12 Prozent mehr zum Leben

Diskussion ums Bürgergeld: Was sagen Betroffene in Ludwigshafen?

Stand
Autor/in
Janosch Beyer
Porträt von SWR Reporter Janosch Beyer

In Berlin wird die Erhöhung des Bürgergeldes diskutiert - zwölf Prozent sollen Sozialhilfeempfänger ab 2024 mehr bekommen. Wir haben mit Betroffenen aus der Bayreuther Straße in Ludwigshafen geredet.

In der Bayreuther Straße in Ludwigshafen wird das Mittagessen verteilt. Hier wohnen Menschen, die sonst keine Wohnung finden, die meisten sind auf Sozialhilfe wie das Bürgergeld angewiesen. Ein kostenloses Mittagessen lockt die Besucher an diesem Mittwoch in den Jugendtreff der Ökumenischen Fördergemeinschaft Ludwigshafen. Heute werden Brötchen verteilt. Kaffee gibt es auch. Die Besucher sitzen auf ein paar alten Sofas.

Eindrücke aus der Bayreuther Straße
Von Dienstag bis Freitag treffen sich Bewohner und Freunde der Bayreuther Straße im Jugendzentrum zum Essen und Kaffee trinken.

Knappes Bürgergeld - Pfandflaschen sammeln als Puffer

Im Jugendzentrum, das hier im Viertel allen als Treffpunkt dient, kochen Ehrenamtliche. Eine von ihnen ist Christina. Mit ihrem Sohn lebt auch sie von Bürgergeld, etwa 1.000 Euro sind das für beide im Monat. Das reicht aber nur sehr knapp, denn bis auf Miete und Heizkosten muss sie alles andere davon bezahlen: "Man kommt hin, wenn man gut haushaltet."

Mit ihrem Sohn ein Eis essen gehen, muss sie sich gut überlegen. "Am Ende des Monats kann das der ausschlaggebende Punkt sein, dass man halt nichts zu essen hat", sagt sie. Um etwas mehr Geld zu haben, sammelt Christina Pfandflaschen.

Bürgergeld: Größere Anschaffungen sind fast unmöglich

Wenn das Bürgergeld ab Januar erhöht wird, will Christina sparen - für die Einrichtung des Kinderzimmers. Sie dürfte um die 100 Euro mehr bekommen. Derzeit habe sie keine Möglichkeit, Geld zur Seite zu legen, die Lebenshaltungskosten seien zu hoch.

Seit einiger Zeit lebt Christina nicht mehr in der Bayreuther Straße, sie hat eine kleine Wohnung in der Stadt gefunden. Momentan schlafen Mutter und Sohn im selben Zimmer. Für die Einrichtung des zweiten Zimmers rechnet sie mit Kosten von 500 bis 600 Euro. Kleiderschrank, Bett mit Matratze und Schreibtisch - das summiert sich.

Man kommt hin, wenn man gut haushaltet.

Die Bundesregierung erhöht das Bürgergeld zum neuen Jahr. Ein alleinstehender Erwachsener bekommt dann 12 Prozent mehr Geld - statt 502 Euro 563 Euro pro Monat. Miete und Heizung übernimmt das Jobcenter.

Bayreuther Straße in Ludwigshafen: Strom nur bei Vorauszahlung

In der Bayreuther Straße ist Heizen ein Problem - das kostet viel Geld. Die meisten Bewohner müssen mit Strom die Wärme erzeugen, die Zentralheizung ist defekt. Den Strom gibt es nur, wenn man im Vorfeld dafür zahlt - "Prepaidzähler" nennt sich das.

Jaqueline wohnt auch in der Bayreuther Straße: "Ich habe echt Angst vor den Stromkosten! Es gibt ja keine Heizkörper hier." Sie rechnet damit, dass die Erhöhung des Bürgergelds bei ihr komplett für die Heizkosten draufgeht.

Ludwigshafen: Stadtspitze befürwortet mehr Bürgergeld

Die Stadt Ludwigshafen befürwortet die geplante Erhöhung des Bürgergelds. Rund 21.000 Menschen dort erhalten diese Sozialhilfe, das sei ein sehr hoher Anteil der Bevölkerung. Für Ludwigshafens Sozialdezernentin Beate Steeg (SPD) ist klar: Die Erhöhung des Bürgergelds darf nicht angetastet werden.

