Mit der "Terra Australis" wurde in der Stuttgarter Wilhelma eine neue Lebenswelt eröffnet. Ist artgerechte Haltung in Zoos möglich, und leisten diese sogar einen Beitrag zum Artenschutz?
Vier Koalas aus Australien sind die neuen Stars der Stuttgarter Wilhelma. Zusammen mit zehn weiteren australischen Tierarten bevölkern sie seit rund zwei Wochen die neu geschaffene Lebenswelt "Terra Australis" im Zoo. Das Gehege der Koalas orientiert sich stark am ursprünglichen Lebensraum der Tiere. Dafür wurde die Vegetation aus dem Noosa-Nationalpark in Queensland nachgebaut. Dennoch sind das Gefängnisse für Tiere, sagen Tierrechtsorganisationen wie PETA. So geht moderner Zoo, halten Fachleute dagegen, denn Artenschutz scheinbar "fremder" Tiere könne nur in globaler Zusammenarbeit gelingen.
Lokale Nachzuchten für den globalen Artenschutz
Dem Zoo Karlsruhe ist jüngst die Nachzucht gleich mehrerer bedrohter Arten geglückt: Rote Pandas, Przewalskipferde und Wildesel. Die kleinen Roten Pandas sind jetzt fünf Wochen alt und präsentieren sich den Besucherinnen und Besuchern. Ob sie durchkommen, war lange nicht klar.
Im Audio erklärt Zoo-Sprecher Timo Deible, was die Nachzucht bedeutet:
Zu Hause sind die Roten Pandas eigentlich in Südasien. Dort gebe es aber nur noch rund 10.000 Exemplare im Himalaja. Rote Pandas stehen auf der Roten Liste und sind stark vom Aussterben bedroht. Die Nachzucht der Pandas ist nur ein Erhaltungsprojekt von vielen, die der Karlsruher Zoo unterhält. Dafür gibt es die Artenschutzstiftung des Zoos. Dabei gehe es nicht darum, die Tiere für den Zoo zu züchten oder zu halten. Das Zeil sei, sie ihren natürlichen Lebensräumen wieder zuführen zu können - nicht nur bei den großen Projekten in Asien oder Australien. Dort engagieren sich etwa der Karlsruher Zoo und die Stuttgarter Wilhelma in der Koala-Hilfe.
So werden etwa Wisente im Oberwald gezüchtet, damit diese Tiere dann wieder in freier Wildbahn in Rumänien leben können. Und damit sich der Fischadler wieder in Baden-Württemberg ansiedeln kann, gibt es ein Projekt zusammen mit dem Naturschutzbund (NABU), bei dem unter anderem ein Horst im Landkreis Rastatt angebracht wurde.
Experte: 25 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten gefährdet
Laut dem Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) sind derzeit etwa 1,2 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten beschrieben, Schätzungen gingen aber davon aus, dass es über acht Millionen Arten auf der Welt gibt. In Deutschland lebten nur knapp über 70.000 Arten, davon seien rund 33.000 Insekten.
Christoph Scherber, Experte am LIB, geht davon aus, dass in naher Zukunft eine Million Arten aussterben könnten. "Etwa 25 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten sind derzeit als gefährdet eingestuft", sagt er. "Seit dem Jahr 1500 haben wir bereits 680 Wirbeltierarten verloren, etwa die Galapagos-Riesenschildkröte im Jahr 2012." Auch in Deutschland seien bereits einige Arten ausgestorben, wie zum Beispiel die Fische Bodensee-Kilch und Bodensee-Tiefseesaibling.
Artenschutz und Artenschutzprogramme von Zoos sind vielfältig
Zoos leisteten einen Beitrag zum Artenschutz: Wiederansiedlung wie für die Wisente in Rumänien "ist dabei eine Möglichkeit des Artenschutzes, aber wirklich die letzte, die man ergreifen sollte", sagt Sandra Reichler, Kuratorin für Säugetiere im Heidelberger Zoo. In der Öffentlichkeit und bei Medien erlange diese Methode aber die meiste Aufmerksamkeit - genauso wie Koalas und Rote Pandas wegen ihrer Niedlichkeit auch eher beachtet werden als nicht so populäre Tierarten.
Deswegen versuche der Zoo Heidelberg wie viele andere große Zoos, verstärkt darauf aufmerksam zu machen, welche Rolle Zoos in der globalen Zusammenarbeit in Sachen Artenschutz spielten. "Artenschutzprojekte, die wir beispielsweise in Westafrika zum Schutz der beiden Affen-Arten Roloway-Meerkatzen und Weißscheitel-Mangaben unterhalten, setzen zuerst auf Schutz der vor Ort noch vorhandenen Tiere", erklärt Reichler.
"Dann kann man Schutzgebiete und Auffangstationen einrichten, man muss gegen Wilderei, illegalen Handel und Umweltverschmutzung vorgehen, es braucht sehr oft alternative Einnahmequellen für die Menschen vor Ort und finanzielle Fördermöglichkeiten." Dazu können Besucherinnen und Besucher in Deutschland durch den sogenannten Artenschutz-Euro ihren Beitrag leisten. In Heidelberg ergeben sich laut Sandra Reichler dadurch Einnahmen von rund 280.000 Euro im Jahr.
Bildung und Pädagogik - ein weiteres Standbein der Zoos
"Unser Zoo hat eine der höchsten Quoten an bedrohten Tierarten", sagt Klaus Wünnemann, Direktor des Heidelberger Zoos. Und das bedeute automatisch, dass es Programme vor Ort geben muss, aber es auch um heimische bedrohte Tierarten wie den Feldhamster gehe. "Artenschutz und Naturschutz gehen Hand in Hand. Das Engagement gegen Artensterben sollte genauso wie das für besseren Naturschutz noch viel mehr als gesellschaftliche Aufgabe gesehen werden", wünscht sich Wünnemann.
