Am 29. Februar ist für Gunter Czisch Schluss im Ulmer Rathaus. Der Oberbürgermeister muss nach acht Jahren seinen Posten räumen. Über einen, der inzwischen mit sich im Reinen zu sein scheint.
Zweieinhalb Monate nach der Stichwahl in Ulm zieht am Donnerstag der Neue ins Rathaus ein: Martin Ansbacher (SPD). Er folgt auf Gunter Czisch (CDU), der nach acht Jahren im Amt im Dezember überraschend abgewählt wurde. Für den 60-Jährigen ein so unerwarteter wie schwerer Schlag.
Ansbacher gewinnt überraschend die OB-Wahl in Ulm
Es gab Schnaps. Das Wahlergebnis war an diesem 17. Dezember erst wenige Minuten alt. Martin Ansbacher hielt einen Blumenstrauß mit rosafarbenen Rosen in Händen und schaute ungläubig in die Kameras. Alle Augen im Ulmer Rathaus auf ihm. Er hatte gewonnen, den Amtsinhaber geschlagen.
Währenddessen holte Gunter Czisch in seinem Besprechungszimmer, nur wenige Meter entfernt, also den Schnaps raus. "Den Kummer ertränken", erinnert sich Ralf Milde. Neben dem Stadtrat waren auch Czischs Parteikollege Manuel Hagel, CDU-Fraktionschef im Landtag, dabei, und Lena Schwelling. Die Landeschefin der Grünen und Ulmer Stadträtin war bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden. Alle waren sie betroffen, erinnert sich FDP-Mann Milde. Geredet wurde nicht viel.
Stadt Ulm steht finanziell gut da
Nur einer war äußerlich gefasst: Gunter Czisch. Acht Jahre zuvor hatte er noch überraschend gleich im ersten Wahlgang gewonnen. Seitdem hat er sich keine großen Schnitzer im Amt geleistet, die Stadt steht finanziell glänzend da: niedrigste Verschuldung seit 1990, Investitionen auf Rekordniveau. Das Fundament dafür legte unter anderem: Gunter Czisch. Er war zuvor 16 Jahre lang Finanzbürgermeister der Stadt.
So kommt man recht schnell zu der Frage, wie es zu der Niederlage kommen konnte? "Eingeschnappt, verletzt und verwundet" sei Gunter Czisch nach der Wahl gewesen, sagt ein Vertrauter. Aber nachdem Schnaps und Schock verdaut waren, hat Czisch höchstselbst analysiert. "Warum soll ich das jemanden machen lassen, das kann ich selbst", sagt er bei einem Treffen in seinem Besprechungszimmer im Rathaus und legt drei Blätter auf den dunklen Holztisch. Aus den Wahlergebnissen der vergangenen Bundestagswahlen und dem Resultat der Oberbürgermeisterwahl hat Gunter Czisch Diagramme mit bunten Balken und Kurven erstellt, die das Unerklärliche erklären sollen.
Erkenntnisse zum Wahlergebnis Was die Zahlen über die OB-Wahl in Ulm verraten
Ulm überrascht bei seiner OB-Wahl mit dem Ergebnis: Amtsinhaber Gunter Czisch holt zwar die meisten Stimmen. Für eine Wiederwahl reicht es im ersten Wahlgang aber nicht. Eine Analyse der Zahlen.
Czisch hat Wahlniederlage selbst analysiert
Während in seinem Büro nebenan bereits die gepackten Umzugskisten stehen, referiert Czisch in einer knappen halben Stunde, was da aus seiner Sicht schief gelaufen ist. Wie er sich dagegen in den Tagen nach der verlorenen Wahl gefühlt hat, darüber will er nicht sprechen. Lieber die Analyse. Verkürzt dargestellt: Es sei eine Parteienwahl gewesen - und anders als bei OB-Wahlen üblich keine Persönlichkeitswahl. Und tatsächlich, die Kurven zeigen: Das Wahlergebnis deckt sich im Wesentlichen mit dem der letzten Bundestagswahl.
