Weil sie im Streit ihren Lebensgefährten erstochen haben soll, muss sich eine 25-Jährige vor dem Landgericht Frankenthal verantworten. Der erste Verhandlungstag schockiert die Beteiligten.
Der Blick der vorsitzenden Richterin in Frankenthal ist starr nach vorne gerichtet. Es ist Dienstag, der erste Verhandlungstag eines ungewöhnlichen Totschlagsprozesses. Dass eine Frau ihren Lebensgefährten erstochen haben soll, ist eher ein seltener Fall vor Gericht. Meist ist es umgekehrt. Während die Richterin nach vorne blickt, schauen alle anderen im Gerichtssaal 20 des Frankenthaler Landgerichts auf einen riesigen Fernsehbildschirm. Dort laufen Videos, die das spätere Opfer am Todestag, aber auch schon Monate vorher mit dem Handy gedreht hat.
Videos bei Prozessauftakt in Frankenthal zeigen zerrüttete Beziehung
Auf den Videos sind Szenen aus der Wohnung im Neustadter Stadtteil Lachen-Speyerdorf zu sehen. Kurz erscheint mal das Gesicht des späteren Opfers, mal ist die Angeklagte im Bild. Mehr als die Bilder erschüttert der Ton der Videos. Lautstarke Worte eines Mannes und einer Frau schallen durch den Gerichtssaal. Es wird erbittert geschrien. Trotz der Lautstärke sind die Worte nicht immer zu verstehen, aber vielleicht versagt auch die Phantasie des Zuhörers, welche beleidigende Begriffe gerade fallen. Fest steht nur: Es sind übelste Beschimpfungen, die sich das Paar gegenseitig an den Kopf wirft. Wenn der Mann seine Lebensgefährtin dabei als "Psycho" bezeichnet, gehört das noch zu den eher harmlosen Worten.
Aufgezeichnete Notrufe: "Mama hilf mir, ich muss sterben"
Die Vorsitzende Richterin will mit den Videos klären, wie toxisch die Beziehung der beiden jungen Leute war. Warum das spätere Opfer diese Handybilder gedreht hat, bleibt zumindest am ersten Verhandlungstag noch unklar: Vielleicht wollte er dokumentieren, welchen Anfeindungen er durch seine Freundin ausgesetzt war. Nach den Videos gibt es eine weitere Belastungsprobe für die Menschen im Gerichtssaal: Die aufgezeichneten Notrufe der Mutter des Opfers werden abgespielt. Zuvor ist ihr Sohn blutüberströmt vor ihrer Haustür aufgetaucht und sagt: "Mama hilf mir, ich muss sterben." Innerhalb von zwölf Minuten landen am 2. Januar kurz nach 18 Uhr mehrere Notrufe bei der Polizei in Neustadt. "Mein Sohn verblutet, bitte kommen sie schnell" brüllt die Mutter in den Hörer.
Zum Prozessauftakt liest Verteidiger Erklärung der Angeklagten vor
Die 25-jährige Angeklagte lässt zu Beginn des Prozesses ihren Verteidiger Christoph Hambusch aus Frankenthal eine Erklärung zur Tat vorlesen. Es ist eine Antwort auf den Vorwurf der Oberstaatsanwältin. Sie hatte die kurze Anklage vorgetragen. Demnach sei es in Neustadt in der gemeinsamen Wohnung am 2. Januar nach einem verbalen Streit in der Küche zu dem letztlich tödlichen, acht Zentimeter tiefen Messerstich in den Rücken des 28 Jahre alten Opfers gekommen. Der junge Mann sei dann auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben. Wenig später habe die Polizei die Freundin widerstandslos festgenommen.
Prozess beim Landgericht Frau wegen Totschlags in Frankenthal angeklagt
Weil sie im Streit ihren Lebensgefährten erstochen haben soll, musste sich eine 25-jährige Neustadterin vor Gericht verantworten.
Todesdrohungen und gegenseitige Gewalt am Tattag?
