Immer mehr Türken verlassen ihre Heimat

Geflüchtete aus der Türkei: Warum kommen sie, welche Chancen haben sie?

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Fabian Ziehe
Fabian Ziehe
Thomas Fritzmann
Thomas Fritzmann

Derzeit kommen immer mehr Geflüchtete aus der Türkei, auch in die Region Stuttgart. In Fellbach wurde ein ehemaliges Fabrik-Areal zur Unterkunft - die meisten Bewohner sind Menschen aus der Türkei.

Das repressive Regime, die Gewalt in den Kurden-Gebieten, das verheerende Erdbeben in der Grenzregion zu Syrien und zudem noch hohe Inflation und Arbeitslosigkeit: Viele Menschen aus der Türkei haben sich in den vergangenen Monaten auf den Weg gemacht in die EU. Auch in der Region Stuttgart kommen immer mehr Asylbewerber und -bewerberinnen aus der Türkei an.

In Deutschland machen sie nach den Geflüchteten aus Syrien mittlerweile die zweitgrößte Gruppe in der Asyl-Statistik aus: Über 45.000 Menschen aus der Türkei zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwischen Januar und Oktober. Die Zahlen sind in den vergangenen drei Monaten kontinuierlich gestiegen. Auch insgesamt in Baden-Württemberg macht sich das bemerkbar:

Viele der Geflüchteten aus der Türkei sind Kurden

In Fellbach (Rems-Murr-Kreis), fast schon an der Stadtgrenze zu Stuttgart-Bad Cannstatt, sieht man die Auswirkungen der Fluchtbewegung aus der Türkei: Derzeit seien laut Landratsamt 27 Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner in den Unterkünften des Kreises türkische Staatsbürgerinnen und -bürger.

Es gibt auch neue Unterkünfte: Den Verwaltungstrakt des früheren Herion-Werks beispielsweise nutzt der Kreis seit ein paar Monaten zur Unterbringung Geflüchteter. Von den maximal 240 Plätzen dort sind mehr als 200 belegt. Die größte Bewohnergruppe kommt dabei aus der Türkei; wiederum rund drei Viertel dieser Gruppe sind türkische Kurden.

Eine Unterkuft des Rems-Murr-Kreises auf dem Herion-Areal in Fellbach.
Eine Unterkuft des Rems-Murr-Kreises auf dem Herion-Areal in Fellbach: Die größte Bewohnergruppe dort sind derzeit Menschen aus der Türkei.

Flucht nach Deutschland, Hoffnung auf besseres Leben

Einer von ihnen: der 37-jährige Adem Aykan. Er kommt aus Istanbul, seine Familie stammt aus den Kurden-Gebieten an der Grenze zum Irak. Aykan will hier, endlich in einem demokratischen Land, sein Glück machen, seine "akademischen Lücken" füllen. Deutsch spricht er noch nicht, obwohl er seit zehn Monaten in Deutschland ist. Das Angebot an Sprachkursen kommt dem Bedarf nicht hinterher.

Dabei sind Sprache, Ausbildung und Arbeitsplatz der wahrscheinlichste Weg, um in Deutschland bleiben zu können. Trotz der angespannten Lage in der Türkei erhalten aktuell nur 14,4 Prozent der Geflüchteten aus der Türkei Asyl. Das ist laut Einschätzung des Landkreises eine sehr geringe Bleibeperspektive. Für Asylbewerberinnen und -bewerber, die geduldet sind, bleibt dann nur die Chance auf einen Job oder eine Ausbildung, um ein Bleiberecht in Deutschland zu erlangen.

70 Prozent der Antragsteller auf Asyl im Kreis sind Türken

Momentan sind im Rems-Murr-Kreis 602 geflüchtete Menschen aus der Türkei gemeldet. Laut Auskunft des Landratsamtes kamen etwas mehr als 200 von ihnen aber schon 2022. Bei den aktuellen Neuzuweisungen von Geflüchteten auf die Landkreise seien 70 Prozent der Antragsteller und -stellerinnen türkische Staatsangehörige, so eine Sprecherin des Landkreises.

Sozialarbeiter Bastian Gasch (rechts) berät in der Flüchtlingsunterkunft in Fellbach den türkischstämmigen Kurden Adem Aykan.
Sozialarbeiter Bastian Gasch (rechts) berät in der Flüchtlingsunterkunft in Fellbach den türkischstämmigen Kurden Adem Aykan.

Wenig Betreuer für viele geflüchtete Menschen

Sozialarbeiter Bastian Gasch von der Caritas versucht, neben Beratung im Alltäglichen und Verwaltungstechnischen auch da etwas zu bewegen. Allerdings stößt er schnell an Grenzen. "Der Mitarbeiterschlüssel ist 1 zu 90. Weil so viele so schnell kommen, kann man vieles nur anstoßen", sagt Gasch. Immerhin: Einen Bewohner hätten sie kürzlich zur Freiwilligen Feuerwehr vermitteln können. Kleine Erfolge.

Schlimme Erfahrungen bei Flucht über die Balkanroute

Viele der Menschen aus der Türkei sind über die Balkanroute gekommen, auch Adem Aykan. Schleuser hatten ihm versichert, ihn für viel Geld direkt nach Deutschland zu bringen. "Sie haben mich nach Serbien gebracht. Ich bin tagelang durch einen Wald geirrt. Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht", sagt Aykan.

Er nimmt es hin, hadert nicht über die schlechten Flucht-Erfahrungen, will nach vorne schauen: "Jetzt bin ich ja hier." In der Türkei habe er als Demonstrant die Gewalt der Polizei erfahren, als er gegen die Entlassung regimekritischer Lehrer und Lehrerinnen protestiert habe. Aykans größter Wunsch: Er möchte friedlich in einem demokratischen Land leben.

Schwierige Situation für Geflüchtete aus der Türkei

Die Chancen dazu: ungewiss. Zumal generell die Geflüchteten-Zahlen in Deutschland steigen und Migrantinnen und Migranten ein rauer gesellschaftlicher Wind entgegenschlägt. Zudem gibt es viele Geflüchtete aus der Ukraine, die es momentan leichter haben, in Deutschland Fuß zu fassen.

Schuhe auf den Korridoren der Flüchtlingsunterkunft in Fellbach
Schuhe auf den langen Korridoren der Flüchtlingsunterkunft vor jedem Zimmer: Die Einrichtung auf dem Herion-Areal ist fast voll belegt.

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