Die Stadtverwaltung will die objektive und subjektive Sicherheit in Stuttgart verbessern. Doch nur fünf von elf Maßnahmen kann sie selbst umsetzen. Einige Forderungen sind alt.
Nach den jüngsten Messerangriffen in Stuttgart, Mannheim und Solingen hat die Stadt Stuttgart Anfang September den sogenannten "11-Punkte-Plan" vorgestellt. Damit setzen sich Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) und Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) zum Ziel, dass sich die Stuttgarterinnen und Stuttgarter sicherer fühlen. Aber nicht alle Vorschläge und Forderungen sind neu, und bei einigen ist es noch vage, wie sie umgesetzt werden sollen oder könnten. Bei mehr als der Hälfte der Punkte kann die Stadt auch nicht selbst handeln.
- Mehr Videoüberwachung
- Ausweitung der Waffenverbotszone
- Mehr Polizeipräsenz und -kontrollen
- Aufklärungskampagne für Geflüchtete
- Waffentrageverbot für Intensivstraftäter
- Vernetzung der Behörden
- Anlasslose Kontrollen
- Kein "Straftatentourismus"
- Abschiebung von Straftätern erleichtern
- Kein Schutzstatus für Straftäter
- Durchsetzung Dublin-Verordnung
"11-Punkte-Plan" von OB und Ordnungsbürgermeister Nach Messerangriffen: Vorschläge aus Stuttgart für mehr Sicherheit
Die Stadt Stuttgart will die subjektive und objektive Sicherheit mit einem "11-Punkte-Plan" verbessern. Im Fokus steht, mehr Messergewalt zu verhindern.
Die folgenden fünf Punkte kann die Stuttgarter Stadtverwaltung selbst umsetzen.
Ausweitung der Videoüberwachung in der Innenstadt
Der Stadtverwaltung schwebt vor allem die Einführung einer mobilen Videoüberwachung zur Bekämpfung temporärer, lokaler Brennpunkte vor. Das könnte ein Anhänger sein, der mobil abgestellt werden kann. Zu bestimmten Uhrzeiten würde er dann aktiviert, so dass die Polizei in Echtzeit das Gelände überwachen und schnell reagieren könnte.
Als Reaktion auf die sogenannte Krawallnacht im Juni 2020 gibt es bereits seit Frühsommer 2022 Videoüberwachung in der Stuttgarter Innenstadt. Eine Ausweitung ist schon länger im Gespräch. Entscheiden könnte das der Oberbürgermeister. Wenn mehr Geld gebraucht wird - beispielsweise für mehr Videokameras - müsste der Gemeinderat entscheiden, ebenso über den Zeitraum erweiterter Videoüberwachung.
Räumliche und zeitliche Ausweitung der Waffenverbotszone
Seit 3. Februar 2023 gibt es in der Stuttgarter Innenstadt Waffenverbotszonen, die jeweils am Wochenende zu bestimmten Uhrzeiten gelten. Zusätzlich zu anderen Verboten im Waffengesetz sind dort vor allem Messer mit einer Klingenlänge von über vier Zentimeter nicht erlaubt. Die entsprechende Verordnung war zunächst auf zwei Jahre begrenzt, das Landeskabinett beschloss nun aber eine unbefristete Verlängerung der Waffen- und Messerverbotszonen im Land.
Für das Weindorf 2024 hatte die Stadt Stuttgart eine ergänzende Verordnung erlassen, mit der die entsprechende Zone vorübergehend ausgedehnt wurde. Waffenverbotszonen gibt es auch in anderen Städten und Bundesländern. Die bisherigen Erfahrungen damit sind aber uneinheitlich.
Mehr Polizeipräsenz und -kontrollen an Brennpunkten
Im "11-Punkte-Plan" wünscht sich die Stadt mehr gemeinsame Streifen der Landespolizei, des städtischen Vollzugsdienstes sowie gegebenenfalls der Bundespolizei. Das vermittle Sicherheit, die Menschen wüssten, dass jemand da sei und gegebenenfalls auch eingreifen könne. Dazu brauche man aber zusätzliches Personal, man sei diesbezüglich mit der Polizei im Gespräch, so Ordnungsbürgermeister Maier. Das Innenministerium hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, die baden-württembergische Polizei würde ihr Personal in den kommenden Jahren aufstocken.
Eine Aufklärungskampagne in Unterkünften für Geflüchtete
Diese Kampagne soll vermitteln, dass in Stuttgart Waffen "nicht zur Grundausstattung eines Stadtbesuches gehören", so Ordnungsbürgermeister Maier. Er denkt unter anderem an mehrsprachige Flyer, Plakate und Infos über Social Media. Es soll Verständnis geschaffen werden für die Regeln, die in Deutschland gelten. Die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat fordern, sich nicht nur auf Geflüchtete zu fokussieren.
Das Anliegen sei aber richtig. "Die Bedrohungslage speziell bei Messerdelikten ist ernst", sagt ihr Fraktionsvorsitzender Björn Peterhoff. Deswegen habe die Fraktion nach Veröffentlichung des Kriminalitätsberichts im Frühjahr auch einen Antrag gestellt, um Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen voranzutreiben. Einige Punkte des Plans des Stuttgarter Oberbürgermeisters und des Ordnungsbürgermeisters seien darin schon enthalten.
Persönliches Waffentrageverbot für Intensivstraftäter
Wer schon als Intensivtäter aktenkundig ist, soll künftig überhaupt keine gefährlichen Gegenstände mehr mit sich führen dürfen. Ein solches Verbot kann die Stadt bereits jetzt aussprechen. Die Stadt hofft auf eine präventive Wirkung.
