Ärztemangel wächst weiter

Stuttgart will Kinderärzte mit Geld locken - Skepsis bei Medizinern

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Dorina Blau
Dorina Blau
Siri Warrlich
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Der Gemeinderat in Stuttgart will mit einem Förderprogramm Kinderärzte anlocken. Ärzte im Rems-Murr-Kreis bezweifeln, dass das dauerhaft hilft. Es brauche strukturelles Umdenken.

Einen Kinderarzt gefunden zu haben, fühlt sich für manche Eltern in Stuttgart wie ein Sechser im Lotto an. Generell kämpfen viele Städte und Gemeinden mit einem Mangel an Kinderärzten. Um dem entgegenzuwirken, lockt die Landeshauptstadt jetzt mit Geld. Allerdings gibt es Zweifel, dass das auf Dauer die Lösung bringt.

Viele Kinderärzte gehen bald in Rente

"Die ambulante kinder- und jugendärztliche Versorgunglage in Stuttgart ist prekär", schreibt die Stadt in einer Mitteilung. Immer mehr Eltern würden für ihre Kinder nicht die Versorgung finden, die sie bräuchten. Und: Mit Blick auf die Altersstruktur der Ärzte werde sich die Situation weiter verschärfen. Nach Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) waren im Frühjahr 2024, also im ersten Quartal, 22 der insgesamt 65 Kinder- und Jugendmediziner in Stuttgart 60 Jahre und älter. Über ein Drittel der Ärzte werde also voraussichtlich in den kommenden fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen, so die Stadt.

Stuttgart investiert 260.000 Euro aus Doppelhaushalt

Da es aber schon heute zu wenig Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche gibt, entwickelt die Stadt nach eigenen Angaben seit 2022 Strategien, um die Lage zu verbessern. Das vom Gemeinderat beschlossene Förderprogramm ist ein Teil davon. Im aktuellen Doppelhaushalt der Stadt sind dafür insgesamt 260.000 Euro eingeplant. Je nach Höhe der einzelnen Förderanträge könnte das zwar am Ende nur für wenige neue Praxen reichen. Aber auch das sei schon ein großer Erfolg, sagte ein Stadtsprecher dem SWR.

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Je nach Art der Praxis gibt es mehr Geld

Wie viel Geld bei einer Praxisgründung beantragt werden kann, ist nach Bedingungen gestaffelt. Für die Gründung einer Gemeinschaftspraxis gibt es zum Beispiel mehr Geld als für eine einzelne Praxis. Konkret heißt es von der Stadt: "Niederlassungswillige Kinder- und Jugendärzte können im Falle einer Neugründung einer Berufsausübungsgemeinschaft bis zu 80.000 Euro beantragen." Auch Anstellungen, Zweigpraxisgründungen, Praxisübernahmen und Fusionen seien förderfähig. Wer sich in einem Stadtviertel niederlasse, wo es bislang gar keinen Kinderarzt gibt, könne nochmal zusätzlich 40.000 Euro erhalten.

Ärzte aus Rems-Murr-Kreis zweifeln an dauerhafter Wirkung

Dass manche Kommunen Kinderärzte mit Prämien locken, zeige, wie verzweifelt die Lage sei, sagt Kinderarzt Ralf Brügel. Neben seiner Arztpraxis in Schorndorf, ist er Sprecher der Kinderärzte im Rems-Murr-Kreis, also in direkter Nachbarschaft zur Stadt Stuttgart. "Ich bin nicht begeistert von solchen Prämien, denn ich glaube nicht, dass das eine substanzielle Geschichte ist", sagt Brügel. Man könne mit solchen finanziellen Anreizen kurzfristig ein Loch flicken. Um das Problem - den Mangel an Kinderärzten - langfristig anzugehen, brauche es aber generelle, strukturelle Verbesserungen.

