Notfälle würden auch ohne Dolmetscher behandelt

Kinderarzt aus BW behandelt nur noch Patienten, die Deutsch sprechen

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Olga Henich
Olga Henich

Kleines Schild, große Wirkung: Eine Kinderarztpraxis behandelt nur Patienten mit Deutschkenntnissen oder Dolmetscher. Für die Praxis geht es um das Wohl der Kinder, doch es gibt auch Kritik.

Eine Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) behandelt nur noch Patientinnen und Patienten, die Deutsch sprechen oder mit Dolmetscherin oder Dolmetscher kommen. "Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch!" stand auf einem Schild am Empfang der Praxis. Dafür wurde der praktizierende Arzt in den sozialen Netzwerken teilweise kritisiert, teilweise erhielt er aber auch Zuspruch und Unterstützung.

"Wir schicken niemanden weg. Aber es geht um eine vernünftige Behandlung."

Der Kinder- und Jugendarzt Ulrich Kuhn betont aber, dass Notfälle auch ohne Dolmetscher behandelt würden. Wenn Eltern mit Kindern kommen, die kein oder so gut wie kein Wort Deutsch verstehen, sei weder eine Behandlung noch eine Diagnose möglich, so Kuhn. "Wir schicken niemanden weg, der nicht Deutsch spricht, darum geht es gar nicht." Man wolle Patienten gefahrenfrei, sicher und vernünftig behandeln. "Das war die Motivation, dieses Schild aufzustellen", erläuterte der 60-Jährige. "Wir konnten den Patienten und ihren Eltern einfach nicht vermitteln, was zu tun ist."

Ulrich Kuhn, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, blickt in die Kamera.
Kinder- und Jugendarzt Ulrich Kuhn verteidigt das Vorgehen.

Mittlerweile hat der Kinderarzt das Schild wieder entfernt. Nach eigenen Angaben aber nicht wegen der Kritik, die vor allem aus dem Internet kommt. Sondern weil in der Praxis gerade ein anderer organisatorischer Hinweis für die Eltern zum Thema Hygiene wichtiger sei. Das Schild wird er bei Bedarf wieder aufstellen. In der Praxis rotiere man viele wichtige Schilder, je nach Bedarf.

Kassenärztliche Vereinigung: Situation für Ärzte kaum lösbar

Unterstützung für seine Haltung bekam der Arzt von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Laut der Kammer können Ärzte die Behandlung abbrechen, wenn es grundlegende Verständigungsprobleme gibt. Von der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart hieß es, dass die Situation für Ärzte kaum lösbar sei. Auf der einen Seite wollten sie Patienten und Patientinnen behandeln, auf der anderen Seite müssten sie diese aber aufklären. Dafür sei ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich. Ähnlich äußert sich das Personal beispielsweise in Notaufnahmen der Krankenhäuser. Mit zunehmenden Verständigungsproblemen und Sprachbarrieren gäbe es auch mehr Probleme im ganzen Gesundheitswesen. Das sei aber essentiell für die Erstellung der Diagnose und eine Behandlung.

Zum Beispiel könne man keine Fragen stellen, etwa nach Allergien oder der medizinischen Vorgeschichte, die natürlich auch das therapeutische Vorgehen beeinflusse, so Kuhn. "Beim Thema Impfung begehen wir jedes Mal eine kleine Körperverletzung, im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und auch im Sinne des Strafgesetzbuches. Wir müssen uns rechtlich absichern", sagte der Arzt.

Keine Behandlung ohne Deutsch-Kenntnisse: Migrantische Eltern reagieren

Seit etwa zwei Monaten habe das Hinweisschild am Empfang der Kinderarztpraxis gestanden. Von den Patientinnen und Patienten habe es in der Praxis keine negativen Reaktionen darauf gegeben - im Gegenteil, so Kuhn. Man sei auch bestärkt worden. "Eltern mit migrantischem Hintergrund haben nicht negativ reagiert, sondern die haben einfach umgesetzt, was wir wollten: Sie bringen jetzt Dolmetscher mit." Dass die schwierige bis unmögliche Verständigung mit den Patienten gerade bundesweit Thema ist, habe er auch von anderen Praxen gespiegelt bekommen. Eine Praxis am Bodensee habe sogar angefragt, ob sie das Schild übernehmen dürfe, berichtete der Mediziner.

Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung - außer in Notfällen - zukünftig ablehnen.

Rund 3.500 Kinder und Jugendliche werden laut Kuhn pro Quartal in der Praxis behandelt - unabhängig von ihrer Herkunft. Seit rund 23 Jahren praktiziere er mit seinem Kollegen vor Ort. Etwa jeder zweite Patient beziehungsweise jede zweite Patientin habe inzwischen einen Migrationshintergrund.