Viele Intensivtäter fielen schon im Vorfeld durch niederschwellige Delikte auf. Man wolle diesen Menschen schon früh vermitteln, dass man sie im Blick habe. Einer der Verdächtigen des Messerangriffs Ende Juli auf der Stuttgarter Königstraße war bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten.
Diskussion um Waffenrecht Zunehmende Messergewalt in BW: Braucht die Polizei mehr Befugnisse?
Nach Fällen von Messergewalt in der Stuttgarter Innenstadt geht die Diskussion über die notwendigen Konsequenzen weiter - vor allem mit Blick auf das Waffenrecht.
Während die Stuttgarter Stadtverwaltung die vorherigen Punkten selbst umsetzen kann, ist sie bei den folgenden sechs Themen auf die Unterstützung des Bundes oder des Landes angewiesen.
Deutlich bessere Vernetzung der Behörden
Kommunen, Land und Bund müssten sich im Zusammenhang mit ausländischen Mehrfachtätern besser vernetzen. Derzeit seien viele Behörden zuständig, wenige fühlten sich aber gesamtverantwortlich, so Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) in einer Mitteilung.
Die Forderung der Stadt: Vieles müsse auf Bundes-, und auch auf EU-Ebene geregelt werden. Die Stadt plädiert für eine Verschlankung des Rechtssystems, denn das Asyl- und Aufenthaltsrecht sei viel zu kompliziert. Die Stadt will, dass man schneller zu Entscheidungen kommen kann - wie Straftäter zum Beispiel schneller abgeschoben werden können.
Schaffung von Rechtsnormen für anlasslose Kontrollen
Der Stadt Stuttgart geht es darum, dass Menschen in Waffen- und Messerverbotszonen auch kontrolliert werden dürfen, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Dafür sollen die Bundesländer entsprechende Rechtsnormen schaffen. Das Innenministerium in Stuttgart verweist darauf, dass die Verordnungen zur Einrichtung von Waffen- und Messerverbotszonen auf einer Ermächtigungsnorm des Waffengesetztes beruhen.
Schon heute habe die Polizei auf Basis des Polizeigesetzes die Möglichkeit zu Kontrollen bei besonderen Veranstaltungen. Grundlage hierfür seien § 27 und § 44 im Polizeigesetz. Jetzt soll offenbar noch mehr ermöglicht werden. Man wolle der Polizei zusätzliche Kontrollbefugnisse in Waffen- und Messerverbotszonen einräumen, heißt es in einer Antwort des Innenministeriums auf eine SWR-Anfrage.
Verhinderung eines "Straftatentourismus"
Die Stadt will verhindern, dass mögliche Tatverdächtige von außerhalb nach Stuttgart kommen können. Diese sollen in ihren Wohnorten bleiben müssen. Die Stadt wünscht sich erweiterte Möglichkeiten für die Ausländerbehörden vor Ort, um solche Wohnsitzauflagen verhängen zu können.
Auch hier braucht die Stadt Hilfe von außen. Die Hürden sind allerdings hoch, weil es um Eingriffe in die Freizügigkeit der Menschen geht.
Abschiebung von Straftätern erleichtern
Es geht vor allem darum, minderjährige und erwachsene Straftäter leichter nach Syrien, Afghanistan, Irak und in die Maghreb-Staaten abschieben zu können. Zuständig ist dafür der Bund. Als eine Konsequenz auf den Messerangriff vom 23. August 2024 in Solingen hat die Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket für eine härtere Sicherheits- und Asylpolitik vorgelegt. Dabei sind unter anderem auch schnellere Abschiebungen für ausreisepflichtige Flüchtlinge vorgesehen.
Am 30. August 2024 ist vom Flughafen Leipzig/Halle ein Abschiebeflug mit 28 Menschen nach Afghanistan gestartet. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit waren alle verurteilte Straftäter. Es war die erste Abschiebung nach Afghanistan seit dort die radikal-islamischen Taliban im Jahr 2021 die Macht übernommen haben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat auch baldige Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Syrien angekündigt.
Verlust des Schutzstatus für straffällig gewordene Geflüchtete
Wer nach Deutschland geflüchtet ist, hier aber straffällig geworden ist, soll künftig leichter seinen Schutzstatus verlieren können. Das fordert die Stuttgarter Rathausspitze ebenfalls. Zuständig ist auch hier der Bund.
Die Bundesregierung plant bereits, dass Menschen künftig einfacher ausgewiesen werden können, wenn sie eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben. Wer ohne einen triftigen Grund in sein Heimatland zurückkehrt, soll zudem den Schutz in Deutschland verlieren - beispielsweise bei Urlaubsreisen.
Zurückweisung von Geflüchteten nach Dublin-Verordnung
Stuttgarts Verwaltungsspitze will, dass Asylsuchende gar nicht nach Deutschland einreisen dürfen, sofern diese bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden sind und ein anderer Mitgliedstaat der EU für deren Asylverfahren zuständig ist. Diese Regelung gilt zwar nach der sogenannten Dublin-Verordnung bereits heute, scheitert bislang aber oft an der Umsetzung. Zuständig ist für dieses Thema der Bund.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte beim Migrationsgipfel der Bundesregierung mit Vertretern von CDU und CSU vorgeschlagen, dass in Zukunft "asylbegehrende Personen, für die ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, dorthin zurückgewiesen" werden sollen. Die Bundesregierung will die die Asylsuchenden aber nicht sofort an der Grenze abweisen. Die Unionsvertreter haben diesen Vorschlag abgelehnt und fordern ein anderes Vorgehen.
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