Kinderarzt Ralf Brügel aus Schorndorf sitzt in seiner Praxis und gibt ein Interview. Zusammen mit anderen Kinderärztinnen und -ärzten hat er im Rems-Murr-Kreis einen Protesttag organisiert.
Kinderarzt Ralf Brügel aus Schorndorf sorgt sich um die Zukunft der Kinderärzte.

Außerdem sieht Ralf Brügel eine gewisse Ungerechtigkeit: "Das muss sich eine Stadt oder Region auch erstmal leisten können." Aus seiner Sicht steuere man auf eine katastrophale Versorgung hin, was Kinder und Jugendliche angehe. "Bei uns vergeht kein Tag, an dem wir nicht Anfragen von werdenden Eltern bekommen und denen wir keinen Platz anbieten können", kritisiert Brügel. Es brauche Maßnahmen, die nicht vom Kreis oder der Stadt umgesetzt würden, sondern auf anderen Ebenen - in der Politik, bei der Kassenärztlichen Vereinigung.

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Schon im Frühsommer 2023 hatten Ralf Brügel und weitere Kinderärzte im Rems-Murr-Kreis aus Protest einen Tag ihre Praxen geschlossen. Gebracht habe das nicht wirklich viel, kritisiert Brügel. Damit es endlich mehr Ärzte gibt, fordert er vor allem eins: "Die ambulante Weiterbildung muss gefördert werden." Das bedeute, dass Ärztinnen und Ärzte im letzten oder vorletzten Ausbildungsjahr in den Praxen weitergebildet werden können. Die Fördertöpfe dafür seien zu klein und zu schnell leer.

Brügel: "Wir sind Hausärzte, keine Fachärzte"

"Das liegt auch daran, dass wir weiterhin als Fachärzte gesehen werden. Wir sind aber Hausärzte. Und wenn wir endlich diesen Status bekommen, was die Förderung angeht, wäre das ein guter Schritt um mehr und bessere Weiterbildung in der Praxis zu machen", sagt Brügel. Er glaubt: "Es gibt nicht zu wenig Praxen, sondern Menschen, die in diesen Praxen arbeiten."

Gesundheitsamt Stuttgart: "Zu wenig Studienplätze"

Für den Leiter des Stuttgarter Gesundheitsamts, Stefan Ehehalt, ist das Problem ebenfalls ein tiefgreifenderes: "Es gibt viele kluge Köpfe, die gern Medizin studieren würden, und sehr viele, die nach dem Medizinstudium die Fachrichtung Kinderheilkunde wählen würden." Dem würden aber insgesamt zu wenig Studienplätze und zu wenig Weiterbildungsstellen gegenüber stehen. Es sei nicht länger hinnehmbar, dass der Zugang zum Facharzt Kinder- und Jugendmedizin nicht in dem benötigten Umfang ermöglicht werde, so Ehehalt.

Sozialministerium beobachtet Entwicklung bei Versorgung von Kindern

Auch das baden-württembergische Sozialministerium fördert Kinder- und Jugendarztpraxen mit jeweils bis zu 30.000 Euro. "Allerdings nur, wenn diese einen Versorgungsauftrag im ländlichen Raum, beziehungsweise einer unterversorgten Region übernehmen", sagt Markus Jox, Sprecher des Sozialministeriums auf SWR-Anfrage. Generell liege die kinderärztliche Versorgung bei der KVBW und sei keine Aufgabe einzelner Städte und Gemeinden.

Die ärztliche Niederlassung mit einer finanziellen Förderung zu unterstützen, ist zulässig.

Trotzdem würden die Kommunen vermehrt das Heft selbst in die Hand nehmen. Dabei würden sie immer aktiver und kreativer, so Jox weiter. Auf die Entwicklung bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen schaut das Ministerium besorgt: "Der Trend bei Ärztinnen und Ärzten zu mehr Anstellung und Teilzeit lässt die Versorgungszeit pro Patient sinken. Die Ressource Arzt-Zeit wird daher knapper", sagt Jox. Es gelte, die Versorgung dorthin zu steuern, wo sie am dringendsten benötigt werde.

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