Kommunen sollen umdenken

Flächenverbrauch: Umweltschützer und Stadtplaner schlagen Alarm

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Jedes Jahr wird in Rheinland-Pfalz Fläche versiegelt, also zugebaut. Das kritisieren Umweltschützer und Stadtplaner. Wohnraum und Gewerbefläche lasse sich anders schaffen.

Bepflanzte Fassaden oder Dächer, Nachverdichtung - viel wird darüber diskutiert, wie Städte wieder grüner werden können. Dass in Rheinland-Pfalz immer neue Flächen bebaut werden, liegt aber weniger an der Entwicklung in Ballungszentren, als vielmehr an der in kleineren Orten. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge wuchs die Siedlungs- und Verkehrsfläche in ganz Deutschland in den Jahren 2018 bis 2021 im Schnitt um 55 Hektar pro Tag - etwa der Größe von 77 Fußballfeldern. Das war etwas mehr als der Vergleichswert von 54 Hektar pro Tag in den Jahren 2017 bis 2020.

Versiegelung erfolgt vor allem in kleineren Kommunen

"Boden ist wertvolles Gut", betont die Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Sabine Yacoub. Er werde zur Trinkwassergewinnung, als CO2-Speicher, für den Schutz vor Hochwasser und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen gebraucht. Bebaute Fläche könne kein Wasser aufnehmen, sorge in Sommern nicht für Abkühlung, sagt Stellvertreterin Jenni Follmann. Der Schwund an unversiegelten Flächen geschieht ihr zufolge vor allem in kleineren Kommunen, dort werde viel Fläche für Bebauung ausgewiesen. Dort ist Fläche auch deutlich günstiger als in Ballungszentren.

Kommunen wiesen in Rheinland-Pfalz immer noch verstärkt Gebiete für Einfamilienhaus-Siedlungen aus, sagt Follmann. Gebiete also, in denen vergleichsweise wenige Menschen auf viel Raum leben. Das bestätigt der freiberufliche Stadtplaner Frank Böhme. Ein freistehendes Einfamilienhaus sei das "unökologischste Wohnraumprojekt". Und im schlimmsten Fall werde vor dem Haus noch ein Steingarten angelegt.

Bauboom mitverantwortlich?

Das für Landesplanung zuständige Innenministerium führt die Tatsache des zuletzt wieder gestiegenen Flächenverbrauchs ebenfalls zu einem großen Teil auf Neubaugebiete in Dörfern zurück. "Diese Entwicklung hängt offensichtlich sehr stark mit dem Bauboom der vergangenen Jahre zusammen." Da inzwischen eine Abschwächung des Baubooms zu erkennen sei, sei künftig auch ein Rückgang des Verbrauchs zu erwarten.

Bund und Rheinland-Pfalz: Flächenverbrauch muss gesenkt werden

Die Bundesregierung hat sich als Ziel gegeben, den Flächenverbrauch bis 2030 auf weniger als 30 Hektar pro Tag zu senken und bis 2050 die EU-Vorgabe einer Netto-Null beim Flächenverbrauch zu erfüllen - ein ambitioniertes Ziel.

Ambitioniert gibt sich auch die rheinland-pfälzische Ampel-Koalition. In ihrem Koalitionsvertrag heißt es: "Um das Ziel Netto-Null Flächenverbrauch bis 2050 zu erreichen, muss der tägliche 'Verbrauch' (Neuinanspruchnahme) dauerhaft unter 1 Hektar liegen." Davon war der Verbrauch 2021 nach Zahlen des Statistischen Landesamtes noch weit entfernt, es wurden pro Tag 8,9 Hektar neu in Anspruch genommen.

Problem: Flächenangaben schwanken

Das Landesamt erklärt, diese Werte schwankten stark - zum Teil ohne, dass sich die Flächennutzung tatsächlich geändert habe. Das hänge auch damit zusammen, dass Landesvermessungs- und Katasterämter regelmäßig die Nutzungsart von Flächen überprüften, Klassifizierungen änderten. 2021 seien beispielsweise Waldwege nicht mehr der Waldfläche, sondern der Verkehrsfläche zugeordnet worden.

