In Heßheim dürfen 1.500 Tonnen Sondermüll lagern. Seit einem Unfall mit zwei Toten 2018 fordern die Anwohner einen Notfallplan. Sie warten noch heute darauf.
- Das wollen die Heßheimer
- Darum haben die Anwohner Angst
- Das versteht man unter einem externen Notfallplan
- Das steht im Katastrophenschutzgesetz
- Zuständigkeiten und Fristen
- Ein alter Notfallplan und warum er ausgehebelt wurde
- Das sagen die Verantwortlichen
- Der Zeitplan für den Notfallplan
Was fordern die Anwohner des Sondermüllzwischenlagers?
Einige Heßheimer im Rhein-Pfalz-Kreis leben sinnbildlich mit dem Zwischenlager in ihrem Vorgarten. Es sind nur wenige hundert Meter bis zu dem Gelände. Sie kämpfen mit ihrer Bürgerinitiative "Schutzgemeinschaft gegen Mülldeponie" für die Erstellung eines externen Notfallplans, seit fast fünf Jahren mittlerweile.
Wovor haben die Heßheimer Angst?
Sondermüll - das bedeutet zum Teil hochgiftiger Müll, der zum Beispiel von Chemie-Unternehmen angeliefert wird. Dass damit in dem Sondermüllzwischenlager erhebliche Gefahren lauern, zeigte ein Unfall 2018: Ein Behälter war falsch deklariert. Beim Umfüllen entwich giftiges Gas, zwei Mitarbeiter starben. Die Gaswolke zog bis nach Heßheim und die Anwohner wurden aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten. "Wir haben das bis nach unten gerochen - und ich fühle mich überhaupt nicht sicher", sagt Anwohnerin Dorothee Kramer-Lutz.
2020 gab es weitere Zwischenfälle. Zwei Brände gab es auf der Deponie neben dem Zwischenlager. Ein anderes Mal fing ein Container direkt auf dem Gelände des Zwischenlagers Feuer. Das treibt die Heßheimer um, zumal sie nichts Genaues wissen: "Was da passiert ist mit den Bränden, was es für Schadstoffe ausgelöst hat, das wissen wir gar nicht", sagt Maureen Herboth.
Externer Notfallplan - was ist das?
Ein externer Notfallplan wird von kreisfreien Städten und Landkreisen erstellt. Er ergänzt die internen Notfallpläne von Unternehmen und wird in Abstimmung mit diesen erstellt. Der Plan soll im Katastrophenfall dabei helfen, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Darin wird beispielsweise festgelegt, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Menschen in Sicherheit zu bringen oder die Öffentlichkeit zu informieren. Gesetzliche Grundlage ist §5a Brand- und Katastrophenschutzgesetz (LBKG) des Landes Rheinland-Pfalz.
Ist ein externer Notfallplan verpflichtend?
Für externe Notfallpläne gilt keineswegs: Sollte man mal machen. Notfallpläne sind nach dem Gesetz grundsätzlich erforderlich für Betriebe, die der so genannten Störfallverordnung unterliegen. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Die Behörden können davon absehen, wenn sie es begründen.
Wer muss den Plan schreiben und wie schnell?
Zuständig für einen solchen Notfallplan ist in diesem Fall der Rhein-Pfalz-Kreis - auf Grundlage von Informationen des Betreibers, hier also der SüdMüll GmbH. Das Katastrophenschutzgesetz lässt den Behörden dabei höchstens drei Jahre Zeit, bestehende Notfallpläne zu überarbeiten. Tatsächlich gab es einen solchen Plan sogar schon einmal bis 2008. Dann setzte der Rhein-Pfalz-Kreis den Plan außer Kraft.
Warum wurde ein vorhandener Notfallplan 2008 außer Kraft gesetzt?
Auf Anfrage des SWR erklärt der Kreis: Man habe den Notfallplan außer Kraft gesetzt, "da eine entsprechend große Gefahrenlage nicht für wahrscheinlich gehalten wurde". Diese Erklärung verwundert Oliver Kalusch, Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit des Bundesumweltministeriums. Er sagt: "Die Begründung erscheint mir sehr pauschal zu sein, dass eine große Gefahrenlage nicht sehr wahrscheinlich ist, das ist eigentlich kein hinreichender Grund, denn üblich ist ja, dass man sich die verschiedenen Störfall- und Ablaufszenarien und die verschiedenen Ausbreitungssituation anguckt." Tatsächlich wurde damals nach Angaben der zuständigen Struktur- und Genehmigungsbehörde (SGD Süd) nur die Gefahr durch Brände betrachtet. Der Austritt von giftigem Gas wurde demnach als Gefahr damals nicht durchgespielt. Aber genau das passierte 2018.
Warum ist der neue Notfallplan nach Jahren noch nicht fertig?
Nach dem tödlichen Unglück hatten sich die Behörden vorgenommen, einen neuen Notfallplan zu erstellen. Die Bürgerinitiative meint: Nach vier Jahren könnte der Plan durchaus fertig sein. Ulrike Bonifer von der Bürgerinitiative ist in all den Jahren auch nicht müde geworden, die Behörden immer wieder anzuschreiben und den Plan einzufordern. Der Kreis weist den Vorwurf zurück, dass er zu langsam arbeitet. Die Kreisverwaltung habe innerhalb der gesetzlichen Fristen permanent an der Erarbeitung eines externen Notfallplanes gearbeitet und dabei auch stets den Betreiber, die örtliche Wehr wie auch die Regionalstelle Gewerbeaufsicht einbezogen. Kalusch hält ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde für erforderlich und ergänzt: "Die drei Jahre sind auch von der EU vorgegeben".
Die ADD als Aufsichtsbehörde steht bei der Erstellung des Plans dem Rhein-Pfalz-Kreis beratend zur Seite. Sie schreibt auf Nachfrage: "Kenntnisse von oder Anhaltspunkte zu Rechtsverstößen lagen der ADD nicht vor." Nur dann würde sie überhaupt eingreifen.
Die Bürgerinitiative macht das fassungslos. Christian Sauer sagt: "Der Katastrophenschutz hat null Priorität. Die Ahrtal-Katastrophe – was sich da gezeigt hat, an mangelhaften Katastrophenschutz – war ja eklatant!"
Was sagt das Innenministerium zu den Vorwürfen?
Das rheinland-pfälzische Innenministerium will sich nicht vor der Kamera äußern und gibt eine schriftliche Antwort: "Gerade weil der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz Priorität hat, wird er derzeit neu aufgestellt." Federführend blieben aber die Kreise, da nur dort sowohl Gefahren als auch notwendige Maßnahmen aufgrund der Kenntnis von örtlichen Gegebenheiten und Erfahrungswerten aus vorherigen Gefahrenlagen sachgerecht eingeordnet werden könnten.
Ist ein Ende der Hängepartie in Sicht?
Der Kreis hat sich nun mit einem Datum vorgewagt: Bis Ende Juni soll der Notfallplan fertig sein, man sei da "guten Mutes". Sobald der Plan fertig ist, muss er offengelegt werden. Auch das ist gesetzlich vorgeschrieben. Wann genau das passieren wird, weiß der Kreis noch nicht.
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