Wie konnte Andreas R. eine so steile Karriere bei der Polizei hinlegen? Selbst die Regierungsparteien sprechen mittlerweile von "Machtmissbrauch" und einem "dysfunktionalen System".
Tricksereien bei Stellenvergaben, Vetternwirtschaft, Drohanrufe bei möglichen "Nestbeschmutzern" - Spitzenbeamte haben im Untersuchungsausschuss im Landtag von gravierenden Missständen im Beförderungssystem der baden-württembergischen Polizeispitze berichtet. In der Polizei-Affäre gerät in der Folge das CDU-geführte Innenministerium nun auch aus den Reihen der grün-schwarzen Koalition massiv unter Druck.
Grüne sprechen von Machtmissbrauch, selbst CDU sieht "weiten Weg"
Denn: Die jüngste Sitzung des Untersuchungssauschusses hat aus Sicht des Grünen-Obmanns Oliver Hildenbrand besorgniserregende Missstände bei der Beförderungspraxis bei der Polizei offengelegt. "Das strukturelle Problem heißt Machtmissbrauch", sagte Hildenbrand am späten Montagabend in Stuttgart. Für ihn sehe es so aus, dass bei der Polizei "eine kleine Clique" ihre Personalpläne rücksichtslos verfolge. Es sei schockierend zu sehen, wie sich "Mechanismen von Mauschelei und Klüngelei auswirken auf das System Polizei". Kaum jemand traue sich etwas dagegen zu sagen, es gebe eine "Schweigespirale".
Zuvor hatten der frühere LKA-Chef Ralf Michelfelder und der Karlsruher Polizei-Vizepräsident Hans Matheis als Zeugen von Willkür und Tricksereien bei Beurteilung und Beförderung berichtet. Die CDU-Obfrau Christiane Staab sagte danach, die Aussagen hätten gezeigt, dass das System "dysfunktional" sei. Das äußere sich in "Machtmissbrauch". Die geltenden Auswahlkriterien seien eigenmächtig "durch andere ergänzt worden". Sie sieht wie Hildenbrand großen Reformbedarf: "Wir brauchen ein System, in dem miteinander gesprochen wird." Staab räumte aber ein: "Das wird ein weiter Weg."
Polizei-Inspekteur: Bewerber zum Rückzug gedrängt?
Im Zentrum der Vorwürfe steht der aktuell freigestellte Inspekteur der Polizei, Andreas R., der derzeit wegen sexueller Nötigung einer jüngeren Kollegin vor Gericht steht. Er soll nach der eigenen Blitz-Beförderung ihm genehme Kandidatinnen und Kandidaten auf höhere Posten gehievt haben - ohne Rücksicht auf Beurteilungen oder Ausschreibungen zu nehmen. Unliebsame Aspiranten mit besseren Beurteilungen wurden den Aussagen zufolge hingegen dazu gedrängt, ihre Bewerbungen zurückzuziehen. Der Ausschuss beschäftigt sich mit sexueller Belästigung in Landesbehörden und der Beförderungspraxis bei der Polizei. Das Gremium soll klären, wie der inzwischen freigestellte Inspekteur so schnell Karriere machen konnte.
Karlsruher Polizei-Vizepräsident beklagt "Missbrauch meiner Loyalität"
Der Karlsruher Polizeivizepräsident, Hans Matheis, wurde am Montag im Ausschuss befragt, weil er 2019 der Gegenkandidat von Andreas R. im Rennen um den Posten des LKA-Vizepräsidenten war. Der langjährige Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt sagte, es sei ein "herber Schlag" für ihn gewesen, dass Andreas R. den Vorzug vor ihm bekommen habe. Dabei habe er bessere Beurteilungen gehabt. Diese habe er sich mit vielen Entbehrungen verdient. "Und dann wird jemand einfach so schwuppdiwupp vorbeigeschoben", kritisierte Matheis.
Er widersprach auch der Aussage des früheren Inspekteurs der Polizei, Detlef Werner, er habe sich im Verlauf des Verfahrens umentschieden und sich auf den Posten des Karlsruher Vize-Chefs orientiert. "Das stimmt einfach nicht." Er widersprach damit auch der Darstellung des Regierungsberichts. Seine klare Priorität sei es gewesen, LKA-Vize zu werden. Er habe die Absage aber schließlich akzeptiert, auch aus Sorge, dass er Nachteile erleiden könnte. "Im Nachhinein betrachte ich es als Missbrauch meiner Loyalität. Ich hätte LKA-Vize werden müssen." Karlsruhe sei für ihn ein Abstieg gewesen. "Ich bin mir vorgekommen, als ob ich von der internationalen, nationalen Bühne in die Regionalliga verschoben worden bin."