In der Erklärung behauptet die Angeklagte, es habe bereits seit Heiligabend 2023, also eine gute Woche vor der Tat, fortwährenden Streit zwischen ihr und ihrem Freund gegeben. Der Freund habe sie in dieser Zeit mit einer Schere am Bein und am Ellenbogen verletzt. Am Neujahrstag habe er gedroht, sie umzubringen. Am Vormittag des Tattages habe der 28-Jährige sie beleidigt, provoziert und ihr unter anderem mit einer Holzlatte auf den Fuß geschlagen und ihr Haare ausgerissen. Abends in der Küche habe sie sich "eingeengt" und angegriffen gefühlt. Die Folge: Sie griff nach dem Küchenmesser auf dem Herd und stach in den Rücken ihres Lebensgefährten. "Ich hatte Angst, habe nur einmal zugestochen, ich wollte ihn nicht töten, es tut mir leid", endete die vorgelesene Erklärung der Angeklagten.
Mutter des Opfers bestätigt zu Prozessauftakt zerrüttete Beziehung
Anwalt Hambusch stellt dann klar: Fragen zu dieser Erklärung lässt er zwar zu, allerdings müssen die schriftlich bei ihm eingereicht werden. Bevor das passiert, wird die Mutter des getöteten jungen Mannes als Zeugin gehört. Sie ist gleichzeitig Nebenklägerin in dem Verfahren. Die Aussage der Frau gewährt einen tiefen Einblick in die zerrüttete Beziehung ihres Sohnes mit der Angeklagten.
Große Alkohol- und Suchtprobleme
Kennengelernt hatten die beiden sich schon in ihren Teenagerjahren, berichtet die Mutter. Acht bis neun Jahre hätte die Beziehung gedauert. Das Kennenlernen war recht ungewöhnlich: Beide befanden sich in einer Alkoholentzugstherapie in der Bad Dürkheimer Sonnenwendklinik. "Ich habe sie wie die eigene Tochter aufgenommen", sagt die Mutter vor Gericht. 2019 sei das Paar zusammengezogen. Drogen- und Alkoholkonsum hätten sich bei der Freundin ihres Sohnes verhängnisvoll ausgewirkt. Nüchtern hätte sie sich immer normal verhalten. Wenn sie aber Bier trank, sei sie "wie ein anderer Mensch" aufgetreten. Dann sei die 25-Jährige "laut, unzufrieden und hysterisch" geworden.
Mutter des Opfers: "Er wollte mit ihr Schluss machen"
Die lauten Streitigkeiten mit ihrem Sohn habe die ganze Nachbarschaft mitbekommen. Auch die Polizei sei häufiger da gewesen. Gleichzeitig schildert die Mutter ihren Sohn positiv: "Er war nie gewalttätig anderen gegenüber, sondern ganz normal". Nach einem weiteren Drogenentzug sei die junge Frau nach nur wenigen Tagen wieder rückfällig geworden. Als Auslöser für die Streitigkeiten vermutet die Mutter Geldprobleme und eventuell auch Eifersucht. "Die beiden konnten nicht mit - aber auch nicht ohne einander", sagt die Frau vor Gericht. Gleichzeitig beteuert sie, dass ihr Sohn sich von seiner Freundin trennen wollte, weil er es psychisch nicht mehr ausgehalten habe.
Leben Weil sie zugeschlagen hat - Weibliche Gewalt in Partnerschaften
Bei jedem fünften Fall häuslicher Gewalt sind Männer die Opfer, sagen Sozialarbeiter der Fachberatungsstelle Gewaltprävention in Stuttgart. - Autor Eckhard Rahlenbeck traf Männer in einer Schutzwohnung. (SWR 2019)
Mutter erlebt dramatische letzte Minuten des Opfers
Doch zur Trennung kommt es nicht mehr. Am Abend des 2. Januar, so schildert es die Frau, sieht sie vom Badfenster aus, wie ihr Sohn im benachbarten Haus im Wohnzimmer steht und den Namen seiner Freundin ruft. "Helf mir, ich muss sterben". Danach läuft der Sohn über den Hof und schreit: "Ich krieg' keine Luft". Wenig später tauchte er dann stark blutend vor der Wohnung seiner Eltern und des Bruders auf, berichtet seine Mutter weiter. Trotz dieser dramatischen Schilderung wirkt die 57-Jährige beherrscht und gefasst bei ihrer Aussage vor Gericht.
Verhandlung in Frankenthal läuft noch länger
Um das Geschehen zu klären und aufzuarbeiten, nimmt sich die 1. Große Strafkammer am Landgericht Frankenthal viel Zeit. Bis Ende August sind weitere zehn Verhandlungstage terminiert. "Diese Zeit werden wir auch brauchen" sagt Verteidiger Christoph Hambusch.
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