Unter anderem deswegen geht man in Heidelberg seit mehr als 25 Jahren andere, neue Wege. "Naturschutz und Bildung stehen bei uns besonders im Fokus, weil Heidelberg zu den umweltaktivsten Städten Deutschlands gehört", erklärt Wünnemann. Heißt: Der Zoo muss auch zur Stadt passen. Schon damals gab es ungewöhnliche didaktische Methoden, zum Beispiel Übernachtungen im Zoo. Seit den 1980er-Jahren ist die Zoo-Pädagogik auf dem Vormarsch. "Über dieses Infotafeln-Aufstellen an den Gehegen ist man bei den Konzepten inzwischen weit hinaus", ergänzt Wünnemanns Kollege Axel Schlemann.
Schlemann leitet die Zoo-Akademie in Heidelberg. Diese Bildungsschmiede unterhält neben einer Dauerausstellung zu Phänomenen in der Natur wechselnde interaktive Sonderausstellungen, ein Technik-Labor, das ökologische Zusammenhänge erfahrbar mache, und ein Molekular-Labor für Methodenkenntnis. Damit biete der Heidelberger Zoo eine nach eigenen Angaben europaweit einmalige Einrichtung für Kinder ab dem Kindergarten-Alter, Jugendliche und alle interessierten Erwachsenen.
Lerneffekte durch Zoo-Pädagogik?
Bleibt da mehr hängen als durch den Besuch des Zoos? Klar, wie die Rezeption angenommen wird, sei natürlich schwer zu evaluieren, gibt Schlemann zu. Aber gemäß des Bildungsauftrags des Zoos sei es durch Mitmachen und Erlebnis sicherlich eine größere Befähigung, den gesamten Kontext von Ökosystemen zu sehen und zu Handlungsfähigkeit und Reflexion zu bewegen.
Kreative Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsangebote seien ein elementarer Bestandteil des modernen Zoo-Verständnisses, meint auch der World Wildlife Fund for Nature (WWF). Und da die meisten großen Zoos gleichzeitig auch Forschungseinrichtungen sind, gebe es hier großes Potential, so WWF-Artenschutz-Expertin Anne Hanschke. Deswegen sei speziell für Familien und Kinder das Lebenswelten-Konzept von Zoos wie die "Terra Australis" in der Wilhelma ein guter Weg zur Wissensvermittlung.
Kritik: Artgerechte Haltung ist in Zoos nicht möglich
Für die Tierrechtsorganisation PETA sind Zoos, Tierparks und Wildgehege nach wie vor Gefängnisse für die Tiere. Zoos könnten keiner artgerechten Haltung entsprechen, lautet die Kritik seit Jahrzehnten. Viele Tiere würden erkranken, auch psychisch, und verfrüht sterben. Zudem könnten in Gefangenschaft geborene Wildtier-Arten nicht ausgewildert werden, sie hätten das Überleben in der Natur nicht gelernt. Ein anderer Vorwurf lautet, Zoos betrieben keinen echten Tier- und Artenschutz, sondern hielten und züchteten Tiere vor allem der Schaulust des Menschen wegen. Der Prozentsatz wirklich gefährdeter Tierarten sei relativ gering.
Sandra Reichler vom Heidelberger Zoo und ihre Kollegen halten die Kritik der Tierrechtler für überholt: Ja, es gebe dazu eine gesellschaftliche Debatte, und das sei auch gut so. Die werde aber teils sehr emotional und mit Scheuklappen geführt. "Natürlich äußern auch Besucherinnen und Besucher Kritik und haben vor Ort Fragen. Vor allem meinen viele zu wissen, was die Tiere brauchen. Das ist ein ganz normaler Effekt: Je näher uns Tiere sind, umso eher meinen wir, sie emotional zu verstehen", so Reichler.
Dadurch würden die Tiere vermenschlicht. Aber jedes Tier habe eigene Bedürfnisse, so Reichler. Nicht alle Elefanten-Arten bräuchten gleich viel Raum, nicht jedes Steppen-Tier laufe normalerweise mehrere Dutzend Kilometer am Tag ohne Zwang zur Nahrungssuche. Gorillas könnten kaum anders gucken als traurig, aber deswegen Menschenrechte für Menschenaffen zu fordern, sei sinnlos.
Unsicherheiten bei Familien hinsichtlich Zoo-Besuch
"Was wir tun können, ist, uns in der sogenannten Substitution weiterhin zu verbessern", sagt Reichler. "Substitution" meint Angebote, die bei den Tieren natürliche Verhaltensweise fördern. Etwa Futter nicht direkt präsentieren, sondern Reize und soziale Impulse setzen, damit sie sich bewegen - Leistung bringen müssen für den Nahrungserwerb wie in der freien Wildbahn auch - oder eben beschäftigt sind mit irgendeiner Form der Problemlösung.
Dass Unsicherheit gerade bei Familien herrsche, ob und wie ein Zoo-Besuch zu rechtfertigen und zu erklären ist, sei nach wie vor ein Thema, sagt auch Anne Hanschke vom WWF. Deswegen hat die Organisation eine Erklär-Hilfe zusammengestellt. Am wichtigsten ist demnach zu prüfen, ob ein Zoo seriös sei. Dann könne der Familienausflug mit gutem Gefühl und guten Erklärungen zum Erlebnis werden. Denn das dürfe ein Zoo-Besuch nach wie vor auch noch sein: ein Erlebnis.
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