Wasserstoff soll Baden-Württemberg bei der Energiewende helfen. Noch gibt es aber viel zu wenig davon. Wo es hakt, erklärt EnBW-Vorstand Dirk Güsewell im SWR-Interview.
Wasserstoff wird auch in Baden-Württemberg als wichtige Energiequelle der Zukunft gehandelt. Es soll Erdgas als umweltfreundliche Alternative ersetzen. Am Donnerstag gibt es sogar eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dazu, der Titel ist: "Wasserstoffland Baden-Württemberg". Im SWR Aktuell-Interview erklärt EnBW-Vorstand Dirk Güsewell, wo wir im Land eigentlich gerade stehen.
SWR Aktuell: Herr Güsewell, Ministerpräsident Kretschmann hält heute eine Regierungserklärung zum Thema "Wasserstoffland Baden-Württemberg". Setzt er zu Recht auf diese Energie?
Dirk Güsewell: Absolut zu Recht. Gas wird an ganz vielen Stellen gebraucht: in der Industrie, in der Stromerzeugung und teilweise auch in der Wärmeerzeugung. Insofern ist es nur konsequent, wenn wir neben erneuerbaren Energien zukünftig auch auf grüne Gase - insbesondere grünen Wasserstoff - setzen.
SWR Aktuell: Irgendwelche Wünsche an den Ministerpräsidenten?
Güsewell: Ich wünsche mir, dass wir grundsätzlich mehr über die praktischen Rahmenbedingungen der Umsetzung sprechen. Unter anderem das Thema Finanzierung ist für die Industrie, die beteiligt ist, essenziell wichtig. Wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen Kalkulierbarkeit, damit wir die entsprechenden Investitionen in die Hand nehmen können.
SWR Aktuell: Von wie viel Geld sprechen wir?
Güsewell: Da kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine finalen Aussagen treffen. Klar ist, es geht um substanzielle Investitionen. Das werden also keine kleinen Beträge sein.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich in seiner Regierungserklärung zu grünem Wasserstoff geäußert. Darin machte er auch deutlich, welche Chancen sich für Baden-Württemberg bieten:
SWR Aktuell: Einerseits brauchen Sie Planungssicherheit, andererseits gibt es ja auch einen gewissen Zeitdruck. Bis 2040 sollen rund 15 Prozent des Energiebedarfs im Land mit Wasserstoff gedeckt werden ...
Güsewell: Wir haben angesichts der Meilensteine einen ambitionierten Zeitplan. Viele Fragen sind zum heutigen Zeitpunkt noch nicht final geklärt. Nur die Klärung dieser Fragen allein sollte uns nicht aufhalten, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen und insbesondere die zeitkritischen Themen anzupacken.
SWR Aktuell: Welche wären das denn?
Güsewell: Zeitkritisch ist aus meiner Sicht insbesondere die Transportnetzinfrastruktur. Hier gilt es jetzt zu klären, wie Wasserstoff zu uns kommen kann. Man könnte natürlich ein solches System redundant zu der heutigen Erdgas-Infrastruktur neu planen und komplett neu errichten. Wir denken, das wäre der falsche Weg. Unsere Untersuchungen zeigen: Die Umnutzung von heute noch für Erdgas genutzter Infrastruktur wäre deutlich schneller, man bräuchte nur die Hälfte der Zeit, und es wäre deutlich günstiger, weil sie nur ungefähr ein Fünftel der Kosten verursachen würde.
SWR Aktuell: Wann entscheidet sich das?
Güsewell: Der Prozess auf Bundesebene ist angestoßen. Die Ferngasnetzbetreiber arbeiten im Dialog mit dem Bund ein sogenanntes Kernnetz als Basis für die Transportnetzinfrastruktur aus. Wir gehen davon aus, dass wir noch in diesem Herbst auf dieser Grundlage entsprechende Planungsbeschlüsse sehen werden.
Wie grüner Wasserstoff in der Stahl- und Chemieindustrie eingesetzt wird, hat Werner Eckert 2022 bei SWR2 erklärt:
SWR Aktuell: Wenn die Infrastruktur steht, wer kann dann Wasserstoff beziehen?
Güsewell: Wir werden am Anfang keine übergroßen Mengen an Wasserstoff zu uns bringen können. Das wird mit der Zeit zunehmen. Insofern sind wir am Anfang gut beraten, sehr sorgfältig zu entscheiden, wo man Wassersstoff einsetzt. Da bieten sich aus meiner Sicht insbesondere industrielle Anwendungen an, für die es kaum Alternativen gibt, klimaneutral zu produzieren. Mit stärkerer Verfügbarkeit und weiterer Entwicklung der Transport- und Verteilnetzinfrastruktur kann man aber auch breiter denken.
