Die südeuropäische Sumpfschildkröte ist ein Problem-Tier. Sie wird von Touristen eingeschleppt und bedroht hier einheimische Arten. Doch der NABU in Bingen gibt Fundtieren Unterschlupf.
Das Zentrum des Naturschutzbundes NABU in den Binger Rheinauen ist ein richtiges Idyll. Auf einer Wiese grasen ein paar Ziegen, Frösche quaken im Teich und auf einem Ast im Wasser sonnen sich – aufgereiht wie auf einer Schnur - fünf Sumpfschildkröten, zwei große und drei kleine.
Ihr absoluter Lieblingsplatz, wie NABU-Mitarbeiter Kai Schnepel erzählt: "Meistens strecken sie noch den Kopf ganz lang aus, um soviel Sonne wie möglich abzubekommen - wie wir am Strand."
Sumpfschildkröten werden aus Ungarn eingeschleppt
Doch eigentlich dürften diese Tiere gar nicht hier sein, denn sie gehören nicht zu der heimischen Art von Sumpfschildkröten, sondern zu einer südeuropäischen, die von Touristen eingeschleppt wurde.
Gerade am Plattensee in Ungarn gebe es viele dieser Schildkröten, erklärt Kai Schnepel. Und immer wieder käme es vor, dass Menschen, die dort Urlaub machten, sie mitbringen und dann nach einiger Zeit hier aussetzen. Aber das, so Schnepel, schaffe Probleme.
Südeuropäische Tiere gefährden die einheimischen
Denn wenn man sie sich selbst überlassen würde, würden diese südeuropäischen Tiere voraussichtlich den nächsten Winter nicht überleben, weil sie nicht an die Kälte angepasst sind. Sie sind wärmere Temperaturen gewöhnt, würden sich nicht tief genug eingraben und dann schlicht erfrieren.
Zuvor allerdings - und das ist das größere Problem - würden sie sich vermutlich noch mit heimischen Exemplaren paaren. Dadurch gäbe es dann eine Vermischung der genetischen Pools und das würde die heimische Sumpfschildkröte schwächen. Auch sie würde dann mit den kalten Wintern bei uns nicht mehr klarkommen, sagt Kai Schnepel.
Schildkröten bekommen Asyl in Bingen
Deshalb werden alle Schildkröten, die als Fundtiere in Bingen abgegeben werden, genau untersucht. Die einheimischen Schildkröten kommen in eine Aufzuchtstation nach Worms und werden wieder ausgewildert. Die anderen, südeuropäischen, bleiben beim NABU in Bingen und bekommen dort sozusagen ihr "Gnadenbrot".
Ihr Teich ist so eingefasst, dass sie nicht ausbrechen können und tief genug, dass er im Winter kaum zufriert. Dort dürfen die Sumpfschildkröten alt werden - und das kann bis zu 70 Jahre bedeuten. "Die Alternative wäre, dass wir sie töten, und das wollen wir natürlich nicht", sagt Kai Schnepel vom Naturschutzbund.
Schildkröten-Babys entdeckt
Dieses Leben im Gnaden-Teich jedenfalls scheint den südeuropäischen Sumpfschildkröten gut zu gefallen. So gut, dass sie sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit sogar gerade vermehrt haben.
Kürzlich haben Kai Schnepel und seine NABU-Kollegen beim Saubermachen des Teichs in den Algen eine Mini-Schildkröte entdeckt, kaum größer als ein 2-Euro-Stück. Und vermutlich ist sie auch nicht die Einzige, so Schnepel. Sumpfschildkröten legen normalerweise 10-15 Eier, also gibt es wahrscheinlich noch mehr unentdeckten Nachwuchs im Teich.
Nachwuchs für NABU-Mitarbeiter überraschend
Das sei keinesfalls geplant gewesen, sagt der Naturschützer, und man habe auch nicht damit gerechnet. Eigentlich seien die Bedingungen in dem Teich auf dem NABU-Gelände gar nicht darauf ausgerichtet, denn normalerweise brauchten die Schildkröten Sandhügel, in denen sie ihre Eier ablegen.
Dass sie sich trotz der widrigen Umstände vermehrt haben, bedeute wohl, dass sie sich sehr wohl fühlen, freut sich Schnepel. Schließlich sollen die Schildkröten hier - wenn auch eingesperrt - ein schönes Zuhause haben und er findet: "Ein größeres Kompliment hätten sie uns gar nicht machen können."