These zwei umschreibt er mit den Worten "g'mäht's Wiesle". Einige seiner potentiellen Wähler hätten geglaubt: 'Der schafft's ja sowieso' und seien deshalb nicht zur Wahl gegangen. These drei: Aus dem früher üblichen Amtsbonus sei heutzutage ein Amtsmalus geworden. "Seine Erfolge" kämen nicht mehr so bei der Bürgerschaft an, stattdessen seien viele mit den Regierenden einfach unzufrieden. So analysiert es Czisch.
Czisch "fehlt das Visionäre"
Aber wie sehen es andere? Anruf bei Ralf Milde, seit 20 Jahren FDP-Stadtrat, der sein Herz auf der Zunge trägt und Czisch seit einem Vierteljahrhundert kennt und schätzt. Aber: "Der ist durch und durch Verwaltung, ihm fehlt das Visionäre, mal ein Zeichen zu setzen". Die Menschen wollten nach 16 Jahren Finanzbürgermeister und acht Jahren Oberbürgermeister Czisch mal ein anderes Gesicht. Jemanden, der mehr zuhört und selbst weniger redet, der volksnah ist, Typ Ivo Gönner. Zugegeben: Die Nachfolge des Ulmer Übervaters anzutreten wäre für jeden schwierig gewesen.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Ulmer Gemeinderat, Thomas Kienle, findet, Czisch hätte seine Erfolge schon im Wahlkampf besser darstellen sollen. Seine Projekte, die finanzielle Ausstattung der Stadt, seine weit verzweigten Netzwerke in Wirtschaft und Politik.
Ansbacher vor großer Herausforderung
Jetzt muss Martin Ansbacher ran. Der anders als Czisch weder unbedingt das Amt wollte, noch ernsthaft damit gerechnet hat, die Wahl tatsächlich zu gewinnen. Er sei "wie die Jungfrau zum Kinde" dazu gekommen, sagt Milde. Eine "Strategie, wo die Stadt hin soll oder eine eigene Vision" habe er noch nicht, meint Kienle.
Trotzdem trauen sie es ihm alle zu. Der Jurist Ansbacher könne schnell lernen und habe einen guten Draht zu den Menschen. Ein "zuverlässiger Typ, integer, angenehm" sei der 47-Jährige. So sehr, dass ihm Ralf Milde sogar "einen Gebrauchtwagen abkaufen" würde, wie er scherzhaft sagt.
Wie sich sein Nachfolger schlägt, wird Czisch sicherlich beobachten. Er sei mit sich im Reinen, deutlich zu spüren war das bei seiner offiziellen Verabschiedung am Montag. Er wirkte entspannt, gelöst und fast schon staatsmännisch. Über die Niederlage sei er inzwischen hinweg, sagen auch einige aus dem Gemeinderat. Doch seine Aufgaben als Stadtoberhaupt habe er pflichtbewusst zu Ende gebracht, auch wenn die letzte Gemeinderatssitzung unter seiner Leitung nur exakt 16 Minuten gedauert hat. "Was bringen jetzt noch lange Debatten?", sagte er danach. Stattdessen gab die CDU-Fraktion Grappa für alle aus.
Und dann war da noch die Sache mit der Amtskette, die der scheidende Oberbürgermeister Ulms traditionell bei der Vereidigung seinem Nachfolger umhängt. Czisch wollte das zunächst nicht, nach Gesprächen mit der Bürgerschaft und auf Drängen des Gemeinderats entschied er sich schließlich doch zu kommen.
Es wird seine letzte Amtshandlung sein. Am Freitag geht es zum Skifahren. Er freue sich auf die "Freiheit, das zu machen, was mir Spaß macht". Ohne das Handy als ständigen Begleiter, ohne 80-Stunden-Woche. Ein politisches Comeback? "Ob ich mir das nochmal antue, ist ziemlich unwahrscheinlich."