Für die SPD Rheinland-Pfalz in der Austritt der Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck ein schwerer Verlust. Für Steinruck könnte sich der Schritt dagegen auszahlen, meint Politikwissenschaftler Uwe Jun im SWR-Interview.
SWR Aktuell: Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck hat nun ihren Austritt aus der SPD begründet. In einer Mail an den SWR rechnet sie ziemlich hart ab mit den Sozialdemokraten. Steinruck spricht von einem Weckruf für die SPD in Bund und Land. In Ludwigshafen gab es aber offenbar auch Kritik an ihrem Handeln. Also ist das der Versuch eines persönlichen Befreiungsschlags, aufgestauter Frust oder berechtigte Kritik an der SPD?
Prof. Uwe Jun: Auf jeden Fall würde ich sagen, die Aspekte eins und zwei kommen zusammen. Man bemerkt die Frustration einer Kommunalpolitikerin, die offenkundig sieht, dass die Kommunen mit den verschiedenen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, überfordert sind, was die finanzielle Ausstattung dieser Kommunen betrifft. Man hört die Klage ja von vielen Kommunen schon seit längerer Zeit, dass die finanzielle Ausstattung zu gering ist. Und das hat nun mal Frau Steinruck auch zum Ausdruck gebracht.
Möglicherweise aber hat sie damit auch einen Befreiungsschlag landen wollen, weil es möglicherweise auch in der Ludwigshafener SPD oder überhaupt in Ludwigshafen Kritik an ihrer Amtsführung gab. Auf jeden Fall scheint mir die entscheidende Thematik darin zu liegen, dass Frustration über das Handeln der Bundespolitik und der Landespolitik eine wichtige Rolle gespielt haben.
SWR Aktuell: Als Hauptgründe für ihren Austritt aus der SPD nennt Steinruck die Bildungspolitik und den Finanzstreit mit der Landesregierung. Sie spricht etwa von finanziellen Daumenschrauben. Laut rheinland-pfälzischem Innenministerium ist es aber so, dass Ludwigshafen dieses Jahr allein 41 Millionen Euro mehr aus dem kommunalen Finanzausgleich bekommt und um rund eine halbe Milliarde Euro an Schulden entlastet wird. Wie passen diese Zahlen und die Aussagen von Steinruck zusammen?
Jun: Man kann sagen, dass Ludwigshafen keine einfache Stadt ist - mit Blick auf soziale Diversität und auch mit all ihren Folgeproblemen, die sich daraus ergeben für die Politik. Und der Vorwurf der falschen oder verfehlten Bildungspolitik an die Landesregierung ist ja in Wahrheit auch ein finanzieller. Denn sie will damit ja sagen, dass die Schulen zu wenig ausgestattet sind, dass eben die größere Diversität in den Schulen es erforderlich macht, dass man mehr Lehrkräfte einstellt, dass man die Schulen auch entsprechend ausstattet auch mit Sachmitteln, und das fehle eben halt.
Und deswegen wollte sie ja auch eine besondere Situation für Ludwigshafen erkannt haben. Nur muss man auf der anderen Seite sagen, dass eben das Land ja nicht einfach eine Stadt herausnehmen kann. Denn das würde sofort Forderungen anderer Kommunen und Städte nach sich ziehen, die ebenfalls darauf pochen würden, dass sie in einer schwierigen Situation sind, was die Ausstattung ihrer Schulen betrifft. Außerdem ist es für das Land im Moment gar nicht so einfach, beispielsweise Lehrkräfte zu gewinnen, da auch das Land Rheinland-Pfalz von einem Lehrkräftemangel betroffen ist.
