Syrerinnen und Syrer feiern den Sturz des Regimes und schon beginnt die politische Debatte um Rückführungen. Yasser Essa aus Stuttgart erzählt, wie er die letzten Tage erlebt hat.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag haben Rebellen die Assad-Regierung in Syrien gestürzt, seitdem überschlagen sich die Nachrichten. Yasser Essa ist vor knapp zehn Jahren von Syrien nach Deutschland gekommen. In seinem alten Heimatland hat er als Journalist gearbeitet - bis ihm das nicht mehr möglich war. Hier ist er Regionalkoordinator des Vereins "Start with a friend", der Menschen, die neu in Deutschland sind, einen ersten lokalen Anschluss vermittelt. Die vergangenen Tage waren aufreibend für ihn.
SWR: Seit Sonntag schaut die Welt gebannt nach Syrien. Für Sie ist die aktuelle Situation wahrscheinlich besonders emotional. Können Sie uns beschreiben, wie Sie die letzten Tage erlebt haben?
Yasser Essa: Ich konnte nicht mehr schlafen und mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich habe nur noch Nachrichten geguckt. Und meine Gefühle waren sehr gemischt. Ich habe immer davon geträumt, dass dieses Regime gestürzt wird - aber nicht von so radikalen Kräften. Jetzt habe ich Angst, dass die religiösen Minderheiten in Syrien angegriffen werden. Die Religion sollte keine Rolle spielen, genauso wenig wie Rache. Stabilität und Frieden herrscht erst dann, wenn man die anderen akzeptiert. Ich hoffe, Syrien hat aus dem Krieg gelernt.
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Das heißt, der Sturz der Assad-Regierung ist nicht nur Grund zur Freude, sondern es schwingt auch die Sorge mit, wie es jetzt weiter geht?
Genau. Aber der Sturz von Assad war notwendig, für die Gerechtigkeit und die Menschlichkeit. Er war ein Diktator, der das ganze Volk direkt oder indirekt gefoltert hat.
Es wurde viel gefeiert - auch hier bei uns in Stuttgart haben sich viel Syrerinnen und Syrer über die Nachrichten aus ihrem Heimatland gefreut. Gleichzeitig wurden die Entscheidungen um offene Asylanträge in Deutschland erstmal auf Eis gelegt und in der Politik wird schon über die Rückkehr der Geflüchteten diskutiert. Wie schauen Sie auf die Debatte?
Ich finde, es ist zu früh über eine Rückkehr nach Syrien zu diskutieren. Man sollte erst gucken, ob sich die Lage stabilisiert und ob es wirklich sicher ist - das ist alles noch unklar. Außerdem sollte man genau gucken: Warum sind die Menschen geflüchtet? Jeder hat einen eigenen Grund. Für viele war das Regime das Hauptproblem, aber für manche war die Mentalität das Problem. Sie können sich an so einem Ort nicht anpassen und haben das Gefühl, immer eine Randgruppe zu sein. Sie werden nicht anerkannt. Der Diktator ist zwar jetzt gestürzt, aber die ganze Struktur muss sich verändern, damit man in Syrien frei leben kann.
Sie sind 2015 nach Deutschland gekommen. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Ihr Heimatland Syrien zu verlassen?
Mein Wunsch zu fliehen kam das erste Mal auf, als ich die Repressionsstrukturen des Regimes zu spüren bekommen habe und nicht dagegen ankämpfen konnte. Eine Beziehung ohne Ehe ist verboten, oft darf man seinen Partner oder seine Partnerin auch nicht selbst auswählen. Es gibt eine religiöse Struktur, das Personenstandsrecht (Anm. d. Red.: zuständig u.a. für Eheschließungen) basiert auf der Scharia, es gibt keine Zivilgesetze. Menschen ohne Religion, wie ich, werden nicht berücksichtigt.
Arbeitsplätze sind oft nur dann zugänglich, wenn man die richtigen Leute kennt. Ich wollte Journalist werden und die Menschen dafür sensibilisieren - aber frei zu arbeiten war nicht möglich. Irgendwann gab es nur noch diese Optionen für mich: ein Teil des Regimes werden, im Gefängnis oder Grab landen oder ins Ausland fliehen.
Könnten Sie sich vorstellen, nach Syrien zurückzukehren?
Nein, das kann ich nicht.
Sie sind Journalist - wenn Sie jetzt zurückkehren würden, wäre es sicher für Sie?
Nein, überhaupt nicht - frei zu Schreiben wäre nicht möglich. Vielleicht kann ich irgendwann aus der Ferne wieder als Journalist arbeiten.
In Deutschland haben Sie sich aktiv dagegen entschieden, weiter als Journalist zu arbeiten. Warum?
Zum einen war die Sprachbarriere am Anfang zu groß. Zum anderen - und das war der entscheidende Grund - hätte ich meine Verwandten in Syrien damit in Gefahr gebracht.
Sie sind seit fast zehn Jahren in Deutschland und haben mittlerweile auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Rückführung nach Syrien würde Sie zum Beispiel nicht betreffen - auf dem Papier sind Sie ein freier Bürger. Würden Sie sich als frei bezeichnen?
Nein. Ich würde mich - unabhängig von einem Ort - erst dann als frei bezeichnen, wenn ich als Mensch und nicht als Dokument gesehen werde. Ich fühle mich immer noch betroffen, wenn ich die politischen Debatten um Geflüchtete höre. Dabei ist Flucht keine Eigenschaft, sondern eine Erfahrung. Ich bin ein Mensch, der fliehen musste und kein Flüchtling. Das ist ein Unterschied.
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