Der neue Streik der Lokführergewerkschaft GDL stößt auf Kritik. Einige fordern ein Einschreiten der Politik. Zwei Streikforscher erklären, wo Grenzen sind und was denkbar wäre.
Das Vorgehen der Lokführergewerkschaft GDL im Tarifkonflikt mit der Bahn stößt auf zunehmend weniger Verständnis. Politikerinnen und Politiker stellen die Frage, ob und wie verhindert werden könnte, dass der Bahnverkehr so lange lahm gelegt wird. Gefordert werden gesetzliche Regelungen, um Streiks einzuschränken. Beispielsweise bei kritischer Infrastruktur eine vorherige Schlichtung vorzuschreiben. Wie ist das einzuordnen? Wo sind Grenzen und Möglichkeiten der Politik? Die SWR Wirtschaftsredaktion hat dazu zwei Experten für Streikforschung und Arbeitsrecht befragt.
Verständnis für die Kernforderung nach kürzerer Arbeitszeit
Der Knackpunkt im aktuellen Tarifkonflikt ist die Kernforderung der GDL. Sie fordert eine 35-Stunden-Woche für Personal im Schichtdienst bei vollem Lohnausgleich - das wären drei Stunden weniger als bisher. Die Bahn hat das als nicht bezahlbar zurückgewiesen und zuletzt angeboten, über eine Verkürzung um eine Stunde zu verhandeln - als Wahlmöglichkeit.
Der Streikforscher Alexander Gallas von der Universität Kassel hat im Gespräch mit der SWR Wirtschaftsredaktion Verständnis für diese Forderung der GDL geäußert. Der Krankenstand bei der Bahn sei sehr hoch, und der Schichtdienst ist sehr anstrengend. Es gebe nicht nur drei unterschiedliche Zeitpunkte am Tag für den Arbeitsbeginn, sondern die Beschäftigten könnten zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten angefordert werden. Die Pausen seien kurz. Kürzere Arbeitszeiten könnten die Motivation erhöhen.
Markus Pieper setzt auf die Forderung der GDL Lokführer aus Karlsruhe beklagt verschlechterte Arbeitsbedingungen
Wenig Wertschätzung und täglich wechselnde Arbeitszeiten belasten den Arbeitsalltag von Lokführer Markus Pieper aus Karlsruhe. Er erzählt, warum er die Forderungen der Gewerkschaft GDL unterstützt.
Dürfen Politiker das Streikrecht in Frage stellen?
Der angekündigte Sechs-Tage-Streik der GDL hat zu kritischen Äußerungen unterschiedlicher Politikerinnen und Politiker geführt. CDU-Chef Merz spricht von einem "Streik-Exzess" und stellt Gesetzesänderungen zur Debatte. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann hat eine Gesetzesverschärfung gefordert, um solche Ausstände künftig zu verhindern. Die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion sagte im Deutschlandfunk: Bei kritischer Infrastruktur müsse zuerst ein Schlichtungsverfahren abgeschlossen werden, bevor gestreikt werde. Auch Verkehrsminister Wissing hat die Streiks im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF kritisiert. Er habe null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung. Der Arbeitsrechts-Experte Gregor Thüsing von der Universität Bonn sagt dazu:
Der Streikforscher und Politikwissenschaftler Alexander Gallas von der Uni Kassel nennt die Äußerungen aus der Politik nicht überraschend, sieht sie aber teilweise mit Sorge:
Das Streikrecht ist gesetzlich gar nicht festgeschrieben
Allerdings: Es gibt keine gesetzliche Regelung für Streiks - darauf weist Streikforscher Gallas ebenso wie der Arbeitsrechtsexperte Thüsing hin. Es sei das Problem, dass es allgemein kein Streikgesetz oder Arbeitskampfgesetz in Deutschland gebe, sagt Gregor Thüsing im Gespräch mit der SWR Wirtschaftsredaktion. Was es gebe, sei die Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes (Artikel 9 Grundgesetz). Diese sei aber recht deutungsoffen. Was daraus konkret für einen Arbeitskampf folge, müssten die Gerichte immer wieder neu in Einzelfallentscheidungen herausarbeiten.
