Bundesligist Mainz 05 hat seinen Spieler El Ghazi wegen eines Instagram-Posts zur Lage in Gaza freigestellt. Geht Arbeitsrecht vor Meinungsfreiheit? Fragen an SWR-Rechtsredakteur Christoph Kehlbach.
SWR Aktuell: Der Fußballverein Mainz 05 hat den muslimischen Spieler El Ghazi suspendiert, weil der in Social Media einen Beitrag mit dem Slogan: "Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein." geteilt hat. Ist eine solche Äußerung noch von der Meinungsfreiheit gedeckt?
Christoph Kehlbach: Die Meinungsfreiheit ist in Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt. Im zweiten Absatz dieses Artikels heißt es ausdrücklich, dass es Grenzen für die Meinungsfreiheit gibt: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Die Aussage ist also von der Meinungsfreiheit gedeckt, sofern sie nicht gegen gesetzliche Vorschriften, etwa aus dem Strafrecht, verstößt.
Genau das könnte nach Meinung einiger Juristen bei diesem Satz aber der Fall sein. In Frage käme eine verbotene "Billigung von Straftaten" (§ 140 StGB). Die sei vor allem denkbar, wenn die Aussage in unmittelbarem Zusammenhang zu den jüngsten Terrorattacken der Hamas getätigt werde. Weil dann klar der Eindruck vermittelt werde, dass das Gebiet "vom Fluss" Jordan "bis zum (Mittel-) Meer" frei von Juden und vom Staat Israel sein soll. Und damit würde dann eben auch der Massenmord der Hamas an Juden legitimiert.
Sollten die Strafgerichte das auch so sehen, wäre ein Strafgesetz verletzt und die Aussage nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Da die aktuellen Ereignisse aber gerade erst geschehen sind, gibt es natürlich noch keine Urteile zu dieser Frage.
SWR Aktuell: Der pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger fordert den Rauswurf des Bayern-Profis Noussair Mazraoui, weil er den "palästinensischen Brüdern" den Sieg über Israel wünscht. Dürfen Arbeitgeber solche Aussagen oder auch die des Mainzer Spielers El Ghazi arbeitsrechtlich sanktionieren? Ist also die Freistellung in Ordnung?
Kehlbach: "Arbeitnehmer geben ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nicht ab, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben", sagt der Mannheimer Jura-Professor Philipp Fischinger. Auch Arbeitnehmer können sich also prinzipiell auf die Meinungsfreiheit berufen. Das gilt umso mehr, wenn Äußerungen im privaten Umfeld getätigt werden und keinen direkten Bezug zur Arbeit haben. Wenn öffentliche Aussagen aber dem Arbeitgeber schaden, weil sie zum Beispiel den Betriebsfrieden stören, dann können sie arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.
Das kann im Einzelfall so sein, wenn Arbeitnehmer mit ihren Aussagen Straftaten begehen. Dabei spielt es laut Arbeitsrechtsexperte Fischinger eine entscheidende Rolle, ob die Äußerungen auf den Arbeitgeber "rückstrahlen" – etwa indem sie ihn in ein schlechtes Licht setzen oder anderweitig das Arbeitsverhältnis oder den gesamten Betriebsfrieden belasten.
Und: Selbst Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt und nicht strafbar sind, können laut Fischinger zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Man stelle sich etwa vor, ein Arbeitnehmer macht ständig öffentlich die Produkte, die der eigene Arbeitgeber herstellt, schlecht. Das ist eine zulässige Meinungsäußerung, kann aber arbeitsrechtlich durchaus problematisch werden.
Ob eine Sanktion eines Arbeitgebers, wie eine Freistellung, Abmahnung oder gar eine Kündigung, rechtmäßig ist, müssen im Zweifel die Gerichte entscheiden. Gerade im Arbeitsrecht kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an.
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SWR Aktuell: Gelten für Prominente - zum Beispiel Sportler, die auf Social Media große Reichweiten haben - andere Regeln als für den "einfachen Bürger"?
Kehlbach: Arbeitsrechtlich könnte die Öffentlichkeitswirksamkeit tatsächlich einen Unterschied machen: Es gibt zwar keine feste Anzahl von Followern, bei denen plötzlich andere Regeln gelten würden, aber: Bei den meisten "normalen" Arbeitnehmern wissen Fremde halt einfach nicht, für wen sie arbeiten. Äußerungen im Privatleben – etwa online oder auf Demos - werden da nicht so schnell mit dem jeweiligen Arbeitgeber in Verbindung gebracht. Und damit auch nicht so schnell arbeitsrechtlich relevant.
Bei bekannten Fußballprofis ist das anders: Sie stehen in der Öffentlichkeit. Und wenn sie sich äußern, wissen viele gleich: "Der spielt doch bei Mainz 05, der andere bei Darmstadt 98 und dieser beim FC Bayern." Man hat in diesen Fällen also viel eher eine Rückwirkung auf den Arbeitgeber und dessen Belange.
SWR Aktuell: Besteht in der aktuellen Situation nicht die Gefahr, dass Kritik an Israel grundsätzlich unterdrückt wird?
Kehlbach: Grundsätzlich ist Kritik an der Politik des Staates Israel möglich, ohne dass dadurch gleich arbeitsrechtliche oder gar strafrechtliche Konsequenzen drohen würden. Das gleiche gilt für Sympathie- oder Mitleidsbekundungen für die Zivilbevölkerung, die unter den momentanen militärischen Aktionen Israels leidet. Auch darüber, ob diese völkerrechtlich zulässig sind, darf man öffentlich diskutieren. Die Meinungsfreiheit schützt übrigens auch abseitige Meinungen, die von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt werden.
Grundrechte sind immer auch die Rechte von Minderheiten. Und die Gesellschaft muss nach der Auffassung des Grundgesetzes eben auch Meinungen von Minderheiten aushalten, solange sie eben nicht gegen Gesetze verstoßen. Rechtlich relevant werden öffentliche Äußerungen jedenfalls dann, wenn sie schwere Straftaten gutheißen - oder zu Hass oder Gewalt aufstacheln.
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