Kinder aus Gastarbeiterfamilien

Ausstellung über "Kofferkinder" in Ludwigshafen: Porträts von Kindern aus Gastarbeiterfamilien

Stand
Autor/in
Sara Pipaud

Von den Eltern zurückgelassen - das ist die traumatische Erfahrung von etwa 700.000 Kindern, deren Eltern als Gastarbeiter in den 1960er und 70er Jahren nach Deutschland kamen. Drei sogenannte "Kofferkinder" aus Ludwigshafen erzählen.

Der Plan vieler Gastarbeiter aus der Türkei, Italien oder Griechenland war, zwei Jahre in Deutschland zu arbeiten und dann mit gefüllten Taschen in die Heimat zurückzukehren. Die Kinder brachten sie für die geplante, kurze Zeit bei Familie oder Freunden unter. Hintergrund waren die Anwerbeabkommen der Länder mit Deutschland. Doch aus der kurzen Zeit wurden oft viele Jahre.

KOFFERKIND: Ausstellung in Ludwigshafen
Aus der Ludwigshafener Ausstellung "KOFFERKIND" von Fatma Biber-Born. Die Künstlerin hat die Schicksal zurückgelassener Kinder in Tusche, Aquarellen und auch in Schriftform festgehalten.

Die Kinder der Arbeitsmigrantinnen und -migranten werden heute als "Kofferkinder" bezeichnet. Die Künstlerin Fatima Biber-Born erzählt in ihrer Ludwigshafener Ausstellung "Kofferkind" Geschichten solcher verlassener Kinder, die heute Erwachsene sind. Die Eltern sahen sie über Jahre nur in den Ferien. Was haben sie erlebt?

"Ich hatte immer wieder Angst, dass jemand geht"

"Für Kinder, die so etwas erlebt haben, ist es ein großes Trauma", sagt Sevgi Rüzgar. Wir treffen sie in der Ausstellung. Die Erfahrung, ein Kofferkind zu sein, prägte die gebürtige Türkin ihr ganzes Leben. Sevgi Rüzgar ist 55 Jahre alt und lebt seit 50 Jahren in Deutschland. Ihr Vater ging, als sie klein war, ins Ausland, um dort zu arbeiten. Erst nach Holland, dann nach Deutschland.

Ihre Mutter verließ die Familie als Sevgi Rüzgar drei Jahre alt war. Das kleine Mädchen wuchs bei seinen Großeltern auf. Mit fünf Jahren holte ihr Vater sie nach Ludwigshafen. Der Vater war ihr fremd, Deutschland auch. Durch das Verlassenwerden von ihren Eltern litt sie immer wieder unter Verlustängsten, sagt sie heute. Mittlerweile versteht sie die Entscheidung, sie zurückzulassen besser, aber "als Kind konnte ich das nicht nachvollziehen", so die 55-Jährige.

D'Angelo blieb als einziger von sechs Geschwistern zurück

Domenico D'Angelo stammt aus Cattolica Eraclea in Sizilien und lebt seit 35 Jahren in Ludwigshafen. Zusammen mit seiner Frau betreibt er die kulturelle Begegnungsstätte "Cinema Paradiso" im Ludwigshafener Hemshof. D'Angelo bezeichnet sich selbst als "Kind mit Koffern". Als er zwölf Jahre alt war, gingen seine Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland und nahmen seine fünf Geschwister mit. Er blieb bei seiner Großmutter zurück.

Sechs Jahre lebte er dort, ohne seine fünf Geschwister und ohne seine Eltern. In dieser Zeit packte er immer wieder seinen Koffer, um seine Familie in Deutschland zu besuchen. Bei seiner Großmutter konnte er machen, was er wollte, erinnert sich D'Angelo: "Ich war frei, ich konnte machen, was ich wollte. Keiner hat aufgepasst. Andererseits hat das auch sehr viel Eigendisziplin gefordert.

Er lernte viel, um die Schule so schnell wie möglich abzuschließen und so dem Rest seiner Familie hinterher ziehen zu können. Am Tag nach seiner letzten Prüfung brach er auf nach Deutschland. D´Angelo reagiert verständnisvoll auf die Entscheidung seiner Eltern: "Wir waren so viele Kinder und in Sizilien gab es keine Arbeit. Rückblickend war es sicher die richtige Entscheidung“.

"Ich war immer sauer auf meine Eltern"

Oya Gündoğd ist in Deutschland geboren worden. Nachdem sich ihre Eltern trennten, schickten sie ihre Tochter in die Türkei zur Oma. Bis zu ihrem elften Lebensjahr besuche sie dort die Schule. Im Jahr 1980 holte ihr Vater sie nach Deutschland, nachdem ihre Großmutter entschied, sie könne die Verantwortung nicht weiter für sie übernehmen. Gündoğd erzählt, sie habe andere Pläne für ihr Leben gehabt und beschreibt das Ankommen in Deutschland als "das Ende ihrer Schulzeit".

Vater holte Oya mit elf nach Deutschland

Sie hatte Schwierigkeiten, Deutsch zu lernen und brauchte zwei Jahre, um die ersten paar Worte sprechen zu können. Die Schule sei die Hölle gewesen, denn sie habe in der Klasse gesessen und kein Wort verstanden. Deswegen schaffte sie auch keinen Hauptschulabschluss, so die 55-Jährige.

Bis heute sei sie sauer auf ihre Eltern und deren Entscheidungen, die sie für sie trafen, sagt Gündoğd. Sie selbst hat vier Kinder und kann sich nicht vorstellen jemals eines davon allein zurückzulassen, so wie sie zurückgelassen wurde.

KOFFERKIND: Ausstellung in Ludwigshafen
Die Ausstellung "Kofferkind" ist bis Ende März in der Bismarckstraße 55 zu sehen.

Ausstellung zu "Kofferkindern" bis Ende März

Insgesamt kamen zwischen 1955 und 1973 mehr als 14 Millionen Migranten nach Deutschland. Elf Millionen zogen wieder weg. Heute haben rund 2,8 Millionen Menschen in Deutschland einen türkischen Migrationshintergrund. Damit machen sie die größte Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aus.

Die Portraits der ehemaligen Kofferkinder aus der Pfalz werden im Social Innovation Lab der Hochschule Ludwigshafen in der Bismarckstraße 55 (mitten in der Ludwigshafener Fußgängerzone) ausgestellt. Die Ausstellung kann bis zum 31. März besucht werden. 

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