Matheis: Drohung mit früherer Pensionierung bei Widerstand
Später habe er sich auf die Posten des LKA-Chefs und des Landespolizeidirektors beworben. Daraufhin habe ihn der damals neue Inspekteur Andreas R. angerufen und gesagt: "Du hast auf beides keine Chance." Er habe ihn aufgefordert, seine Bewerbungen zurückzuziehen. "Da ist verbal Druck aufgebaut worden", erklärte Matheis im Ausschuss. Ihm sei gedroht worden, ihn früher in Pension zu schicken, was deutlich weniger Ruhegehalt bedeutet hätte.
Auf die Frage, warum er sich nicht rechtlich dagegen zur Wehr gesetzt habe, sagte Matheis, er wisse von mehreren Fällen dieser Art bei der Polizei. Und wenn man sich wehre, werde man als "Nestbeschmutzer" dargestellt. Auch habe er keinen Sinn darin gesehen, sich bei Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz zu beschweren. Er sei immer davon ausgegangen, dass Andreas R. nicht "selbstherrlich" entscheide, sondern alles abgesprochen sei. Am Ende habe er auch hier eingelenkt: "Ich nenne es für mich Sozialhygiene, ich will ja nicht in noch mehr Schwierigkeiten reinkommen."
Ex-Vorgesetzter von Andreas R. berichtet von Kungelei
Auch der ehemalige Präsident des Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder, wurde am Montag erneut im Ausschuss befragt. Vor seiner Ernennung zum höchsten Polizeibeamten des Landes war der Inspekteur Vizepräsident des Landeskriminalamts - und damit Stellvertreter von Michelfelder. Im Ausschuss hatten sich viele Zeuginnen und Zeugen aus der Polizeispitze positiv über den Inspekteur geäußert. Nicht so Michelfelder: Der Ex-LKA-Chef stellte den heute 50-Jährigen am Montag erneut als völlige Fehlbesetzung dar, mit zu geringer operativer Erfahrung, ohne internationales Netzwerk. Die Beförderung des Mannes zum LKA-Vize sei ein "Sicherheitsrisiko" gewesen.
Der ehemalige LKA-Präsident Michelfelder berichtete zudem, dass Andreas R. im Frühjahr 2021 einen Kollegen als Abteilungsleiter im Landeskriminalamt installiert habe - und zwar ganz ohne Ausschreibung. Dabei habe es zu der Zeit einen Interessenten aus seinem eigenen Haus auf die Stelle gegeben - der Mann sei nicht berücksichtigt worden. Michelfelder, damals kurz vor dem Ruhestand, erzählte, dass er gegen diese Besetzung protestiert und dem Inspekteur sogar mit dem Hausrecht gedroht habe. "Den könnt ihr besetzen, aber ich lass den nicht rein", habe er ihm damals gesagt. Die Versetzung sei dann verschoben worden, bis er mehrere Wochen später selbst in den Ruhestand gegangen sei, so Michelfelder.
Michelfelder kritisierte außerdem, dass sowohl der spätere Inspekteur als auch dessen Frau damals zur gleichen Zeit beim Landeskriminalamt tätig waren. Er habe damals gegenüber dem Landeskriminaldirektor vorgeschlagen, die Ehefrau auf eine andere Dienststelle zu versetzen - aber keine Reaktion erhalten.
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Politiker im Polizei-U-Ausschuss zeigen sich schockiert
Die Aussagen der hochrangigen Polizeibeamten Michelfelder und Matheis hätten ihn schockiert, sagte der Grünen-Innenpolitiker Oliver Hildenbrand nach der 14-stündigen Sitzung am Montag. Es gebe offenbar eine kleine Clique mit einem großen Plan, was Stellenbesetzungen angehe, so Hildenbrand - und der Plan werde rücksichtslos durchgesetzt. Die strukturellen Missstände müssten beleuchtet werden. "So wie es ist, kann es nicht bleiben." Die Kultur in der Polizei müsse geändert werden, so dass die Leute den Mut hätten, sich zu Wort zu melden.
"Leute, die den Mund aufmachen, werden geächtet", bilanzierte SPD-Innenpolitiker Sascha Binder. "Das zeigt, dass in der Führung der Polizei nichts mehr richtig läuft und mit einem System der Angst gearbeitet wird gegen Polizeibeamte, die einen eigenen Kopf haben." Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) müsse ein Machtwort sprechen.
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FDP-Obfrau Julia Goll sprach vom Einsatz "geradezu krimineller Methoden". Es gehe nicht an, wie Andreas R. Personalpolitik betrieben habe. "Das sind offensichtlich Rechtsbrüche." Sie forderte Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf, das Disziplinarverfahren unabhängig vom baldigen Ausgang des Gerichtsverfahren gegen Andreas R. unmittelbar wieder aufzunehmen. Was Matheis beschrieben habe, müsse schnellstens aufgeklärt werden. Hans-Jürgen Goßner, der die AfD im Ausschuss vertritt, sprach mit Blick auf Verstrickungen der CDU mit den höchsten Polizeikreisen gar von "Clanstrukturen". Die Abgründe würden in jeder Sitzung tiefer, so Goßner.
Die nächste öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses soll am 29. September stattfinden.
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