Seit über einem Jahr stecken wir in der Corona-Pandemie. Gerade für Kinder ist das Wegbrechen sozialer Kontakte und die Situation zu Hause oft belastend. Wie kommen sie durch die Krise?
Kinder und Jugendliche wurden lange Zeit in der Pandemie nicht gesehen. Wenn es um sie ging, dann ging es meist um organisatorische Dinge, um schulische Leistungen. Doch mittlerweile ist auch in der Öffentlichkeit angekommen: Der lange Ausnahmezustand hat seine Spuren in der Psyche der Kinder hinterlassen.
Einige von ihnen würde wie Erwachsene auch mit psychischer Belastung reagieren, beobachtet Professorin Silvia Schneider, Leiterin der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum: Es gebe viele Kinder, die sehr gut durch die Pandemie kämen, aber es gebe eben auch Kinder und Familien, die wirklich unter der Pandemie litten. Die dann auch mit Angst, Traurigkeit und Einsamkeitsgefühlen reagierten.
Kleinkinder in der Pandemie
Auch bei sehr kleinen Kindern zwischen null und zwei Jahren gebe es krisenbedingte Auffälligkeiten. Die Kinder seien unruhiger oder hätten größere Trennungsängste. Viele wachten nachts häufiger auf. Wie viele Kinder betroffen sind, könne derzeit keiner genau sagen. Es gebe wenig wirklich fundierte Daten, um zu bestimmen, wie viele Kinder eine psychische Störung neu entwickelten, erklärt Silvia Schneider.
Studie zum Wohlbefinden der Kinder
Um mehr Licht ins Dunkle zu bringen, befragte Schneider mit anderen Forschenden mehr als 3.000 Elternteile zum Wohlbefinden ihrer Kinder zwischen null bis sechs. Erste Ergebnisse zeigen auch hier: Die Eltern beobachteten mehr Verhaltensprobleme als vor der Krise. Die Symptome sind unterschiedlich:
- Probleme mit Gleichaltrigen,
- Hyperaktivität,
- emotionale Auffälligkeiten,
- Ängste
Etwa ein Drittel der Kinder sei betroffen. Diese Größenordnung würde sich auch in anderen Studien abzeichnen, sagt Professorin Schneider. Kinder bräuchten Sicherheit und Vorhersagbarkeit. Das letzte Jahr sei keineswegs vorhersagbar gewesen. Es hätte ständig kurzfristige Schulöffnungen und Schulschließungen gegeben. Das sei ein einziges hin und her gewesen und sicherlich nicht gut für die Kinder.
Nun hat die Regierung aber immerhin ein Corona-"Aufholprogramm" beschlossen, das den Kindern durch die Pandemie helfen soll. Die Regierung hat eine Milliarde Euro für Nachhilfe- und Förderprogramme für Schüler investiert. Eine weitere Milliarde soll verwendet werden, um psychischen Folgen der Krise von Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken.
Jugendliche in der Krise
Ein weiteres Problem der Pandemie-bedingten Schulschließungen ist nach Ansicht der Kinder- und Jugendpsychologin Silvia Schneider:
In den sensitiven Phasen, bestimmten Zeitfenstern, sind Kinder aber besonders empfänglich für das Lernen beispielsweise von Sprache oder dafür, autonom zu werden.
Sich von seinen Eltern trennen zu können oder soziale Skills zu lernen, das gelinge einfach als Jugendlicher besonders gut. Wenn man das nun verpasse, habe das vielleicht wirklich langfristige Auswirkungen. Einige merkten dadurch vielleicht später, dass sie was verpasst hätten, an Kompetenzen zu entwickeln.
Wie sehr gerade Jugendliche unter den Kontaktbeschränkungen leiden, zeigt sich auch in der JuCo 2-Befragung der Universitäten Hildesheim, Frankfurt, Bielefeld mit 7.000 beteiligten jungen Menschen. Diejenigen, die kaum noch Möglichkeiten hatten, im echten Austausch mit anderen zu sein, fühlten sich psychisch belasteter. 68 Prozent litten unter Zukunftsängsten. 60 Prozent fühlten sich einsam. Ein Drittel hat große finanzielle Sorgen.
Wird die Krise also für einige psychische Langzeitfolgen haben? Die Überlegung könne man natürlich haben, da die entscheidende Entwicklungsphase Kindheit und Jugend sei, ob man psychisch gesund durch das Leben gehe oder eine Störung entwickle, sagt Psychologin Schneider.
Schutzfaktoren für Kinder und Jugendliche
Trotzdem hält sie es eher für unwahrscheinlich, dass das für sehr viele zutreffen wird. Die meisten Kinder kämen gut durch die Krise, einige würden sogar daran wachsen, mit ihren Familien diese Krise zu meistern. Viele entwickelten Resilienz, eine psychische Widerstandskraft.
Sie hängt davon ab, welches Temperament und welche Ressourcen Kinder mitbringen, von den Bildungsinstituten und dem Umfeld. Aber allen voran von den Beziehungen zu den Eltern und deren materieller Situation. Man nennt diese Ressourcen in der Entwicklungspsychologie Schutzfaktoren. Sind viele davon vorhanden, ist das Risiko auffällig zu werden, abgemildert.
Den Eltern wird viel zugemutet in der Pandemie
Claudia Friedrich, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Tübingen, sagt allerdings, das alles sei zu kurz gedacht nach über einem Jahr Pandemie. Gerade den Eltern werde zu viel zugemutet.
Kinder bräuchten für eine gesunde Entwicklung verschiedene Bezugsysteme. Claudia Friedrich fordert daher dringend ein Umdenken in der Politik: Offene verlässliche Bildungsinstitute, offene Kitas seien jetzt das A und O, gerade für die Gesundheit von Kindern aus sozial schwachen Familien. Jedes 5. Kind in Deutschland lebe in Armut.
Corona könne für Kinder, die sowieso schon in schwierigen Lebenskonstellationen sind, alles nochmal verstärken und so möglicherweise längerfristig die psychische Gesundheit beeinträchtigen. Da sei Hilfe dringend notwendig, damit es nicht zu psychischen Long Covid Problemen komme.
Eltern müssen das Verhalten ihrer Kinder besser deuten können
Und vor allem, so Professorin Schneider, brauche es viel mehr vertiefte Forschung, damit Eltern besser verstehen, welche Verhaltensweisen Kinder und Jugendliche krisenbedingt entwickeln und was sie dagegen tun können. Wenn Eltern das Verhalten besser einschätzen könnten, dann könnten sie das ihrem Kind auch vermitteln und das bringe etwas Ruhe und Sicherheit in das Geschehen.
Hilfe für gestresste Familien
Um Familien auch kurzfristig helfen zu können, initiierte Schneider mit anderen Psychologen und Psychologinnen das Online-Angebot „familienunterdruck.de“. Hier finden gestresste Familien Hilfe in kurzen Videos. Doch klar ist, dass das nur ein Anfang ist. Dass das viele nicht erreicht. Oder vielen nicht ausreicht.
In Bochum gebe es bald auch einen mobilen Forschungsbus, sagt Schneider. Er soll in die Viertel mit den vergessenen Kindern fahren und dort mehr Daten sammeln. Nur mit mehr Wissen kann die Frage, wie es allen Kindern gerade geht oder was sie jetzt brauchen, in Zukunft besser beantwortet werden.
Links zum Thema
Psychologische Coronahilfe
Hilfsangebote des Bundesfamilienministeriums
Leibniz-Institut für Resilienzforschung