Der baden-württembergische Unternehmer Heinz Dürr hat die Deutsche Bahn reformiert und gilt als einer der Väter von Stuttgart 21. Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben.
Wenn der Wahl-Berliner Heinz Dürr in Stuttgart zu Besuch war, kam er unweigerlich am Hauptbahnhof vorbei. Dort sah der frühere Bahnchef die Riesenbaustelle von Stuttgart 21. In seiner Zeit als Bahnmanager hatte er mit die Weichen für das Milliardenprojekt gestellt, dessen Fertigstellung sich seit Jahren verzögert.
"Die Züge werden fahren, nur eben etwas später. Das ist nicht weiter schlimm", sagte der frühere Manager, der stets Optimismus verbreitete, einmal der Deutschen Presse-Agentur. Am Montag ist Dürr im Alter von 90 Jahren in Berlin gestorben, wie der gleichnamige Lackieranlagenspezialist am Dienstag in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) mitteilte. Dürr hinterlässt seine Ehefrau und drei Töchter.
Mit der Dürr AG an die Weltspitze
Über 40 Jahre prägte er die deutsche Industrie wie nur wenige andere: Der in Stuttgart geborene Dürr brach sein Maschinenbaustudium ab, um in der Firma seines Großvaters - dem Lackieranlagenbauer Dürr - zu arbeiten. Als Firmenchef führte er das Unternehmen dann an die Weltspitze. Später übernahm er Aufgaben in anderen Konzernen - als Vorstandschef der AEG, Daimler-Vorstand und Vorstandschef der Deutschen Bahn.
1975 trat Dürr die Nachfolge von Hanns Martin Schleyer als Vorsitzender der Metallarbeitgeber in Nordwürttemberg an - als Counterpart des späteren IG-Metall-Chefs Franz Steinkühler. Er war einer der letzten, mit dem Schleyer vor seiner Entführung durch RAF-Terroristen noch gesprochen hatte.
1991 folgt der Schritt zur Deutschen Bundesbahn
1980 wurde Dürr als Sanierer an die Spitze des schwer angeschlagenen Elektrokonzerns AEG berufen. Zwar gelang es ihm, die Gläubiger auszuzahlen und mit dem Verkauf an Daimler-Benz 1986 in den Vorstand des Autobauers aufzurücken, den Ausverkauf der AEG nach dem Daimler-Benz-Einstieg konnte er aber nicht verhindern. Von dem Vorwurf, bei AEG gescheitert zu sein, konnte sich Dürr nie ganz befreien.
Dürrs Vertrag als AEG-Chef war zuvor verlängert worden, als er überraschend 1991 Chef der Deutschen Bundesbahn wurde. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hatte ihm das Angebot gemacht. Ihm war damit die Aufgabe anvertraut, Ost und West auf der Schiene zu vereinen. Seine größte Aufgabe war darüber hinaus die Umwandlung der Bahn von einer Behörde in eine Aktiengesellschaft. "In seinem langjährigen Wirken hat er maßgeblich den Weg zum heutigen DB-Konzern geebnet und wird mit seiner Geschichte eng verbunden bleiben", würdigte die DB AG Dürr in einer Pressemitteilung.
Wegbereiter für Stuttgart 21
Unter Dürr als Bahnchef wurde nicht nur der erste ICE in Betrieb genommen, sondern auch die BahnCard eingeführt. Außerdem gilt er als einer der Väter von Stuttgart 21. Nicht alle Visionen konnte er umsetzen: Der von ihm favorisierte Transrapid wurde nie Wirklichkeit.
Die Bahnreform von 1994 ist in ihren Auswirkungen bis heute umstritten. Aus zwei defizitären Behörden sollte eine Aktiengesellschaft entstehen, die nicht nur keine Verluste mehr macht, sondern sogar Gewinne für den Bundeshaushalt einfährt.
Rücktritt wegen unterschiedlicher Auffassungen
Nach seinem Abschied aus dem aktiven Management wechselte er 1997 in den Aufsichtsrat. Im Februar 1999 trat er dann "wegen unterschiedlicher Auffassungen" zwischen ihm und dem Bahneigner Bund als Aufsichtsratsvorsitzender zurück. Nur wenige Monate später wurde der von ihm favorisierte Hartmut Mehdorn Chef der Deutschen Bahn.
"Die Bahn war das Spannendste überhaupt: Führung, Technik und Politik, alles kam da zusammen", sagte Dürr, der sich gern im Rauch seiner Davidoff-Zigarillos einhüllte, später im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Meine Meinung ist ja, dass man eine Firma nicht besitzen muss, um Unternehmer zu sein."
Heinz Dürr - ein ewiger Optimist
Dürr war immer ein Freund klarer Worte. 2013 stieg er im Alter von fast 80 Jahren aus dem Aufsichtsrat seines Familienunternehmens, der Dürr AG mit Sitz in Bietigheim-Bissingen, aus und behielt noch den Titel des Ehrenvorsitzenden: "Ich möchte nicht auf der Bahre in die Hauptversammlung getragen werden", sagte er damals in einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung". "Ich sehe mich hier fast so wie Benedikt XVI., der wohl gesagt hat, ich mag nicht mehr."
Wegbegleiter beschreiben ihn als ewigen Optimisten. Selbst sein Gegenpart bei den Metalltarifverhandlungen, Franz Steinkühler, sagte über ihn: "Er war sympathisch, hat immer gelacht." Selbst wenn es eng wurde in Verhandlungen, erinnert sich Steinkühler in einem Buch über Dürr von Günther Sassmannshausen: "Dann kriegte er so ein breites Lachen und sagte: Ja Männer, was machen wir denn jetzt?"
Aktien bleiben in Familienbesitz
Doch trotz seiner zahlreichen Kontakte tat sich Dürr offenbar schwer damit, in Beziehung zu Menschen zu treten. "Was Freundschaft ist, weiß ich eigentlich nicht", schreibt Dürr in seinem 2008 erschienenen Buch "Aus der ersten Reihe. Aufzeichnungen eines Unerschrockenen".
"Ich kann nicht helfen, wenn einer selbst in Not ist, wenn er seinen Kopf an meine Brust legen will. Das mag ich nicht. Irgendwie habe ich Angst vor Menschen." Jammern, schreibt Dürr weiter, würde er nur bei der Familie, weil er wenig Freunde habe. "Und die Leute finden mich gut, weil ich optimistisch bin."
Der Aktienbesitz von 29,7 Prozent an der Dürr AG bleibt nach Unternehmensangaben in der Hand der Familie Dürr.
Kretschmann würdigt "schwäbischen Unternehmergeist"
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nannte Dürr einen "unermüdlichen Schaffer". Er sei bodenständig, ehrgeizig, findig und akribisch gewesen und habe damit den schwäbischen Unternehmergeist verkörpert. "Für mich zeichnete er sich aber immer auch durch seinen Mut zum Vorausschauen und die unternehmerische Weitsicht aus", teilte Kretschmann dem SWR mit. Dürr habe sich früh und abseits irgendwelcher "Zeitgeistmoden" für Energieeffizienz und mehr Orientierung am Gemeinwohl in der Wirtschaft eingesetzt.
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