Empörung und Retraumatisierung

Was die Flutvideos bei Betroffenen im Ahrtal auslösen

Stand

Die Veröffentlichung der Videos aus dem Polizeihubschrauber in der Flutnacht hat bei Betroffenen aus dem Ahrtal für Empörung und Entsetzen gesorgt.

Inka und Ralph Orth verfolgen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses von Anfang an. Ihre Tochter Johanna ist eines der 134 Todesopfer der Flutkatastrophe. Die Eltern sind enttäuscht von der Aufarbeitung der Geschehnisse und sprechen gegenüber dem SWR von einer "Farce".

Betroffene: Ausmaß des Hochwassers eindeutig erkennbar

Die Eltern von Johanna kritisieren angesichts der nun erstmals veröffentlichten Videos aus der Flutnacht, dass bislang nur gegen den ehemaligen Landrat Pföhler, aber nicht gegen die Landesregierung ermittelt wird. Aus ihrer Sicht zeigen die Aufnahmen ganz deutlich das Ausmaß des Hochwassers am späten Abend. Sie könne nicht verstehen, warum darauf nicht reagiert wurde, sagt Inka Orth. "Da verlieren wir den Glauben an alles, was bei uns mit Aufklärung zu tun hat."

"Da verlieren wir den Glauben an alles, was bei uns mit Aufklärung zu tun hat."

Sie und ihr Mann sind sich sicher: An der unteren Ahr hätten viele Menschenleben gerettet werden können, wenn großflächig evakuiert worden wäre. Ihre Tochter Johanna wohnte in einer Erdgeschosswohnung in Bad Neuenahr-Ahrweiler und ertrank in den Fluten. Sie wurde nur 22 Jahre alt.

Podcast „Die Flut – Warum musste Johanna sterben?“

Die Jahrhundertflut im Juli 2021 kostete 180 Menschen ihr Leben. Auch die 22-jährige Johanna ertrank. Der Podcast „Die Flut – Warum musste Johanna sterben?“ erzählt ihre Geschichte

Vorwurf: Behörden haben trotz Videos zu spät gewarnt

Sabine Bruckner hat die Flutwelle in Ahrweiler mit- und überlebt. Zwei Meter hoch stand das Wasser in der Flutnacht in ihrem Wohnzimmer, auch mehr als ein Jahr später sind die Schäden immer noch sichtbar. Jetzt die Videos zu sehen, fällt ihr schwer. "Wenn ich mich nicht zusammenreiße, müsste ich weinen", sagt sie. Gleichzeitig ist sie aber auch wütend.

"Die können mir nicht erzählen, dass keiner was gewusst hat."

Angesichts der Videos mache sie den Behörden den Vorwurf: "Ihr hättet warnen können! Die Häuser sind überschwemmt und die Leute sitzen oben und wissen gar nicht, wie sie sich helfen können", sagt Bruckner. "Die können mir nicht erzählen, dass keiner was gewusst hat." Es sind viele Fragen, die ihr im Kopf umhergehen. Genauso wie die Erinnerungen, die jetzt wieder nach oben kommen: an die Flutnacht, die Hilflosigkeit, die Geräusche, die Angst.

Bürgermeister von Hönningen: Lewentz-Rücktritt wäre guter Zug

Davor hat auch der Bürgermeister der Ahr-Gemeinde Hönningen, Jürgen Schwarzmann (CDU), Angst. Er habe begonnen, eines der Videos anzusehen, dann aber abgebrochen. "Das wühlt alles wieder auf." Er selber wolle lieber in die Zukunft schauen, sagt er. Er finde es aber sehr bedenklich, dass Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Dienstag gesagt hatte, auf den Videos habe er keine Katastrophe erkennen können. "Was haben die Leute denn erwartet, was man auf den Videos sehen muss? Für mich war das eine Katastrophe." Aus seiner Sicht sei es für alle Seiten ein guter Zug, wenn Lewentz zurücktreten würde.

Trauma-Therapeutin Katharina Scharping
Katharina Scharping leitet das Traumahilfezentrum im Ahrtal. Hier können Menschen nach der Flutkatastrophe psychotherapeutische Unterstützung bekommen.

Therapeutin: Fehlende Entschuldigung erschwert Traumabewältigung

Dass durch die Videos und die Debatte darüber bei vielen Betroffenen die Erlebnisse aus der Flutnacht wieder hochkommen, hält Katharina Scharping, die Leiterin des Traumahilfezentrums im Ahrtal, für sehr wahrscheinlich. "Das bringt die Bilder alle nochmal hoch." Da sei Wut und Ärger eine ganz normale Reaktion, mit der man rechnen müsse, so Scharping.

Sie kritisiert den Umgang der Politik mit den Videos, denn die Debatte sei für Betroffene oft schwer erträglich. Von Anfang an gebe es bei ihnen schon das Bedürfnis, dass sich jemand von politischer Seite entschuldigt. Das sei aber nie passiert. "Wenn jetzt jemand kommt, von dem man das Gefühl hat, der ist verantwortlich, gesteht das aber nicht ein, macht es das schlimmer."

SWR-Talk zu Flut-Videos Innenminister Lewentz weicht Fragen nach Rücktritt aus

Trotz wachsender Kritik nach der Veröffentlichung von Polizeiaufnahmen aus der Flutnacht verteidigt Innenminister Lewentz weiter sein damaliges Verhalten. Die Katastrophe sei so nicht absehbar gewesen. Seine Verantwortung sei nun der Wiederaufbau im Ahrtal.

SWR Aktuell Rheinland-Pfalz SWR Fernsehen RP

Koblenz

Debatte um Rolle von Lewentz Wären Evakuierungen in der Flutnacht möglich und sinnvoll gewesen?

Der Präsident des Landesfeuerwehrverbands geht davon aus, dass eine Evakuierung des Ahrtals in der Flutnacht zu mehr Toten geführt hätte. Er verteidigt damit den in der Kritik stehenden Innenminister Lewentz. Andere Experten sehen das nicht so.

Am Nachmittag SWR4 Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz

Auf Antrag von CDU und Freien Wählern Landtag debattiert am Mittwoch über Rolle von Lewentz in der Flutnacht

Die Oppositionsfraktionen von CDU und Freien Wählern haben eine Sitzung des Landtags zur Rolle und Verantwortung von Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Flutnacht beantragt. Das von der AfD geforderte Misstrauensvotum unterstützen sie zunächst nicht.

Der Tag in RLP SWR1 Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz

Der Hochwasser-Blog für RLP Fledermaus-Nachwuchs - Kirche in Ahrbrück wird später abgerissen

In den von der Flutkatastrophe zerstörten Regionen in Rheinland-Pfalz läuft der Wiederaufbau. Viel ist geschafft, viel ist noch zu tun. Hier die aktuelle Lage.

Rheinland-Pfalz

Bilder von gewaltigen Wassermassen im Ahrtal Diese Fragen werfen die Polizeivideos zur Flutkatastrophe auf

Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung der Flutkatastrophe: Videos, die aus einem Polizeihubschrauber heraus gemacht wurden. Wir erklären, warum sie so wichtig sind:

Flut-Videos aus dem Ahrtal Für einen Innenminister ein Offenbarungseid

Das Ausmaß des Hochwassers im Ahrtal im Juli 2021 ist seit Dienstag für alle in Flut-Videos der Polizei sichtbar. Zur Haltung von Innenminister Lewentz (SPD) ein Kommentar von SWR-Redakteur Dirk Rodenkirch.

Aktuell um 12 SWR1 Rheinland-Pfalz

Stand
Autor/in
SWR