Am Freitag gehen voraussichtlich hunderte Menschen in Nierstein gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Mitlaufen wird auch der AfD-Politiker und potentielle Niersteiner Bürgermeister-Kandidat Carsten Propp. "Geradezu paradox" findet das ein Politikwissenschaftler.
Am Anfang stand ein Aufruf des Jugendverbands der Verbandsgemeinde Rhein-Selz: "Wir machen eine Demo!" hieß es – gegen Rechtsextremismus, wie sie gerade vielerorts in Deutschland stattfinden. Die Recherchen von "Correctiv" über die Pläne einiger Rechtsextremisten und AfD-Politiker, massenhaft Menschen mit Migrationshintergrund auszuweisen, haben Hundertausende zu Protesten bewegt.
Diesen Freitag wird nun also auch in Nierstein im Landkreis Mainz-Bingen demonstriert. "Auf dem Land ist das Thema genauso wichtig, wie in großen Städten", sagt Alena Kunze, 19 Jahre alt und Vorsitzende des Jugendverbands. Und der Jugendverband sei parteineutral – und damit der richtige Organisator für so eine Demonstration.
Demonstration gegen Rechtsextremismus in Nierstein könnte groß werden
100 Teilnehmer sind angemeldet. Vermutlich werden es aber mindestens 500. Die Polizei Oppenheim plane mit wesentlich mehr Personal als bei einer normalen Demo, so eine Sprecherin. Denn, dass AfD-Politiker Propp mitläuft, könne für Unruhe sorgen.
Propp selbst sagt, er will als "Bürger", nicht als AfD-Mitglied, demonstrieren – auch wenn sich das "formell nicht ganz trennen" lasse: "Das bin ich halt, AfD-Mitglied." Er wehre sich aber dagegen, dass der Aufruf der Jugendorganisation nur gegen Rechtsextreme ziele. "Gegen jedwede Form von Extremismus" werde auf seinem Schild stehen, so Propp.
Anti-Rechtsextremismus-Demo von Jugendlichen organisiert
In seinem Aufruf schreibt der Jugendverband auf Instagram: "Wir stehen gegen rechtsextremes Gedankengut, das sich in unserer Gesellschaft immer weiter verbreitet. Besonders die letzten Ergebnisse der Correctiv Recherche zeigen, dass Neonazis und Rechtsextreme Pläne über die Deportation von Millionen Deutschen planen." Bei dem Treffen in Potsdam hatten die Beteiligten unter dem Begriff Remigration über diese Massenabschiebung gesprochen.
AfDler Carsten Propp argumentiert dagegen, wie viele seiner Parteikollegen: "Es hat keiner von uns von Deportation gesprochen." Auf die klar rechtsextremistischen Äußerungen mancher Parteigenossen angesprochen sagt er: "Ich sehe keine Nazis. Es soll mir mal jemand sagen, wo die Nazis sind."
Propp sagt jedoch auch, er sehe an dem Aufruf, dass die Demonstration gegen die AfD gerichtet sei. Läuft der AfD-Politiker trotzdem oder gerade deswegen mit? Propp sagt: Er möchte hören, was die Redner sagen. Und Fragen beantworten, falls ihn jemand anspricht. Geht es ihm nicht nur um eine Demonstration gegen Extremismus, sondern auch um die bevorstehende Bürgermeisterwahl, bei der Propp für die AfD kandidieren möchte? Propp sagt: nein.
Politikwissenschaftler: Verwirrung stiften ist Masche der AfD
Der Mainzer Universitätsprofessor und Politikwissenschaftler Kai Arzheimer findet: "Es ist natürlich ungewöhnlich und geradezu paradox, wenn sich AfD-Mitglieder an solchen Veranstaltungen beteiligen." Was damit bezweckt werden soll, sei klar: Man werde vielleicht etwas positiver wahrgenommen, nach dem Motto: "Hut ab, dass der sich das traut", beschreibt Arzheimer die Masche. Außerdem stifte man ein bisschen Verwirrung und Zweifel, was die Richtung der AfD angeht. Und vor allem – man bringe sich ins Gespräch.
Nierstein steht für "buntes Leben in Deutschland"
Gesprächsthema in Nierstein sei vor allem, dass man sich gegen rechts positionieren wolle, beschreibt Niersteins Bürgermeister Jochen Schmitt (FWG), wie er die Stimmung im Ort wahrnimmt. Und fragt rhetorisch: "Was halten Sie von jemandem der Sprecher vom Zentrum Rheinhessen ist, der Rechte noch rechter macht, der die AfD untermauert. Traue ich dem zu, dass der anders denkt?" Nach Erkenntnissen des rheinland-pfälzischen Innenministeriums hat der Treffpunkt "Zentrum Rheinhessen" in Mainz Kontakte in die verfassungsfeindliche Szene. Carsten Propp ist im Vorstand des Vereins.
Dass die Demonstration in Nierstein eskalieren könnte, glaubt Schmitt nicht. "Es sind genug Leute dabei, die für ein buntes Leben in Deutschland stehen. In Nierstein leben 64 Nationen. Wir haben keine Probleme mit Migranten."
"Jeder darf mitlaufen" - von AfD nicht provozieren lassen
Auch Sabine Stock, Ortsvereinsvorsitzende der Niersteiner SPD glaubt nicht, dass es zu einer Eskalation kommen könnte: "Den Niersteinern traue ich zu, dass sie demonstrieren, wie es sich gehört." Und ihr Parteikollege, SPD-Fraktionsvorsitzender Markus Frank, fügt mit Blick auf Propp hinzu: "Die interessierte Gegenseite läuft mit und hört mit. Das darf man nicht zu hoch hängen."
"Jeder kann mitlaufen", sagt auch Mitorganisatorin Alena Kunze vom Jugendverband Rhein-Selz. Dass ein AfD-Mitglied dabei sein wird, davon wollen sich die Organisatoren der Demo nicht beeinflussen lassen.
Für Freiheit, Demokratie und Vielfalt
Bei der Demonstration in Nierstein werden nur parteilose Organisationen zu Wort kommen. Sportvereine, Kirchengemeinden, der Verein "Rheinhessen gegen Rechts", zählt Kunze auf. Diese Gruppen stünden für die breite Bevölkerung. "Wir wollen, dass sich alle wohlfühlen in der Verbandsgemeinde."
Die Demonstration startet am Freitag um 18 Uhr am Niersteiner Marktplatz. Dann wird sich zeigen, welche Stimmen in Nierstein die lautesten sind.
Allein in Trier etwa 10.000 Teilnehmende Auch am Sonntag Demos in RLP gegen Rechtsextremismus
Bundesweit, aber auch in mehreren rheinland-pfälzischen Städten, hat es am Sonntag Demonstrationen gegen die AfD und Rechtsextremismus gegeben. Allein in Trier versammelten sich laut Polizei rund 10.000 Menschen.