In Rheinland-Pfalz stehen viele Geldautomaten, regelmäßig fliegt einer in die Luft. Was die Liebe der Deutschen zum Bargeld damit zu tun haben könnte.
Die Zahl der Sprengungen von Geldautomaten ist im vergangenen Jahr explodiert. So viel scheint bereits festzustehen, obwohl die genaue Statistik für 2022 noch nicht vorliegt. In Rheinland-Pfalz stieg die Anzahl von 23 im Jahr 2021 auf mehr als das Doppelte 2022: 56 Sprengungen wurden gemeldet, der Schaden geht in die Millionen. Und seit Jahresbeginn häufen sich die Vorfälle in Rheinland-Pfalz erneut: Die Kriminellen schlugen zum Beispiel in Neustadt/Wied, in Schönenberg-Kübelberg (Landreis Kusel) und in Gensingen (Landkreis Mainz-Bingen) zu.
Gelegenheit macht Diebe
Gelegenheit macht Diebe - dieser alte Spruch bringt es offenbar auf den Punkt: Die Kriminellen schlagen dort zu, wo es etwas zu holen gibt. Etwa 55.000 Geldautomaten gibt es nach Angaben der Deutschen Bundesbank insgesamt im Bundesgebiet. Die gäbe es vermutlich nicht in so großer Anzahl, wenn die Konsumenten ihre Einkäufe bevorzugt mit Karte oder Handy bezahlen würden. 58 Prozent aller Transaktionen in Deutschland werden laut Bundesbank aber bar abgewickelt, vom Volumen her seien es 30 Prozent. "Das ist ein relativ hoher Prozentsatz im Vergleich zu vielen anderen Ländern, aber eigentlich liegen wir im Schnitt des Eurosystems", sagt Stefan Hardt, Leiter des Zentralbereichs Bargeld der Bundesbank.
Erst 2022 hat die Unternehmensberatung Strategy& in einer Studie allerdings auch gezeigt: Die deutsche Liebe zum Bargeld ist im Ländervergleich noch immer am größten. Der 15-Länder-Vergleich zeigte, dass Bargeld für 54 Prozent der Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland nach wie vor das beliebteste Zahlungsmittel ist. Ganz anders ticken zum Beispiel die Dänen: Dort zahlen nur noch 17 Prozent am liebsten in bar.
Warum die Deutschen so am Bargeld hängen
Fragt man bei der Bundesbank nach, nennen die Experten zunächst sehr nüchterne Gründe für die Bargeldliebe: Viele Deutsche verbinden nach Aussage von Hardt mit dem physischen Geld Eigenschaften wie zum Beispiel gute Verfügbarkeit oder den sehr guten Ausgabenüberblick. Diese Aspekte würden die Deutschen als wichtig empfinden.
Krise und Bargeld
Doch abgesehen von diesen faktenbasierten Eigenschaften von Scheinen und Münzen spielt laut Hardt auch die psychologische Komponente eine Rolle. Und da gehe es nicht so sehr um die 100 Euro, die die Deutschen im Schnitt im Portemonnaie haben, sondern auch um das Sammeln von Bargeld. "Das Motiv für die Hortung ist natürlich die Vorsorge für die Eventualität, unter anderem die Vorsorge für den Krisenfall. Und das zeigt sich überall, dass wenn irgendwo eine Krise auftaucht, sofort die Bargeldnachfrage drastisch ansteigt. Übrigens in allen Ländern", sagt Bargeld-Experte Hardt.
Auch nach Meinung von Wirtschaftspsychologin Julia Pitters, Professorin an der Internationalen Hochschule IU, hat Bargeld sehr viele Aspekte, die über die reine Zahlfunktion hinausgehen. Da gehe es um Werte wie Tradition, aber auch um das Haptische des Bargelds und das Gefühl des "sicheren Hafens". Beim Bargeld "geben wir keine Daten preis, bei anderen Zahlungsmitteln ist das der Fall", so Pitters.
Bargeld bedeutet Inklusion
Die Wirtschaftspsychologin hebt aber auch soziale Funktionen des Geldes hervor. "Bargeld bietet eigentlich jedem die Möglichkeit, Zugriff zu ermöglichen. Es steht für Inklusion, es steht auch für Identifikation." Ein weiterer Aspekt, den sicher viele Eltern unterschreiben: Kindern den Umgang mit Geld beizubringen, sei mit Geld sehr viel einfacher als mit abstrakten Zahlungsmitteln.
Die Psychologie des Bargelds
Wie sich letztlich eine Krise wie die Corona-Pandemie auf die Bargeld-Nutzung auswirkt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Aus der Wirtschaftspsychologie wisse man, dass Menschen in Krisenzeiten in ihren Gewohnheiten extremer werden und das könne zwei verschiedene Reaktionen auslösen, erklärt Pitters: Es könne nach dem Prinzip "The more you see it, the more you like it" ein Gewöhnungseffekt durch die Pandemie einsetzen - schließlich wurden die Menschen permanent dazu aufgefordert, kontaktlos zu zahlen.
Aber auch ein so genannter Reaktanzeffekt sei zu beobachten und der habe etwas mit Trotz zu tun: Nach den enormen Freiheitseinschränkungen durch Corona sagen manche Menschen auch: Mein Bargeld lasse ich mir jetzt nicht auch noch wegnehmen, ich werde nach der Krise erst recht wieder viel mit Bargeld zahlen.
Hat die Bargeld-Liebe noch Zukunft?
Die Liebe der Deutschen ist eine sehr alte, zumindest gab es sie schon sehr intensiv zu D-Mark-Zeiten. Aber diese alte Liebe zum Bargeld bekommt offenbar erste, feine Rostflecken: 2018 hatte Strategy& in einer Studie noch herausgefunden, dass Scheine und Münzen für 61 Prozent der Befragten das beliebteste Zahlungsmittel sind. Insofern ist die Liebe um immerhin sieben Prozentpunkte auf jetzt 54 Prozent abgekühlt, und das in überschaubaren vier Jahren.
Wirtschaftspsychologin Pitters hält den Erhalt des Bargelds auch nicht für selbstverständlich. Dabei werde es vor allem darauf ankommen, wie die nächsten Generationen sozialisiert würden. "Wenn sie Bargeld gar nicht mehr kennen, weil sie es nicht mehr beobachten, dann werden sie auch nichts vermissen. Und dann ist sozusagen Tür und Tor geöffnet für alle alternativen Zahlungsmittel oder auch für eine Abschaffung des Bargelds."