Bis 2027 soll sich das Biosphärengebiet Schwäbische Alb fast verdoppeln. In Schelklingen will eine Bürgerinitiative die Ausweisung weiterer Kernzonen aber verhindern.
Das von der UNESCO anerkannte Biosphärengebiet Schwäbische Alb dehnt sich weiter aus. Innerhalb der nächsten drei Jahre planen 22 Städte und Gemeinden, weitere Flächen in das Schutzgebiet einzubringen. Sechs Kommunen kommen neu hinzu. Auch Schelklingen (Alb-Donau-Kreis) will den Hohlen Fels und den Schmiechener See ins Biosphärengebiet bringen. Dafür werden neue Kernzonen benötigt, in denen die Natur weitgehend ungestört bleibt. Eine Bürgerinitiative aus dem Oberen Schmiechtal stemmt sich dagegen und spricht von einer Gefahr für Leib und Leben.
Bürgerinitiative: Herabstürzendes Holz lebensgefährlich
Helmut Späth holt mehrere Steinbrocken aus seinem Kofferraum, die er auf der Kreisstraße zwischen Schelklingen und Gundershofen aufgesammelt hat. Die Steine seien die steilen Abhänge hinuntergerollt, einer gegen die Dachrinne eines Gartenhäuschens geprallt. Späth ist der Ansicht: Weitere Kernzonen bereiten den kleinen, am Hang gelegenen Teilorten in den nächsten Jahrzehnten große Probleme. Er befürchtet, dass viele Bäume absterben, umkippen, Wanderwege versperren und den Hang hinabfallen. Dabei könnten sie Steine mitreißen, die auf Häuser und auf die Kreisstraße fallen. Das sei potenziell lebensgefährlich.
Der Ingenieur sitzt im Ortschaftsrat Gundershofen/Sondernach. Er hat die Initiative "Keine Erweiterung Kernzone" (KEK) ins Leben gerufen. Eine WhatsApp-Gruppe ist das, mit rund 40 Bürgerinnen und Bürgern aus Teilorten Schelklingens, deren Häuser zum Teil dicht am Hang und in unmittelbarer Nähe der geplanten Kernzone stehen. Sie haben vor dem Schelklinger Rathaus demonstriert, Flyer verteilt und in einem offenen Brief unter anderem an den Bürgermeister Bedenken geäußert. Es geht immerhin um etwa 30 Hektar (300.000 Quadratmeter) neue Kernzone.
Umwelt Zurück zur Wildnis – Rewilding für Klima- und Artenschutz
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Angst vor Steinschlag, Wolf und Borkenkäfer
Der Brief ist lang: Die Initiative beklagt Verluste von Einnahmen in der Holzwirtschaft, befürchtet die Verbreitung des Borkenkäfers und die Ansiedlung des Wolfes. Die Gebiete der Kernzone dürften mit Ausnahme eines Fußweges nicht mehr betreten werden, die Landwirtschaft und die Jagd würden stark eingeschränkt. Ähnliche Kritik gibt es auch im Allgäu und in Oberschwaben, wo neben Schwäbischer Alb und Schwarzwald ein drittes Biosphärengebiet in Baden-Württemberg geplant ist.
Späth vermutet: Die Stadt bekomme für die Ausweisung weiterer Kernzonen sogenannte "Ökopunkte", um klimaschädliche Bautätigkeiten an anderer Stelle vorantreiben zu können oder Gewinne zu machen. Davon würden sie hier im Oberen Schmiechtal aber nicht profitieren.
Was hat es mit Ökopunkten auf sich?
Das sei nicht ganz korrekt, erklärt Achim Nagel, Geschäftsführer des Biosphärengebiets Schwäbische Alb. Denn Ökopunkte gibt es nicht für Kernzonen, sondern für die Ausweisung von Bannwald. Auch Gemeinden außerhalb des Biosphärengebiets weisen Bannwälder aus, um von Ökopunkten zu profitieren. Dort gelten in etwa die gleichen Regeln wie in einer Kernzone. Die Natur bleibt sich weitgehend selbst überlassen. Möchte eine Gemeinde sowieso ins Biosphärengebiet, ergibt es Sinn, den Wald nicht nur als Kernzone, sondern auch als Bannwald auszuweisen.
