Jahr gab er an, sich noch nicht entschieden zu haben, ob er wieder antreten wolle.
Ehrenamtliche überfordert Bürgermeister in RLP frustriert – viele wollen aufhören
Eine SWR-Umfrage zeigt: Vielen ehrenamtlichen Bürgermeistern in RLP fehlt die Motivation weiterzumachen – für sie fehlt es an Geld und an Unterstützung anderer politischer Ebenen.
SWR-Umfrage: Mehrheit der unentschiedenen Bürgermeister tritt nun doch an
Damit gehörte er zu den 19 von insgesamt mehr als 80 teilnehmenden Ortsbürgermeistern in den Landkreisen Alzey-Worms, Mainz-Bingen und Bad Kreuznach, die noch unsicher waren. Die meisten aus ähnlichen Gründen wie Becker: Zu viel Bürokratie, zu wenig Geld, um Projekte umzusetzen, zu viel Arbeitsaufwand für ein Ehrenamt.
Der SWR hat nun bei den Unentschlossenen noch einmal nachgefragt, wie sie sich am Ende entschieden haben. Das Ergebnis: Von 19 treten 14 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wieder an, fünf geben ihr Amt auf.
Kaum neue Kandidaten für Bürgermeister-Amt
Auch Bernhard Wolf (Freie Liste Langenlonsheim-Stromberg FLLS) gehört zu jenen, die sich noch einmal für fünf Jahre zur Wahl stellen. Die Situation sei jedoch schwierig in seiner Gemeinde Langenlonsheim, es gebe immer mehr Aufgaben und immer weniger Geld. Wolf tritt vor allem deshalb wieder an, weil es sonst keiner machen will im Ort. Und eine Gemeinde ohne Bürgermeister, das will er sich nicht vorstellen. "So haben am Ende die Argumente dafür überwogen", sagt Wolf.
Anders sieht es bei Marcus Becker (Wählergruppe Undenheimer Freie Liste - UFL) aus, seit fünf Jahren ist er Bürgermeister von Undenheim. Es tue ihm leid, dass er nach nur einer Amtszeit aufhören müsse, sagt Becker, jetzt, da er sich gerade in viele Themen eingearbeitet habe. "Aber ich musste mich entscheiden: Zwischen dem Beruf, mit dem ich die Familie ernähre, und dem Ehrenamt."
Bürgermeister-Ehrenamt kostet 30 bis 40 Stunden pro Woche
Dieses Ehrenamt nimmt in Marcus Beckers Woche gerne mal 30 bis 40 Stunden ein – kaum vereinbar mit seinem Vollzeit-Job. Er stellt deshalb das rheinland-pfälzische System der ehrenamtlichen Ortsbürgermeister in Frage.
Auch Claudia Bläsius-Wirth (CDU) findet die Struktur der Kommunalpolitik "komplett falsch aufgezogen". Sie ist noch Bürgermeisterin von Guntersblum, wird ihr Amt aber genau wie Becker in diesem Jahr abgeben. Neben dem hohen Arbeitsaufwand für Ortsbürgermeister sieht sie vor allem die schlechte finanzielle Ausstattung der Gemeinden kritisch. Es blieben nur zwei Möglichkeiten: Das Eigenkapital, also die Ersparnisse der Gemeinde nach und nach aufbrauchen, oder die Abgaben erhöhen, was eine enorme Belastung für die Bürgerinnen und Bürger bedeute.
SWR-Umfrage Ortsbürgermeister: Ehrenamt kostet mehr als 30 Stunden pro Woche
Einige Ortsbürgermeister in Rheinland-Pfalz halten das Modell des ehrenamtlichen Bürgermeisters für gescheitert. Sie fordern: Künftig muss das ein Hauptberuf sein.
Claudia Bläsius-Wirth: "Eine dunkelrote Karte an das Land"
Für Bläsius-Wirth ist klar: "Rheinland-Pfalz braucht eine Kommunalreform." Konkret wünscht sie sich kleinere Verbandsgemeinden und hauptamtliche Bürgermeister für Orte mit mehr als 3.500 Einwohnern. Dass Bläsius-Wirth nun nicht mehr als Ortsbürgermeisterin antritt, will sie auch als Zeichen verstanden wissen: "Es ist eine rote Karte an die Verbandsgemeinde, an den Kreis, und eine dunkelrote Karte an das Land."
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