Der familiäre Hintergrund entscheidet noch immer maßgeblich über die Bildungschancen von Kindern. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind jedoch groß.
Bildung ist die Grundlage für ein erfolgreiches und zufriedenes Leben. Sogar darauf, wie gesund und lang jemand lebt, hat sie Einfluss. Das haben Studien wiederholt gezeigt. Der Zugang zu Bildung soll laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte frei und die Chance auf einen Bildungsaufstieg für alle gleich sein. Trotzdem stehen auch in Deutschland nicht allen Kindern die gleichen Chancen offen. Das hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, kurz ifo Institut, in seiner Studie "Ungleiche Bildungschancen: Ein Blick in die Bundesländer" festgestellt.
Ungleich sind die Bildungschancen ausnahmslos in allen 16 Bundesländern, stellen die Forschenden fest. Aber die Unterschiede zwischen den Ländern sind groß. Die besten Chancen haben Kinder demnach in Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz - diese Länder besetzen die Rängen eins bis drei im Vergleich. Baden-Württemberg liegt in diesem Vergleich auf Rang sieben, das Schlusslicht bildet Bayern.
BW-Kultusministerin will mehr Sprachförderung
Mit Blick auf andere Bundesländer weist Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) darauf hin, dass der Anteil an Migrationskinder in Baden-Württemberg wesentlich höher sei als beispielsweise in Bundesländern, etwa Mecklenburg-Vorpommern. Und deswegen müsse das Land noch mehr in die Sprachförderung gehen.
Wenn die Kinder da noch nicht so weit sein sollten, müsse man nochmal ein Jahr vorschalten, um die Vorläufer-Qualifikationen auf den Weg zu bringen. Erstklässlerinnen und Erstklässler sollten schon im Zug sitzen und nicht nur die Rücklichter sehen, so Kultusministerin Schopper. Die Autorinnen und Autoren der Studie widersprechen dem hingegen: Sie sehen aufgrund ihrer Datenlage keinen systematischen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Chancenverhältnis: "Die Chancengerechtigkeit hängt nicht davon ab, wie hoch der Migrationsanteil in einem Bundesland ist", schreiben sie in ihrer Veröffentlichung.
Abitur führt statistisch zu 42 Prozent mehr Netto-Einkommen
Für die Studie haben die Fachleute verglichen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Kind das Gymnasium besucht. Den Gymnasialbesuch haben die Forschenden als Kennwert gewählt, um die Chancengleichheit auf ein zufriedenes Leben zu messen. Denn "Menschen mit Abitur verdienen im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur", teilt das ifo Institut mit. "Selbstverständlich ist es nicht für jedes Kind die beste Bildungsentscheidung, auf ein Gymnasium zu gehen", heißt es in der Studie. "Aber die Chance darauf sollte nicht von der Herkunft des Kindes abhängen."
Pluspunkt für Baden-Württemberg
Für Schopper liege der entscheidende Punkt, dass Baden Württemberg auf dem siebten Platz gelandet ist, darin, dass es nicht nur den klassischen Weg gebe, um das Abitur zu schaffen. Denn jedes dritte Abitur in Baden-Württemberg werde über das berufliche Gymnasium absolviert. Und das seien Gymnasien, die auch Migrationskindern die Chance geben.
Traumberuf Arzt Steve Hardt studiert ohne Abitur Medizin in Mainz
Ohne Abitur auf die Uni: Steve Hardt hat zwar nur einen Hauptschulabschluss, trotzdem studiert er in Mainz Medizin. Einst von Lehrern ausgelacht, geht er heute seinen Weg.
Verglichen wurden zwei Gruppen, Kinder aus sogenannten benachteiligten Verhältnissen und Kinder aus günstigen Verhältnissen. Bei benachteiligten Verhältnissen hat kein Elternteil Abitur und gehört nicht zum obersten Viertel der Haushaltseinkommen bundesweit. Bei günstigen Verhältnissen hat mindestens ein Elternteil Abitur und/oder gehört in Sachen Haushaltseinkommen zum obersten Viertel.
"Das große Ausmaß der Ungleichheit der Bildungschancen ist zum Glück nicht unumstößlich", sagt Florian Schoner, Mitautor der Studie. Politische Maßnahmen, die bestenfalls schon im frühkindlichen Alter ansetzen, könnten gezielt fördern, so Schoner. Ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz: 2018 und 2019 haben Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss in zwei Großstädten im Land Unterstützung beim Bewerben für Kita-Plätze erhalten.
Positivbeispiel: Das Projekt "ELFE" hilft bei Kita-Bewerbung
Im Projekt "ELFE" (Eltern, Leben, Familie, Erziehung) wurden den Eltern Informationsvideos gezeigt, sie haben Tipps erhalten, etwa, dass die frühzeitige Bewerbung bei mehreren Kitas sinnvoll ist, und auf Wunsch haben sie auch individuelle Unterstützung durch eigens geschulte Hilfskräfte erhalten, etwa beim Ausfüllen von Formularen.
Das Ergebnis: Vor allem bildungsferne Eltern profitierten und die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder in eine Kita gehen, stieg um 16 Prozentpunkte. Mütter konnten häufiger in Vollzeit arbeiten und erreichten höhere Haushaltseinkommen. Aktuell ist das Projekt laut den Studienautoren jedoch in keiner Stadt etabliert. Es zeige aber, dass vergleichsweise geringer Aufwand die Chancengleichheit für Kinder und ihre Familien deutlich erhöhen könne.
Auch hilfreich für mehr Chancengleichheit für Kinder könne es sein, erst später in ihrer schulischen Laufbahnen auf andere Schulformen aufgeteilt zu werden. "Interessanterweise sind Berlin und Brandenburg die einzigen Länder, in denen die Kinder erst ab der 7. Klasse auf das Gymnasium wechseln", sagt Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik.
BW-Kultusministerin sieht spätere Aufteilung für nicht umsetzbar
Das liege unter anderem an den Strukturen im Land, so Schopper: "Wir haben in Baden-Württemberg keine Kultur, länger miteinander zu lernen. Und die Kultur kann man nicht einfach von oben verordnen."
Dabei kann Schopper dem Modell "des länger zusammen Lernens" viel abgewinnen. Denn die Gewinner der Pisa-Studie und die Länder, die gute integrative Erfolge vorweisen können, hätten alle eins gemeinsam: Die Kinder würden alle gemeinsam länger in die Schule gehen. Einige Schulhäuser in Baden-Württemberg seien allerdings auf die erste bis vierte Klasse ausgelegt. Das zu ändern, sei praktisch nicht leicht umzusetzen.