Man kann insgesamt sehen, dass hier die Positionen auseinander gehen. Die Landesregierung verweist darauf, dass sie eben viel für die Stadt tut. Aber die Kommunen, da ist ja Ludwigshafen keine Ausnahme, sagen immer wieder, das reiche nicht aus angesichts der Herausforderung auch durch die Aufnahme von vielen Migrantinnen und Migranten, die weiterhin zusätzliche Kosten verursachen. Und verweisen darauf, dass hier eben das Land und auch der Bund mehr tun sollten und müssten. Und diese beiden Aussagen stehen jetzt erstmal nebeneinander.
SWR Aktuell: Glauben Sie, dass Frau Steinruck mit ihren Aussagen vielen anderen Kommunalvertretern in Rheinland-Pfalz aus dem Herzen spricht, die auch denken, dass sie finanziell zu kurz gehalten werden bei all den Aufgaben, die zu bewältigen sind?
Jun: Ich denke, dass es vielen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern in ganz Deutschland so geht - da ist also auch Rheinland-Pfalz keine große Ausnahme - die darüber klagen, dass die Kommunen zu schlecht finanziell ausgestattet sind. Das liegt auch einfach an dieser Kette, dass die Kommunen immer ganz am Ende unten stehen. Und das liegt auch daran, dass wir eben so genannte Sparhaushalte haben, dass wir eine Ausgabenbremse haben. Das heißt also, die Verschuldungen von Bund und Ländern werden begrenzt. Das führt dazu, dass die Gelder nicht nach unten weitergegeben werden können. Da sind dann Kommunen häufig die am meisten Leidtragenden.
SWR Aktuell: In der Gemeinde Freisbach in der Südpfalz wollen der parteilose Bürgermeister und der Gemeinderat aus Protest zurücktreten. Auch hier geht's um Finanzen. Freisbach soll die Steuern anheben, sagt die Kommunalaufsicht. Doch das will man dort eben nicht. Ist das auch nur ein Einzelfall? Oder gibt das die Gesamtstimmungslage wieder, weil die Kommunen zum Teil die Steuern anheben sollen, bevor sie mehr Geld aus dem Finanzausgleich bekommen?
Jun: Ja, da sehen wir eine besondere Situation in Rheinland-Pfalz, wo die Kommunen häufig noch stärker verschuldet sind als in vielen anderen Bundesländern. Das Land versucht zwar hier mit einem Entschuldungsprogramm den Kommunen zu helfen, aber die Schuldenberge sind so hoch, dass das eben aus Sicht der Kommunen immer noch nicht ausreichend ist an vielen Stellen. Und das ist eben die Besonderheit in Rheinland-Pfalz.
SWR Aktuell: Mit ihrem Austritt aus der Partei sendet Jutta Steinruck ja das Signal, dass die SPD im Land vieles falsch macht. Aber die regiert ja in Rheinland-Pfalz nicht allein. Heißt das, die SPD muss jetzt allein ausbaden, was in der Ampelregierung entschieden wird?
Jun: Erst mal muss man sagen in beiden Ampeln. Sie verweist auch auf die Bundespolitik, also sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene. Und in der Tat kann man sagen, Sie gehörte der SPD an und die SPD ist nun mal die führende Regierungspartei. Von daher ist es nachvollziehbar, dass sie jetzt die SPD diesbezüglich dafür verantwortlich macht, wenn auch in wenig galanter Weise. Und die SPD ist in den Ministerien die verantwortliche Partei: Eben im Innenministerium, das für die Kommunen die Zuständigkeit hat, das Finanzministerium, was die Gelder bereitzustellen hat. Und das von ihr kritisierte Bildungsministerium.
Nach Austritt von Ludwigshafener OB SPD weist alle Vorwürfe von Steinruck zurück
Ihren Austritt aus der SPD hatte die Ludwigshafener OB Jutta Steinruck mit scharfer Kritik an der Partei verknüpft. Die rheinland-pfälzische SPD hat die Vorwürfe zurückgewiesen.
SWR Aktuell: Von Unzufriedenheit auf politischer Ebene profitiert immer wieder die AfD - das war auch zuletzt in Umfragen wieder zu beobachten. Denken Sie, dort reibt man sich gerade die Hände wegen dieser Entwicklungen in Ludwigshafen und Freisbach?
