Große Defizite bei Grundschulkindern

Lehrervertreter RLP: "Wir brauchen von außen mehr Unterstützung"

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Interview
Lusia Szabo

Immer mehr Kinder haben Probleme in der Grundschule - aus unterschiedlichen Gründen. Um das zu ändern, müsse die Politik endlich Geld in die Hand nehmen, fordert Lars Lamowski.

Mitte April schlug die Leiterin der Gräfenauschule in Ludwigshafen Alarm: 40 Erstklässler drohen sitzen zu bleiben. Viele Kinder könnten kaum Deutsch, hätten wegen Platzmangels vor der Schule keine Kita besucht. Lehrer und Förderkräfte könnten die Defizite nicht mehr auffangen.

Eine Extremsituation, doch diese Probleme schlummerten in allen Schulen in Rheinland-Pfalz, sagt Lars Lamowski. Er ist Rektor der Michaelschule in Kirchen im Westerwald und Vorsitzender des Landesverbands Bildung und Erziehung (VBE) in Rheinland-Pfalz. Wir haben mit ihm über die Situation an den Schulen gesprochen.

SWR Aktuell: Herr Lamowski, werden die Probleme an den Grundschulen tatsächlich immer größer?

Lars Lamowski: Als ich vor 15 Jahren noch als Klassenlehrer vor der Klasse stand, war es so: Sie hatten zwei, drei Kinder in der Klasse, die einen besonderen Aufmerksamkeitsbedarf hatten, weil sie beeinträchtigt waren, weil zu Hause Probleme waren, weil sie vielleicht nicht so gut lernen konnten. Und das haben sie als Klassenlehrer gut auffangen können. Heutzutage haben sie fast das Gegenteil. Das heißt, sie haben ganz, ganz viele Kinder, die mit Problemen in die Schule kommen. Sie haben eher drei Kinder, die durchschnittlich begabt sind und der Rest hat ein Problem. Das heißt, das schaffen sie alleine als Lehrkraft in der Klasse nicht mehr. Das kriegen sie nicht mehr hin. Und deshalb brauchen wir von außen Unterstützung.

"Wir brauchen ein verpflichtendes Schuleingangsjahr für die Grundschülerinnen und Grundschüler."

SWR Aktuell: Sie sagen, die Kinder sind zum Teil ein halbes Jahr hinterher, wenn sie in die Grundschule kommen - woran liegt das?

Lamowski: Das liegt nicht an den Erzieherinnen und Erziehern. Die sind gut ausgebildet und machen eine sehr, sehr gute Arbeit in den Kitas. Aber das Problem ist die mangelnde Personalisierung in den Kitas. Das heißt, die Kinder, die sozusagen unbeaufsichtigt sind in dem Moment, wenn Personal ausfällt, sind ja nicht die jüngeren Kinder, sondern es sind in der Regel die älteren. Eigentlich war es in den letzten Jahren so, dass die Älteren auf die Grundschule in Mathe und Deutsch vorbereitet wurden. Es wurde geübt und schon mal trainiert, wie Schule so ist.

SWR Aktuell: Und das fehlt jetzt?

Lamowski: Genau, weil das Personal aus den oberen Altersschichten in den Kitas abgezogen wird nach unten. Es kommen aber noch zusätzliche Probleme hinzu: Wir haben immer mehr geflüchtete Kinder bei uns in den Schulen. Das heißt, sie kommen mit erheblichen Sprachproblemen an. Wir haben immer mehr Kinder mit Beeinträchtigungen in den Schulen. Was wir auch wollen. Wir wollen die Inklusion leben. Aber uns fehlt das Personal dafür, diese Kinder entsprechend gut aufnehmen und fördern zu können.

SWR Aktuell: Was wäre also Ihre Forderung an die Politik?

Lamowski: Wir brauchen ein verpflichtendes Schuleingangsjahr für die Grundschülerinnen und Grundschüler - ein Jahr null vor der Klasse eins. Wo die Kinder verpflichtend in die Schule kommen, gemeinsam mit Erzieherinnen und Lehrerinnen und Lehrern. Es geht um etwa drei bis vier Stunden pro Tag, die verbindlich sind, um so eine Art Vorbereitung auf die Schule zu haben.

"Wir müssen sehen, dass Lehrerin und Lehrer sein wieder etwas ist, was man gerne tut."

SWR Aktuell: Wie soll das gehen?

Lamowski: Dafür brauchen wir selbstverständlich zusätzliche Lehrkräfte. Ich kann nicht mit einem höheren Anspruch und einer schwieriger werdenden Klientel mit dem gleichen Personalstamm arbeiten wie damals. Sondern ich muss viel mehr Personal ins System geben, damit es funktioniert. Wo das Personal herkommt? Das müssen wir schauen. Wir müssen Werbung machen. Wir müssen den Beruf attraktiver machen, müssen die Arbeit an den Schulen und in den Kitas attraktiver machen. Dann gelingt das. Da zählt politischer Wille. Und der muss jetzt herbei.

SWR Aktuell: Was meinen Sie genau, wenn Sie von einem höheren Anspruch ans Bildungssystem sprechen?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn die Industrie- und Handelskammer sagt, wir brauchen mehr marktwirtschaftliches Denken schon im Grundschulbereich, dann heißt es, die Schule muss es lösen. Wenn wir ein Ernährungsproblem haben, heißt es aus der Gesellschaft, es muss in der Schule gelöst werden. Wenn wir die Inklusion leben wollen, dann heißt es, das wird in der Schule gemacht. Aber wenn Schule das alles machen soll, zusätzlich zum eigentlichen Lehrplan, dann muss das personalisiert werden und auch von den Stunden her hinterlegt werden.

SWR Aktuell: Inklusion zum Beispiel ist ja ein guter Gedanke, aber können Sie den Kindern so überhaupt gerecht werden?

Lamowski: Nein, wir müssen mehr Personal einstellen. Und wir müssen den Beruf attraktiver machen. Wir müssen sehen, dass Lehrerin und Lehrer sein wieder etwas ist, was man gerne tut. Und was nicht so negativ in der Gesellschaft gesehen wird. Es ist ein sehr schöner Beruf, aber wir müssen ihn anders gestalten. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen in den Schulen unterstützt werden durch multiprofessionelle Teams. Das heißt, Aufgaben, die eigentlich gar nicht in ihr Aufgabenfeld gehören - wie Schulsozialarbeit oder Schulpsychologie - müssen von außen in die Schulen gegeben werden, sodass die Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf wieder leben können. Dann werden wir auch wieder mehr Leute finden, die diesen Beruf machen wollen.

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