Um solche Effekte zu glätten, werde ein Durchschnittswert aus mehreren Jahren herangezogen. Doch der Trend zeigt sich auch hier: Lag die durchschnittliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 2014 bis 2017 bei 0,4 Hektar pro Tag, waren es 2017 bis 2020 dann 2,0 und 2018 bis 2021 (aktuelle Wert) 4,3 Hektar.

Kritiker sehen Land und Kommunen in der Verantwortung

Das Ministerium betont, die Landesplanung trage zur Einhaltung der Klimaziele und zur angestrebten Reduzierung der Inanspruchnahme neuer Flächen bei. Mit dem vierten Landesentwicklungsplan (LEP IV) 2008 sei der Nachhaltigkeitsgedanke verankert worden. Zudem seien Vorgaben für die Dichte von Wohnbebauung eingeführt worden. Die gehen Kritikern aber nicht weit genug.

Stadtplaner Böhme sieht in Orten auf dem Land einen "Donut-Effekt". Im Inneren entleerten sich Dörfer, am Rand werde weiter neu gebaut. "Innenentwicklung wird nicht so hoch gehängt, Außenentwicklung wird zu leicht gemacht", sagt er.

Mehrere Stockwerke bei Wohngebäuden ideal

Follmann vom BUND moniert, dass es keine Obergrenze bei der Vorgabe für Gewerbeflächen gibt. Dadurch gebe es bei der Planung keine Bestrebungen, zwei- oder dreigeschossig zu bauen, oft bleibe es bei eingeschossigen, flächenraubenden Komplexen.

"Es wird sich zu wenig um den Bestand kümmert", findet Böhme, der Vorstandsmitglied der Architektenkammer Rheinland-Pfalz ist. Mit der Aufstockung von Wohngebäuden könne viel gemacht werden, Holz als leichter Baustoff mache viel möglich. In vielen Wohngebieten aus den 1950er und 60er Jahren sei außerdem reichlich Freiraum zwischen Gebäuden. Hier lasse sich nachverdichten, und es gebe dort schon Infrastruktur wie Läden, Kitas, Schulen oder einen ÖPNV-Anschluss.

Kommunen müssten Flächen aktiv steuern

Böhme würde sich eine übergreifendere Planung für einzelne Regionen oder Kreise wünschen, mehr Planungskooperation und weniger "Kirchturmpolitik". Kommunen müssten aktiver werden, "nicht als Unternehmer, sondern als Steuerer". Wenn etwa ein Kaufhaus in der Innenstadt leer stehe, müsse es die Kommune erwerben und entwickeln. Kaufhäuser seien häufig Gebäuden, die sich wegen großer Spannweiten flexibel umgestalten ließen, wo etwa Lichthöfe integriert werden könnten, um das Haus für Wohnraum zu nutzen. "Bauen im Bestand bietet eine Chance für günstigen Wohnraum", sagt der Stadtplaner.

Doch zahlreiche Kommunen hätten in den vergangenen Jahren "Tafelsilber" verkauft und nun bei manchem Areal keinen Einfluss mehr. Investoren täten indes das, was die meiste Rendite bringe. Damit Städte und Gemeinden wieder mehr steuern könnten, brauche es größere Einheiten, die Kommunalstruktur in Rheinland-Pfalz sei zu kleinteilig. Das erschwere den Zugriff auf Fördergelder oder die Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung.

Weitere Faktoren spielen eine Rolle

Für Follmann ist ein weiteres Problem, dass der Leerstand hierzulande über das Einwohnermelderegister erfasst werde. Doch das bilde nicht die ganze Wahrheit ab. Wenn an einer Adresse eine Person gemeldet sei, gelte diese als bewohnt, auch wenn das nur auf eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus zutreffe. In anderen europäischen Ländern werde auf den Energieverbrauch geschaut, was ein umfassenderes Bild gebe.

Der BUND fordert neben einer Obergrenze für Flächen für Industrie- und Gewerbeflächen auch neue Dichtevorgaben für Wohnbebauung. Die derzeitigen 20 Wohneinheiten pro Hektar entsprachen einer sehr lockeren Bebauung mit Einfamilienhäusern. Das widerspreche dem Bedarf an günstigem Wohnraum und sorge für großen Flächenbedarf. Eine Erhöhung auf 40 klinge viel, würde aber lediglich bedeuten, dass mal eine Doppelhaushälfte zwischendrin stehe, und eben nicht, dass damit Hochhäuser in kleinen Orten entstünden, sagt Follmann.

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