Ein Psychotherapeut der Uniklinik Tübingen soll seine Patientin einmal vergewaltigt und 52 Mal sexuell missbraucht haben. Am Dienstag wurde der Fall vor dem Gericht verhandelt.
Mehr als ein halbes Jahr (zwischen 2020 und 2021) soll es laut Staatsanwaltschaft Tübingen sexuellen Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patientin an der Uniklinik Tübingen gegeben haben. Der Psychotherapeut soll sein Behandlungsverhältnis und damit die Abhängigkeit seiner Patientin zu ihm ausgenutzt haben. Zwar soll der sexuelle Kontakt (in den 52 Fällen) einvernehmlich gewesen sein, jedoch ist dieser generell innerhalb eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses strafrechtlich verboten.
Das Schöffengericht in Tübingen begann am Dienstag mit der Verhandlung. Die betroffene Mitte 30-jährige Frau tritt als Nebenklägerin im Prozess auf. Sie war wegen einer komplexen Persönlichkeitsstörung immer wieder zur Behandlung an der Uniklinik Tübingen, seit Sommer 2020 dann zu einer ambulanten Behandlung beim betreffenden Therapeuten.
Versucht Uniklinik Tübingen den Fall zu vertuschen?
Laut dem Rechtsanwalt der Betroffenen, Christian Laue, hat sich die Uniklinik bislang seiner Mandantin und ihm gegenüber abweisend verhalten. Die Betroffene habe den Fall erst mit der Uniklinik selbst lösen wollen, so Laue. Dort habe man ihr aber gesagt, wenn sie Anzeige erstatte, gebe es kein Gespräch und auch keine weiteren Behandlungsmöglichkeiten mehr. Daraufhin wandte sie sich an den Ethikverein, der sich mit solchen Fällen beschäftigt.
Christian Laue über das Dilemma, in dem sich die Betroffene befand:
Uniklinik äußert sich nicht zum Fall
Die Uniklinik Tübingen selbst äußert sich nicht zum laufenden Verfahren. Sie verweist auf SWR-Anfrage auf ihr Schutzkonzept. Seit November 2023 soll es das geben. Darin ist aufgeführt, an welchen Stellen das Thema Grenzverletzungen in der Weiterbildung auftaucht. Außerdem werde in der Supervision und in Mitarbeitergesprächen mit der Leitung überwacht, dass so etwas wie sexueller Missbrauch nicht passiert. In dem Schutzkonzept findet man außerdem Stellen, an die sich Patientinnen und Patienten wenden können, wenn sie Grenzverletzungen erlebt haben, zum Beispiel die Patientenfürsprecher. Generell lege die Klinik "großen Wert auf ein Klima der Achtsamkeit".
Doch im Schutzkonzept steht auch:
Politik involviert: Ministerium sieht keinen Handlungsbedarf
Die Betroffene wandte sich vor einiger Zeit auch an die Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke (SPD). Diese stellte daraufhin einen Antrag an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Darin fordert sie eine Aufklärung über Schutzkonzepte und Fehlermeldesysteme bei Fällen von Missbrauch an den Unikliniken. Außerdem stellte sie zur Debatte, ob (ähnlich wie im Saarland) das Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg eine Verpflichtung für Fehlermeldesysteme an Unikliniken beinhalten sollte.
Das Ministerium sieht hier jedoch keinen Handlungsbedarf, das Gesetz zu ändern. Es beruft sich auf Auskünfte der Unikliniken, wonach es durchschnittlich zwei bis vier Mal im Jahr zu Fällen von grenzverletztendem Verhalten, Missbrauch oder sexuellen Übergriffen an Unikliniken komme. Laut Ministerium haben alle Universitätskliniken etablierte Schutzkonzepte.
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