Wenn Silvana El Sayegh aus Stuttgart an ihre Heimat im Libanon denkt, hat sie momentan nur Bomben und Rauchwolken im Kopf. Die Angst um Freunde und Familie im Nahost-Konflikt ist groß.
Wenn Silvana El Sayegh morgens in ihrer Wohnung in Stuttgart aufsteht, denkt sie als erstes an ihre Eltern und Freunde - die leben im Südlibanon, der Heimat von Silvana El Sayegh. Täglich ruft Silvana El Sayegh ihre Mutter dort an, immer mit mulmigen Gefühl. "Ich habe Angst anzurufen und dass sie mir sagen, dass was in der Nähe passiert ist." Beim Telefonat an diesem Tag fragt El Sayegh ihre Mutter vorsichtig: "Was macht ihr?" Ihre Mutter antwortet, dass sie gerade Kaffee mit den Nachbarn trinkt. Später wolle sie Granatapfelsirup machen - um sich abzulenken.
Sorge der Tochter in Stuttgart: Eltern im Libanon wollen nicht packen
Aktuell sei es in der Region, in der ihre Eltern leben, noch friedlich erklärt die Libanesin - obwohl diese im Süden des Landes liege. Die ganze Familie hofft, dass es so bleibt. "Sonst müssen sie schnell packen und gehen. Jeden Tag frage ich: Habt ihr gepackt? Aber Sie wollen nicht." Silvana El Sayegh weint.
Kriege, Leid und Flucht - seit Jahrzehnten sind die Menschen im Libanon leiderprobt. Seit dem Ausbruch der Gefechte zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr wurden laut der libanesischer Regierung rund 2.100 Menschen getötet und etwa 10.000 schwer verletzt. (Anm. d. Red.: Das libanesische Ministerium unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hisbollah-Kämpfern.) Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen beschreiben die humanitäre Lage im Land als katastrophal.
Mit den neuesten Angriffen und Bodenoffensiven will das israelische Militär nach eigenen Angaben die Hisbollah-Terror-Miliz aus den Grenzgebieten verdrängen. Silvana El Sayegh befürchtet das Schlimmste: "Die wollen einen Sieg durch Krieg irgendwie erzwingen, aber einen totalen Sieg mit Militär wird es nicht geben. Wir haben gesehen was in Gaza passiert ist. Und wir befürchten, das Gleiche im Libanon auch bald zu haben."
Foodbloggerin aus Stuttgart: Kochen gegen die Angst - mit einer Botschaft
Dass sie aus der Ferne nicht helfen oder unterstützen kann, belastet Silvana El Sayegh sehr. Seit zwölf Jahren lebt die Journalistin mit ihrem Mann und zwei Kindern in Stuttgart. Neben ihrer Arbeit in einer Werbeagentur betreibt sie einen libanesischen Foodblog und bietet Kochevents an. "Ich will auch zeigen, wie mein Libanon aussieht. Nicht den Libanon, den die Medien zeigen." El Sayegh sagt, dass der Libanon viele Facetten habe. "Es ist nicht schwarz oder weiß und je nach dem, wo man im Libanon ist, ist es eine total andere Realität." Silvana El Sayegh ist überzeugt: Über das Essen kann man viel vermitteln und sie selbst kann die aktuelle Situation in ihrer Heimat beim Backen etwas verarbeiten.
An diesem Tag gibt es Man’ousheh. Ein einfaches Fladenbrot mit Oregano, Sesam und Früchten - aus gutem Grund. "Es ist super gesund, aber auch sehr günstig", erklärt die Libanesin. "Man kann es selbst herstellen und deswegen bleibt es manchmal das Einzige, was es zum Essen gibt in Krisenzeiten."
"Nur wenige fragen, wie es uns eigentlich geht"
Krisenzeiten, in denen sie sich hier in Deutschland auch mehr Verständnis für ihre Landsleute, Palästinenser und Deutsche mit arabischen Wurzeln wünscht. "Wir versuchen gerade mehr in Kontakt untereinander zu kommen, denn wir merken, dass keiner richtig mit uns reden will." Dabei sollte man in einer Gesellschaft akzeptieren können, dass es unterschiedliche Perspektiven auf den Nahost-Konflikt gibt, davon ist Silvana El Sayegh überzeugt. Und davon, dass die Menschen im Libanon ihren Lebenswillen nicht verlieren. "Sie hatten nie ein einfaches Leben und haben es trotzdem immer geschafft, wieder aufzubauen und weiter am Leben zu bleiben."
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