SWR Aktuell: So wie die Bundesregierung? Die wünscht sich ja, dass auch Haushalte in Zukunft mit Wasserstoff heizen können. Das Land ist, was das angeht, eher skeptisch, hört man aus Regierungskreisen.
Güsewell: Ich erwarte nicht, dass der Wärmemarkt - der heute an vielen Stellen erdgasbasiert funktioniert - eins zu eins auf Wasserstofflösungen umgestellt wird. Das macht aus meiner Sicht auch volkswirtschaftlich gar keinen Sinn. Aber Wasserstoff komplett für das Segment Wärme auszuschließen, hielte ich insbesondere auf lange Sicht ebenfalls für falsch. Ein Energiesystem muss auch resilient sein. Resilient heißt auch, auf mehrere Energieträger zu setzen.
SWR Aktuell: Sie sagen, komplett auf Wasserstoff zu setzen macht volkswirtschaftlich keinen Sinn. Weil Wasserstoff zu knapp und teuer ist?
Güsewell: Preis und Verfügbarkeit werden in der Anfangszeit einfach kritische Elemente sein. Das ist bei jeder grundsätzlichen Energieinfrastruktur-Umstellung der Fall. Die Lieferketten müssen an der Stelle erst organisiert, die Investitionen in Wasserstoffproduktionsanlagen erstmal erfolgen. Wenn man aber wie wir bei der EnBW unterstellt, dass dieser Trend zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz stabil und langfristig bestehen wird, dann wird sich auf der Zeitschiene sowohl das Kostenthema als auch die Verfügbarkeit deutlich verbessern.
SWR Aktuell: Wie viel Wasserstoff können wir langfristig denn im Land herstellen, wie viel müssen wir importieren?
Güsewell: Wir haben und wir werden auch in Zukunft in Baden-Württemberg Wasserstoffproduktionsanlagen haben. Ich glaube aber nicht, dass wir von einer Autarkie ausgehen sollten. Wasserstoff muss da erzeugt werden, wo die Produktionsbedingungen am besten sind. Sie brauchen, nur um ein Beispiel zu nennen, für die Produktion von Wasserstoff Strom und für die Produktion von grünem Wasserstoff regenerativ erzeugten Strom. Ich denke nicht, dass wir in Deutschland in absehbarer Zeit davon zu viel haben werden, sondern diesen Strom an anderer Stelle brauchen.
SWR Aktuell: Machen wir uns durch den Import von Wasserstoff nicht wieder abhängig von anderen Ländern?
Güsewell: Der Punkt ist natürlich berechtigt. Der Effekt, den wir im vergangenen Jahr gesehen haben - die hohe Abhängigkeit, die wir beispielsweise von Russland im Erdgasbereich hatten - ist etwas, was wir in der Zukunft so nicht haben dürfen. Insofern wird es sehr darauf ankommen, wie man dieses Beschaffungsportfolio breit aufsetzt, breit diversifiziert und sich nicht von einzelnen Regionen oder einzelnen Ländern abhängig macht.
SWR Aktuell: Welche Regionen oder Länder werden uns in der Zukunft denn Wasserstoff liefern?
Güsewell: Wir sehen zum Beispiel breit angelegte Initiativen in Süd- und Nordamerika. Das werden sicherlich wichtige Lieferländer in der Zukunft sein, mit denen wir heute bereits in Kontakt stehen. Vielleicht werden auch Teile Europas - zum Beispiel Skandinavien, wo wir eben sehr viel grünen Strom verfügbar haben, wo Wasser als Produktionsfaktor nicht knapp ist - eine wichtige Rolle spielen.
SWR Aktuell: Aktuell gibt es nur wenig grünen Wasserstoff. Langfristig soll sich das ändern.
Güsewell: Dieses Ziel langfristig zu verfolgen, ist richtig. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, um frühzeitig Angebote für Verbraucherinnen und Verbraucher machen zu können und um frühzeitig für die Auslastung der entsprechenden Infrastruktur zu sorgen, dass für einen überschaubaren Zeitraum auch andere Formen von Wasserstoff Verwendung finden können.
SWR Aktuell: Wird die Energiewende dadurch nicht ausgebremst, wenn wir im ersten Schritt auf Wasserstoff generell und dann erst im zweiten Schritt auf grünen Wasserstoff setzen?
Güsewell: Es geht nicht darum, bedächtig Schritt für Schritt zu gehen. Aber wenn wir kurzfristig zum Beispiel blauen Wasserstoff einsetzen, um die Ziele im Hinblick auf Infrastruktur und Auslastung dadurch besser und schneller zu erreichen, ist das absolut dienlich. Langfristig muss der Anteil von grünem Wasserstoff steigen. Nur so macht es in der Gesamtbetrachtung unter der Überschrift Nachhaltigkeit wirklich Sinn.