Seit 20 Jahren werden an der Ellwanger St. Anna-Virngrund-Klinik psychisch kranke Kinder und Jugendliche behandelt. Die Verantwortlichen stellen jetzt fest: Seit Corona ist vieles anders.
An sich gibt es an der St. Anna-Virngrund-Klinik in Ellwangen (Ostalbkreis) Grund zu feiern: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie besteht seit 20 Jahren. Vergleichsweise klein - aber mit modernem Konzept. Doch die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen, auch in Ostwürttemberg.
Ess- und Angststörungen, Depressionen und Selbstverletzungen
Die Art der Erkrankungen hat sich geändert, so die Erfahrung von Dr. Jens Retzlik. "Bei den Jugendlichen sehen wir in letzter Zeit mehr Essstörungen, mehr Angststörungen und mehr Selbstverletzungen", berichtet der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der St. Anna-Virngrund-Klinik, "insbesondere bei Mädchen".
Aber auch bei kleineren Kindern gab es in den vergangenen Jahren eine beunruhigende Entwicklung: Immer mehr werden mit psychischen Folgen von Misshandlung oder Missbrauch in die Klinik eingewiesen. Erkrankungen, die Eltern oder Bekannte verursacht haben.
Schwere der psychischen Erkrankungen bei Kindern nimmt zu
Grundsätzlich hat die Hälfte aller psychischen Auffälligkeiten ihre Wurzel in der Kindheit, sagte die Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des ZFP Weissenau bei Ravensburg, Prof. Dr. Renate Schepker, im Vorfeld des Ellwanger Jubiläums-Symposiums. Und ihr Ellwanger Kollege Retzlik ergänzt: Die Schwere der Erkrankungen, mit denen Mädchen und Jungen in psychiatrische Behandlung kommen, habe in den letzten drei Jahren - also seit der Corona-Pandemie - zugenommen. "Die Kinder und Jugendlichen mit einer psychischen Auffälligkeit sind kränker".
Eltern und andere Menschen im familiären Umfeld sollten sensibler dafür werden, wann ein Kind eine psychische Erkrankung entwickelt, etwa eine Depression, wünscht sich Retzlik. Warnzeichen dafür gibt es durchaus: Wenn sich das Kind "einigelt", man mehr und mehr den Kontakt zu ihm verliert, ist Vorsicht geboten. Aber auch, wenn es aufhört, bestimmte Dinge zu tun, die es bisher gern getan hat, und zwar ohne dass es stattdessen mit etwas Neuem anfängt. Mit üblichen pubertären Verhaltensweisen dürfe man das keinesfalls verwechseln, warnt der Ellwanger Psychiater. Rechtzeitige Behandlung sei auch bei psychischen Erkrankungen entscheidend für eine mögliche Heilung, so sein dringender Hinweis.
Fortschritte bei den Therapien in Ellwangen
An der Kinder- und Jugendpsychiatrie Ellwangen behandeln die Ärztinnen und Ärzte ihre jugendlichen Patientinnen und Patienten überwiegend mit Verhaltenstherapie. Ein Team aus verschiedenen Berufszweigen kümmert sich dabei um die kranken Kinder und Jugendlichen: Psychologen, Ergotherapeuten, Klinikschul-Lehrerinnen und -lehrer, Erziehungsdienst, Pflegekräfte.
Jens Retzlik und sein Team entwickeln die Therapien ständig weiter: Wer vor 20 Jahren mit einer psychischen Erkrankung noch stationär aufgenommen wurde, muss heute mit der gleichen Erkrankung in vielen Fällen nur noch teilstationär in die Klinik.