Ein Ökopunkt ist 80 Cent bis einen Euro wert, vier Ökopunkte gibt es pro Quadratmeter. Mit 30 Hektar Bannwald käme die Stadt Schelklingen somit auf ein Ökopunkte-Kapital von 960.000 Euro. Die Ökopunkte lassen sich verkaufen, oder als Kompensation für Eingriffe in den Naturhaushalt einsetzen. Zum Beispiel, wenn die Stadt ein Industriegebiet baut.
Bürgermeister widerspricht der Initiative
Bürgermeister Ulrich Ruckh (parteilos) hat auf den offenen Brief reagiert und hält viele Punkte für falsch. Die geplante Kernzone bestehe vorrangig aus schwer zu bewirtschaftenden Hangflächen, schreibt er. Die Einnahmequelle durch Holz spiele dort eine eher geringe Rolle. Die Holzqualität sei ohnehin nicht sehr hoch. Vom Biosphärengebiet gehe keine Einschränkung für die Landwirtschaft aus, die es nicht auch ohne Biosphärengebiet gäbe.
Auch die Behauptungen über die Verbreitung von Wolf und Borkenkäfer stimmen nicht, schreibt er. In den Kernzonen dominiere Laubwald. Per Ausnahmeverfahren könne man weiterhin gegen den Borkenkäfer vorgehen, sollte sich der Käfer in Privatwäldern ausbreiten. Dass der Wolf seit 2015 wieder in Baden-Württemberg gesichtet wurde, sei nicht auf eine Kernzone zurückzuführen.
Was steckt hinter der Idee der Biosphärengebiete? Darüber hat SWR Aktuell Baden-Württemberg am 19. April 2024 im SWR Fernsehen berichtet:
Sicherheit in der Kernzone gewährleistet?
Die Darstellung von lebensgefährlich herabstürzendem Totholz nennt Ruckh "stark polarisierend". Auch in Kernzonen werde für die Sicherheit von Menschen, Siedlungen und Straßen gesorgt. Gerade werde darüber abgestimmt, bestehende Kernzonen an Siedlungen 30 Meter nach hinten zu verlegen, um das Gelände einfacher sichern zu können.
Der Stadt seien bisher nur Fälle von abgerutschten Bäumen und Steinen bekannt, die in Verbindung mit der Holzernte oder einer Schaf- und Ziegenbeweidung standen. Helmut Späth von der Bürgerinitiative KEK widerspricht: Ein zwölf Meter langer Totholzstamm sei aus der bestehenden Kernzone abgerutscht, über die Kreisstraße gerollt und erst im Netz des Sportplatzes zum Stehen gekommen. Er deutet auf ein Drahtgitternetz am Sportplatz, das eingedellt ist.
Diskussion um umgekippten Baum
Mit den Antworten des Schelklinger Bürgermeisters sind Helmut Späth und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht zufrieden. Sie haben zahlreiche Anmerkungen zurückgeschickt. Späth ist frustriert darüber, dass ein umgekippter Baum auf einem ausgewiesenen Biosphären-Wanderweg durch eine der bereits bestehenden Kernzonen fünf Monate lang liegengeblieben sei. Drei Menschen seien gestürzt. Ein Mann habe sich das Nasenbein gebrochen, eine Frau sehr schwerverletzt ins Krankenhaus geflogen worden.
Allerdings sieht die Verordnung des Biosphärengebiets in einer Kernzone auch die Verkehrssicherung an Wegen und den Außenrändern des Schutzgebiets vor.
Wie lange ein Baum auf einem Wanderweg liegt, habe in erster Linie mit den örtlichen Gegebenheiten zu tun, sagt Achim Nagel. Gehört der Wald dem Land, ist ForstBW zuständig, bei Kommunalwald das Kreisforstamt. Sei der Förster zum Beispiel krank, oder Bürger meldeten den Baum erst nicht, liegt er dort ein Weilchen länger. Ein gewisses Lebensrisiko gehe man nun mal ein, wenn man in den Wald läuft, sagt Nagel.
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