Kritik an Schild und Vorgehen in sozialen Netzwerken

Außerhalb der Praxisräume, in sozialen Netzwerken etwa und in Internet-Rezensionen, fielen die Reaktionen durchwachsener aus. Neben Verständnis gab es auch deutliche Kritik an dem Vorgehen. So schrieb beispielsweise eine Nutzerin in einer Google-Rezension der Praxis: "Eltern müssen erst drei Jahre lang einen Deutschkurs besuchen, bevor ihre Kinder behandelt werden. Sehr nett, so hat man sich das sicher vorgestellt, als man vor Krieg oder Verfolgung geflohen ist."

Die Mediziner kennen die kritischen Stimmen. "Wir wissen, dass das nicht unsere Motivation ist - deshalb interessieren mich Meinungen von Menschen, die mit unserer Praxis gar nichts zu tun haben, nicht extrem", betonte Kuhn. Bestärkt wird er durch mindestens genauso viele Kommentare und Hinweise in den sozialen Netzwerken, die das Vorgehen ausdrücklich begrüßen.

Auch bei SWR Aktuell auf Instagram wird das Hinweisschild viel diskutiert:

Kinderarzt: Wollten eigentlich kein Vorreiter sein

Kuhn und sein Kollege sind überrascht, dass das Thema so hohe Wellen geschlagen hat. Die Praxis wollte eigentlich kein Vorreiter sein. Durch das Schild wurden sie aber in die Öffentlichkeit gezerrt, sagte Kuhn dem SWR. "Wer darin ein Problem sieht, sollte nicht die Ärzte beschuldigen, sondern nach Lösungen suchen und zum Beispiel ausreichend Dolmetscher vor Ort organisieren und bezahlen."

In der Medizin können Missverständnisse gefährliche Folgen haben.

Mithilfe einer App über wichtige medizinische Belange zu sprechen, sei zum Beispiel keine gute Lösung, da mit medizinischem Vokabular über falsche Übersetzungen oft schwerwiegende Missverständnisse entstehen könnten. "In der Medizin sind Übersetzungsfehler etwas anderes als im Restaurant, wo man statt eines Weins mal ein Bier bekommt. Solche Missverständnisse können gefährliche Folgen haben", sagte Kuhn.

Dolmetscher-Leistungen keine Krankenkassen-Leistungen

Tatsächlich gibt es seither keine politische Lösung für das Problem. Es gibt aber Initiativen, die sich dafür einsetzen, dass Dolmetscherleistungen als Leistungen der Krankenkassen definiert werden, seither ohne entsprechende Entscheidungen. Weil Dolmetscher-Leistungen in der Vergangenheit beispielsweise im Klinikum Stuttgart jedes Jahr höhere Kosten verursacht haben, gibt es hier seit 2021 eine neue Regelung. Nach der müssen sich sprachunkundige Patientinnen und Patienten selbst um einen Dolmetscher kümmern und ihn bezahlen.

In akuten oder schwierigen Fällen könne ein Arzt aber auch selbst entscheiden, ob er einen Dolmetscher hinzuzieht, in diesen Fällen trägt das Klinikum die Kosten. Drittens könnten Patientinnen und Patienten mit Ansprüchen auf Sozialhilfe oder Asylbewerberinnen und -bewerber in bestimmten Fällen eine Kostenübernahme beantragen. Das Klinikum Stuttgart hat nach eigenen Angaben Rahmenverträge mit zertifizierten Dolmetscherbüros und könne selbst auf Beschäftigte aus über 100 Ländern zurückgreifen, die gelegentlich helfen können, heißt es auf SWR-Anfrage. In weniger kritischen Konstellationen würden auch Apps und technische Lösungen eingesetzt. Im Klinikum Stuttgart würden jährlich etwa 90.000 Patienten und Patientinnen stationär behandelt und 600.000 ambulant, darunter etwa 100.000 Notfälle. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Einzugsgebiet sei hoch und nicht alle brächten eine gute Sprachkompetenz mit.

Berufsverband: Ärztinnen und Ärzte müssen rechtskonform handeln können

Dass eine rechtskonforme Aufklärung über Impfungen oder eine Diagnose bei Sprachbarrieren nahezu unmöglich sei, sei sicher jedem klar, sagte ein Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Berlin. "Hier den geeigneten Mittelweg zu finden, ist tägliches Brot einer Kinder- und Jugendpraxis." Niemand möchte gern in einem rechtlichen Graubereich agieren.

Warum es nun medial auch wieder ein Thema ist, dass er das Schild weggenommen hat, versteht Kuhn ebenfalls nicht. Es sei nur ein Schild, das Problem bleibe ja bestehen. Er wünscht sich konkrete Lösungen von der Politik und mehr Verständnis für die verantwortungsvolle Arbeit von Ärztinnen und Ärzten statt Polemik.

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