Auch ältere Menschen können Suchtprobleme haben. Was können Angehörige dagegen tun? Darüber informiert Suchtexperte Reiner Kuhmann von der Diakonie Westerwald im Gespräch mit dem SWR.
SWR Aktuell: Warum kommt es auch bei älteren Menschen zur Abhängigkeit von Alkohol oder Medikamenten?
Reiner Kuhmann: Die spätere Lebensphase ist mit sehr vielen Veränderungen und Belastungen verbunden. Wenn man zum Beispiel jemand Geliebten verliert oder aufhört, zu arbeiten. Dann merkt man, dass man sein Leben noch mal ganz neu organisieren muss. Dazu kommt auch in vielen Fällen, dass der Körper nicht mehr so wie gewohnt mitmacht.
Mit diesen Belastungen geht jeder unterschiedlich um. Durch den Wegfall der regelmäßigen Arbeit sind manche Menschen über den Tag nicht mehr ausgelastet und können dann auch nicht mehr so gut schlafen. Dann fällt es leichter, zum Glas Wein oder zur Schlaftablette zu greifen.
SWR Aktuell: Zum Beispiel Tabletten - wann spricht man da von einer Sucht?
Reiner Kuhmann: Wenn das Einnehmen von Tabletten - wie beispielsweise Schlaftabletten - eine Eigendynamik bekommt. Häufig muss die Dosis gesteigert werden und es ist nicht absehbar, welche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bestehen. Dann wird es gefährlich und man spricht von einer Abhängigkeit. Wenn man nicht mehr frei entscheiden kann, ob man eine Tablette nehmen möchte oder nicht. Wenn man Entzugserscheinungen bekommt, wenn man sie nicht nimmt, dann kann man von einer Suchtkrankheit sprechen.
SWR Aktuell: Wie sollten Angehörige vorgehen, wenn sie eine Sucht vermuten?
Reiner Kuhmann: Erstmal ist es wichtig, aufmerksam und wachsam zu sein. Man sollte die Betroffenen in einem Gespräch mit seiner Vermutung konfrontieren und ihnen sagen, was man mitbekommt. Denn manchmal denken Suchtkranke, dass die anderen nichts merken. Diese Illusion muss man auf jeden Fall zerstören.
Das ist kein lustiger Moment. Da muss man sich möglicherweise auch auf Reaktionen einstellen, die nicht schön sind und dass das Gespräch nicht harmonisch abläuft. Aber es geht darum, diesen Menschen noch Lebensqualität zu sichern, die sie mit der Sucht so nicht mehr hätten.
SWR Aktuell: Was kann ich als Angehöriger noch tun?
Reiner Kuhmann: Angehörige sollten sich auch selbst Hilfe holen - gerade wenn sie unsicher sind. Zum Beispiel bei der Suchtberatung der Diakonie. Ich habe eine Angehörigengruppe, die sich alle 14 Tage trifft. Dort merken Angehörige, dass es sehr viele unterschiedliche Gefühle bei dem Thema gibt und sie bekommen mit, wie andere mit den Problemen umgehen und können die Situation so besser einschätzen.
SWR Aktuell: Wie geht man bei der Konfrontation mit dem älteren Menschen um?
Reiner Kuhmann: Wichtig ist, dass man den Angehörigen immer wieder darauf anspricht. Es geht aber darum, den alten Menschen die Würde zu belassen, also ihnen nicht zu sagen, wie schlimm sie sich verhalten. Sonst kommt es zu einer Abwehr. Sondern zu sagen, dass man sich Sorgen macht und es Möglichkeiten gibt, etwas zu verändern. Wir laden dich dazu ein, mit uns zusammen diese Möglichkeiten zu nutzen. Man sollte dem Betreffenden aber auch Zeit geben, um das Gespräch sacken zu lassen und dann vielleicht einen Tag später den Faden noch einmal aufgreifen.
SWR Aktuell: Warum lohnt es sich, aus der Sucht rauszukommen?
Reiner Kuhmann: Im Alkoholbereich haben wir sehr viele Menschen, die leider erst relativ spät zu uns kommen. Die schaffen es aber noch mit Entgiftung, Therapie und Selbsthilfe. So bekommen sie Lebensqualität wieder zurück. Sie feiern das dann als zweiten Geburtstag und Neustart.
Zum Beispiel ein 68-Jähriger kann noch 20 Jahre leben. Das ist ein guter Grund, nochmal an Veränderungen zu denken. Es ist wirklich so, dass sich für die Menschen, für die Suchtkranken und auch für ihre Angehörige, ein neuer Vorhang öffnet, wenn man den Weg aus der Sucht schafft und den Bezug zur Realität wieder gewinnt.
Die Fragen stellte SWR-Reporter Michael Heußler.
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