Jun: Wenn Politik nicht gut läuft, wenn die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, dass mit der Politik im Moment einiges im Argen liegt, dann neigen einige dazu, die AfD zu nutzen, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Und das kann in diesem Fall genauso der Fall sein, weil ja die kommunalpolitische Ebene eine Ebene ist, die die Bürger unmittelbar betrifft, deren Folgen sie unmittelbar spüren. Und dann könnten sie möglicherweise ihre Unzufriedenheit damit zum Ausdruck bringen wollen. Einige jedenfalls, indem sie dann sagen bei Umfragen, dass sie die AfD bevorzugen.
SWR Aktuell: Nach der Landeshauptstadt Mainz hat die rheinland-pfälzische SPD nun auch den Oberbürgermeisterposten in Ludwigshafen, der zweitgrößten Stadt des Landes, verloren. Wie schwerwiegend ist das für die Sozialdemokraten im Land?
Jun: Das ist nicht einfach - übrigens für die CDU auch nicht - die kommunalpolitische Verankerung zu halten. Die CDU musste ja beispielsweise auch vor wenigen Wochen in Frankenthal erleben, dass sie dort von einem unabhängigen Kandidaten abgelöst wurde in der Position des Bürgermeisters. Ich will damit nicht bestreiten, dass es für die SPD in Rheinland-Pfalz kein gutes Jahr war bislang.
Aber ich will damit sagen, dass insgesamt die kommunalpolitische Entwicklung darauf hindeutet, dass Personen eine wichtige Rolle spielen, dass die Parteizugehörigkeit eine weniger wichtige Rolle spielt. Und, dass es für beide großen Parteien, für die SPD und für die CDU, nicht leichter geworden ist, sondern im Gegenteil schwerer geworden ist, hier ihre kommunalpolitische Verankerung zu halten und entsprechende Positionen zu besetzen.
SWR Aktuell: Also die so genannten Volksparteien müssen befürchten, dass zunehmend parteilose Kandidaten in so wichtige Ämter wie die eines Oberbürgermeisters oder einer Oberbürgermeisterin hineingewählt werden?
Jun: Wir beobachten seit längerer Zeit, nicht nur in Rheinland-Pfalz, auch in anderen Bundesländern, dass die Entwicklung genau dahin geht, dass unabhängige Kandidaten, parteilose Kandidaten größere Chancen haben als in der Vergangenheit. Und, dass es für die größeren Parteien immer schwerer wird, sich noch durchzusetzen auf der kommunalpolitischen Ebene, weil da tatsächlich - das ist ja auch eine Personenwahl - die Person dann in den Vordergrund gerückt wird, die Person im Vordergrund steht und dann auch die Wahlentscheidung stark beeinflusst. Wir sehen ja ohnehin, dass die Parteiloyalitäten insgesamt abgenommen haben. Bei Kommunalwahlen drückt sich das dann noch stärker aus.
SWR Aktuell: Gehen Sie in dieser Hinsicht davon aus, dass sich die Chancen der jetzt parteilosen Jutta Steinruck - mit ihrem Austritt aus SPD - verbessert haben, falls sie bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen noch einmal antreten würde?
Jun: Sie hat, wenn sie denn tatsächlich antreten will, bei den Kommunalwahlen ihre Chancen in der Tat eher verbessert, weil sie eben die Probleme Ludwigshafens benannt und versucht hat, die Probleme der Stadt auf die nächsthöheren Ebenen, also die Bundes und Landespolitik, zu schieben. Und damit eben deutlich gemacht hat, dass nicht sie die Hauptverantwortung für diese Probleme trägt. Das ist durchaus etwas, was dann im Wahlkampf möglicherweise für sie sprechen könnte, jedenfalls was sie für sich nutzbar machen könnte, wenn sie die Entscheidung träfe, nochmal anzutreten.