Insgesamt beziehen derzeit laut Agentur für Arbeit 34.000 Menschen in der Vorderpfalz Bürgergeld.

Bürgergeld: Erhöhung ist gesetzlich festgeschrieben

Die hitzige Debatte ums Bürgergeld scheint in Berlin vom Tisch. Laut Arbeitsagentur kann die umstrittene Erhöhung nicht zurückgenommen werden. Das sei organisatorisch gar nicht möglich, sagt Anja Winnefeld, Leiterin der Agentur für Arbeit in Ludwigshafen. Die komplette IT sei schon entsprechend umprogrammiert worden.

Die Grundlage für die neue Berechnung ist der Zeitraum eines Jahres - von Juni 2022 bis Juni 2023. Entsprechend kommen dabei die 12 Prozent raus - denn gerade in dieser Zeit war die Inflation besonders hoch. Das sei im Gesetz so verankert, konkreten Einfluss können einzelne Politiker nicht darauf nehmen.

Aufgrund der Methode sei es auch gut möglich, dass 2025 keine oder nur eine minimale Erhöhung komme. Das fordern inzwischen Politiker von CDU und FDP.

Sozialarbeiter: Erhöhung ist immer noch zu wenig

Für die Ökumenische Fördergemeinschaft Ludwigshafen sind noch ganz andere Debatten wichtig. Der Sozialpädagoge Johannes Hucke hat viel zu tun in der Bayreuther Straße. Was sagt er zur Erhöhung?

"Die Erhöhung des Bürgergelds bringt wenig bis nichts", sagt er. "Das heißt, es wird ein bisschen von dem, was durch die Inflation verloren gegangen ist, wieder aufgeholt. Aber es sind keine Perspektiven damit verbunden."

Außerdem kritisiert er die Bürokratie. Die Anträge beim Amt zu stellen, sei sehr schwierig: "Der bürokratische Wust ist inzwischen so groß, dass viele von denen, die ich hier kenne, gar nichts mehr beantragen."

Bürgergeld zu beantragen ist aufwendig und kompliziert

Dass die Bürokratie für viele Berechtigte ein Problem ist, sieht auch Anja Winnefeld von der Agentur für Arbeit in Ludwigshafen. Aber: Die regelmäßige Abfrage und die vielen Daten die erhoben werden müssten, seien gesetzlich vorgeschrieben. Da müssen im Moment die zuständigen Sozialstellen oder Ehrenamtliche helfen, bei Menschen, die beispielsweise zu wenig Deutsch sprechen.

Das ist die Aufgabe der Politik. Die Systeme müssen besser ineinander greifen und einfacher werden.

Die regelmäßige Datenabfrage sei aber auch notwendig und erfolge alle sechs bis zwölf Monate mit dem Folgeantrag. Schließlich müssten auch Leistungen - wie die Miete bei Erhöhung - angepasst werden. Dennoch appelliert Winnefeld: "Das ist die Aufgabe der Politik - Die Systeme müssen besser ineinander greifen und einfacher werden."

Manche finden die Erhöhung unnötig

Zurück in der Bayreuther Straße. Für Bewohner Wolfgang reicht das Bürgergeld, erzählt er. "Ich bin sehr genügsam und ich kann mich mit wenig Geld gesund ernähren." Für ihn müsse das Bürgergeld daher nicht unbedingt erhöht werden. Aus seiner Sicht sei das beim Mindestlohn viel wichtiger.

Eindrücke aus der Bayreuther Straße
Das Jugendzentrum dient vielen Bewohnern der Bayreuther Straße als Treffpunkt

Denn: Es müsse sich wieder lohnen, zu arbeiten, sagt Wolfgang. Er hat selbst lange als Bäcker gearbeitet, ist aber inzwischen berufsunfähig. Ab Januar bekommt er dann 61 Euro mehr Bürgergeld - und darüber freut er sich natürlich trotzdem, sagt er.

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