Für Alexander Gallas ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 1980 zentral. Dieses habe festgestellt, die Tarifautonomie sei ohne das Streikrecht nicht mehr als "kollektives Betteln". Daraus gehe klar hervor, dass Beschäftigte ein Streikrecht besitzen.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Verkehrs-Infrastruktur-Experte Alexander Eisenkopf von der Zeppelin-Universität Friedrichshafen sieht die Forderungen der Gewerkschaft im Gespräch mit SWR Aktuell Rheinland-Pfalz dagegen kritischer. Er sagt, die Gewerkschaft habe sich damit vergaloppiert.
Wirtschaftlicher Schaden im hohen dreistelligen Millionenbereich möglich
Zum wirtschaftlichen Schaden, den ein Bahnstreik auslösen könnte, gibt es unterschiedliche Schätzungen. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln schätzt die gesamtwirtschaftlichen Schäden auf rund 100 Millionen Euro pro Streiktag - im Personen- und im Güterverkehr. Allerdings könne dies bei einem mehrtägigen Streik stark steigen, erklärte IW-Konjunkturchef Michael Grömling. Grobe Schätzungen könnten darauf hinauslaufen, dass der Streik sich im Extremfall auf bis zu eine Milliarde Euro potenzieren könne, so Grömling. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass im Transportbereich pro Tag 30 Millionen Euro verloren gehen könnten. Sollten Fabriken die Produktion stoppen müssen, weil Nachschub fehle, könne allerdings ein viel größerer Schaden entstehen.
Mega-Streik der GDL nicht außergewöhnlich lang im geschichtlichen Vergleich
Im historischen Vergleich sei der sechstägige GDL-Streik nicht außergewöhnlich lang, erklärt Alexander Gallas. Beispielsweise habe es einen 12-tägigen Streik 1992 im Öffentlichen Dienst gegeben und einen Streik mit 114 Tagen Dauer in der schleswig-holsteinischen Metall- und Elektroindustrie um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Streikrecht einschränken oder "wandeln"?
Natürlich stellten Streiks wie dieser GDL-Streik Abwägungsfragen, beispielsweise zwischen dem Recht auf freie Berufsausübung (Anmerkung der Redaktion: beispielsweise von Berufspendlern) und dem Streikrecht, erklärt Alexander Gallas. Grundsätzlich sei aber seines Erachtens klar, dass das Streikrecht ein Grundrecht sei. Es sei auch eine Möglichkeit Machtungleichgewichte auszugleichen. Deswegen habe es auch eine wichtige demokratiepolitische Bedeutung.
Gregor Thüsing von der Uni Bonn sieht das ähnlich - dennoch sieht er Möglichkeiten, die jetzige Situation anders zu gestalten.
Politisch sei das allerdings ein vermintes Gebiet. Hier sei mit Widerstand sowohl von Gewerkschaften, Arbeitgebern wie auch der Öffentlichkeit zu rechnen. Wenn man nichts unternehme, bleibe es aber beim Status Quo.
Was die Politik tun könnte
Streikforscher Alexander Gallas sieht keine kurzfristigen Möglichkeiten für die Politik, Streiks in einer solchen Größenordnung zu verhindern. Die Bahn sei aber nach wie vor in Staatshand, also habe die Politik durchaus Gestaltungsmöglichkeiten, wenn auch eher mittelfristige. Es gebe beispielsweise bereits Diskussionen, ob man den Bahnkonzern umorganisieren solle.
Der Arbeitsrechts-Experte Gregor Thüsing listet im Gespräch mit dem SWR einige konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Politik auf. Beispielsweise bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit eines Streiks. Es gelte zwar der Grundsatz, Streiks müssten verhältnismäßig sein. Was aber verhältnismäßig sei, das beurteile im Moment weitgehend die Gewerkschaft alleine.
Hier könne der Gesetzgeber sehr wohl klarere Vorgaben geben und Regelungen finden, sagt Thüsing. Beispielsweise, dass ein Streik erst zulässig sei, wenn man vorher einmal eine Schlichtung versucht habe. Oder die Auflage, einen Streik mit umfangreicheren Notdiensten, als sie bislang vorhergesehen seien, zu verbinden. Oder ihn an eine frühere Ankündigung zu knüpfen, damit sich die Öffentlichkeit besser darauf einstellen könne.
Man könne durchaus die aktuelle Situation zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, welche Regelungen zu vertreten seien, ohne die Wirkungsmacht der Gewerkschaften zu beeinträchtigen, erklärt Thüsing, und gleichzeitig der Öffentlichkeit eine verlässliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
Wie das Streikrecht genau auszulegen ist und welche Gestaltungsmöglichkeiten die Politik dabei hat, diese Diskussion geht sicherlich noch weiter.
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